Die Hessenschau berichtete am Donnerstagabend über die Abstimmung im Stadtparlament.
Mit großer Mehrheit stimmten die Abgeordneten gestern der Quasi-Enteignung der Bauern zu – Mit 50 Ja-Stimmen und 16 Nein-Stimmen und einer Enthaltung.
Der betroffene Landwirt Ralf Schab, der für 25 weitere Berufskollegen spricht, ist empört. Gegenüber der Hessenschau sagt er: „Wir werden um unser Land betrogen. Da wird einem die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder du machst, was wir wollen, oder du wirst enteignet."
Ackerland kaufen für 12 Euro – verkaufen für 1000 Euro

Aber was ist eigentlich passiert? Im Wiesbadener Stadtteil Ostfeld soll ein neues Quartier mit einer Wohnkapazität für bis zu 12.000 Menschen gebaut werden. Bezugsfertig soll es ab 2028 sein.
Doch die Grundstücke gehören 25 Landwirten, und die fühlen sich betrogen und unter Druck gesetzt. Das Vorhaben, gegen das sich die Bauern wehren, geht so: Die Stadt kauft das Ackerland mit ihrer Entwicklungsgesellschaft SEG für maximal zwölf Euro pro Quadratmeter. Weigern sich die Landwirte zu verkaufen, werden sie enteignet und minimal entschädigt. Dann wird das Ganze zu Bauland gemacht und an Investoren weiterverkauft. Der Preis liegt dann bei 1.000 bis 1.110 Euro pro Quadratmeter.
Möglich wird das offenbar durch das Instrument der "städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme", das von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen wurde. Es gibt der Stadt die Möglichkeit, ein Projekt auch gegen private Interessen und Rechte durchzusetzen, wenn es für das Gemeinwohl als bedeutsam definiert wird.
„Wir werden für unser Land nicht korrekt entschädigt“, sagt Schaab dazu. „Wir bekommen drei bis zwölf Euro pro Quadratmeter, weil die SEG mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme wertreduzierend vorgeht.“ Dabei sind die meisten Landwirte offenbar bereit, ihre Grundstücke zum „normalen Marktwert“ abzugeben. Den beziffert Schaab auf etwa 80 Euro pro Quadratmeter. Dieser Preis würde die Kosten für eine Wohnung im Ostfeld nicht einmal um ein Prozent erhöhen, sagt der Landwirt.
Bauern wollen sich wehren - es geht um die Existenz

„Die Stadt Wiesbaden hat es versäumt, zunächst neutral bei den Eigentümern nachzufragen, ob sie denn bereit wären, Land zu verkaufen“, kritisiert Schaab das Vorgehen gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Dazu seien nämlich die meisten Landwirte bereit, sie wollten sich nur nicht enteignen lassen.
Landwirt Schaab und die anderen Bauern kündigen deshalb Widerstand an. Da die Stadtverordneten gestern Abend mehrheitlich zugestimmt haben, soll laut Schaab sofort eine Normenkontrollklage gegen den Beschluss erhoben werden. Die Chancen, diese Klage zu gewinnen, stehen seiner Einschätzung nach gut.
Für Schab und seine Kollegen geht es um viel. Die Stadt würde ihm etwa zehn Prozent seiner Flächen wegnehmen. Er fürchtet deshalb um die Existenz seines Betriebes. „Für meine Nachbarn ist die Lage aber noch viel bedrohlicher, die verlieren unmittelbar 40 Hektar," sagt der Landwirt gegenüber FAZ. "Sie haben Kühe und müssen diese füttern. Die wissen dann nicht, wo sie ihr Futter herbekommen“, sagt Schaab.
Auch ein Flächentausch, wie ihn die Stadt vorschlage, bringe keine Lösung, weil die Ersatzflächen wiederum einem anderen Bauern abgenommen würden, meint der Landwirt.
Politik mach einfach weiter – Beschimpfungen auf Facebook
Die verantwortlichen Regionalpolitiker sind sich keiner Schuld bewusst. Das Vorgehen sei gerecht und angesichts des fehlenden bezahlbaren Wohnraums in Ordnung, sagt Wiesbadens Baudezernent Hans-Martin Kessler (CDU) gegenüber der Hessenschau. Denn von dem Gewinn, den die Stadt scheinbar mache, bleibe wegen der gigantischen Kosten für Straßen, Schulen, Kitas und vieles mehr am Ende gar nichts übrig, sagt er.
Der Chef der Stadtentwicklungsgesellschaft, Roland Stöcklin, ergänzt: „Noch hätten die Landwirte eben Äcker und gar kein Bauland. Es geht darum den Wert auszugleichen, den die Liegenschaften heute haben." Diesen Wert habe ein Expertengremium wie vorgeschrieben festgelegt. Stöcklin sagt außerdem, er glaube noch immer an eine Einigung mit den Bauern. „Und das Projekt werde auf keinen Fall daran scheitern, dass man das letzte Grundstück nicht hat".
Und als wenn das nicht schon genug wäre, müssen sich die Landwirte auch noch mit hämischen Facebook-Kommentaren herumschlagen. Gegenüber der FAZ berichtet Schaab über Beschimpfungen auf Facebook. Dort werden die Bauern als Junker bezeichnet, die man ruhig enteignen könne. „Ich kenne alle Eigentümer persönlich, da ist keiner ein Großgrundbesitzer“, sagt Schaab fassungslos.
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