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Auswege

Selbstausbeutung in der Landwirtschaft

am Freitag, 12.02.2016 - 07:00 (Jetzt kommentieren)

Immer mehr Bauern und Bäuerinnen leben arbeitswirtschaftlich, finanziell und psychisch am Anschlag. Was die Folgen sind und wie man sie vermeiden kann, lesen Sie hier.

Viele Landwirte arbeiten von früh bis spät in die Nacht hinein. Familienberater Fritz Kroder kennt die Gründe und Folgen dieser Überlastung. Im Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt (Ausgabe 3/2016) beschreibt er sie und gibt Tipps für Auswege aus dieser Arbeitsfalle.

Gründe und deren Folgen

  • Die Arbeitsfalle: Um ja den Anschluss nicht zu verpassen, wachsen manche Betriebe um jeden Preis. Dies verlangt mehr Management, was jedoch viele Betriebsleiter nicht gelernt haben oder sie können es nicht, weil sie in dem überlieferten Denken verhaftet sind: Ich brauche nur genügend selbst arbeiten, dann benötige ich keine fremde Hilfe und schaffe alles selbst.
    Früher oder später werden sich Zeichen der Erschöpfung und andere Krankheitsbilder einstellen. Es fehlen die Erholungsphasen zur Regeneration. Früher waren diese Erholungsphasen durch Sonn- und Feiertage gesellschaftlich geregelt. Heute laufen auch sonntags - nicht nur zur Erntezeit - die Maschinen und damit die Menschen.
     
  • Viele Menschen in der Landwirtschaft definieren sich über die Arbeit: "Arbeite ich etwas, bin ich gut, arbeite ich nichts, fühle ich mich schlecht und habe ein schlechtes Gewissen." Oft stecken hier Glaubenssätze dahinter, welche wir von unseren Eltern mitbekommen haben, und sie wiederum von ihren Eltern. Sie arbeiten Tag und Nacht und geben für den Hof alles. Selbst das Wochenende wird mit einbezogen.
    Wer allerdings von früh bis spät arbeitet, hat keine Zeit, über sich selbst nachzudenken. Genau das Gegenteil wäre wichtig, nämlich sich Freiraum zu schaffen, sich zu gönnen, mal etwas anderes zu tun, sich einen anderen Tagesrhythmus zu erlauben und mit anderen Themen zu beschäftigen. Das unterbricht den Stress-Rhythmus, führt heraus aus dem Alltagstrott, bringt Abwechslung und neue Impulse und Gedanken und letztlich das Entscheidende: Abstand vom Alltag.
     
  • Finanzielle "Enge": Viele Betriebe kommen finanziell an ihr Limit, weil der Wachstumsschritt für den Betrieb zu groß ist, man "verschluckt" sich an der Investition. Es sind oft teure Nachinvestitionen nötig, weil die Kosten nicht richtig erhoben oder unterschätzt wurden.
    Wenn Geld fehlt, kommt schnell ein Teufelskreis in Gang: Beispielsweise werden Reparaturen hinausgezögert, Konten überzogen und es kommt zu immer größeren Verbindlichkeiten. Wir die Situation verdrängt, und gar unrealistische Lösungsversuche unternommen, geht die Abwärtsspirale weiter: Man stürzt sich in die Arbeit, um alles zu tun, damit der Schuldenberg kleiner wird.
     
  • Die Folge von Arbeitsüberlastung und finanziellen Schwierigkeiten ist dann die psychische Überlastung. Dieser Dauerstress schadet der körperlichen und psychischen Gesundheit. Depressionen und Burn-out sind Symptome davon.
    Zur psychischen Überlastung und deren Folgen kommen relativ schnell Konflikte in der Familie, Partnerschafts- und Erziehungsprobleme sowie Verständigungsprobleme mit der älteren Generation. Suchtprobleme und Depressionen werden nicht als Krankheit erkannt oder gar als Faulheit abgetan.

Das können Sie tun

  • Symptome erkennen: Bereits bei ersten Symptomen, wie Antriebsschwäche oder Schlafstörungen sollten Betroffene zu einem Facharzt gehen. Fehl am Platz sind Gefühle wie Scham oder die Hoffnung, "das wird schon wieder". Es ist dann auch allerhöchste Zeit, sich bewusst Auszeiten zu nehmen. Wenn man das nicht schafft, wird es der Körper übernehmen, indem er durch Krankheit zur Ruhe zwingt.
     
  • Über sein Leben nachdenken: Bei psychischen Belastungen treten häufig Fragen wie "Wozu mache ich das?", "Für wen mache ich das?" auf. Ist dies der Fall, ist es höchste Zeit, sich einmal Zeit zu nehmen über sein Leben nachzudenken. Hilfreich ist es, sich in dieser schwierigen Situation einen Berater zu holen.
     
  • Austausch mit der Familie: Grundsätzlich ist es wichtig, sich ständig mit dem Partner oder der Familie auszutauschen, um eine gemeinsame Vision von Familie, Partnerschaft und Betrieb entwickeln zu können. Nur gemeinsam getroffene Entscheidungen führen zur größtmöglichen Unterstützung und Erfolg. Allein getroffene Entscheidungen machen einsam.
    Betriebsleiter, Partner und Familie müssen sich beispielsweise fragen: Wie wollen wir wachsen? Welchen "Preis" wollen wir dafür bezahlen? Was ist es uns wert, wenn wir den Betrieb so oder so entwickeln? Wie viel Einkommen brauchen wir? Diese Fragestellungen kommen immer wieder und müssen immer wieder neu justiert und erarbeitet werden.
     
  • Auf Lebensqualität achten: Das kann zum Beispiel heißen, sich Arbeitskraft oder Technik bewusst einzukaufen und so zu mehr freier Zeit zu kommen. Eine kleine Auszeit schenkt Erholung, Kraft und Lebensfreude. Ein Wochenendtrip mit dem Partner setzt neue Energie frei, für Familie und Betrieb.
     
  • Handeln hinterfragen: Bei betrieblichen Wachstums- und Entscheidungsprozessen sich immer wieder zu fragen, wofür ist der Betrieb da? Er für mich und meinen Unterhalt oder ich und mein Leben für den Hof?
    Ein großes Übel unserer Zeit ist das Bewerten und das Vergleichen, ob man gleich viel hat wie andere oder weniger oder mehr. Vergleiche und Bewertungen setzen eine Dynamik der Gier und Unzufriedenheit in Gang.
     
  • Hinterfragen von Glaubenssätzen: Sätze wie "Wer nicht arbeitet, taugt nichts.“ „Geld macht glücklich.“ „Was sagen denn die Leute?“ erzeugen Schuldgefühle. Wer dagegen in sich Hineinhört und merkt, was einem guttut, kann sich davon befreien.

Hier gibt es Hilfe

Wer Hilfe braucht, findet diese unter anderem hier:

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