Das Internet ist ein Marktplatz der Meinungen. Jeder kann sagen, was er will. Nur: Oft wird diskutiert, ohne die Fakten zu kennen oder zu überprüfen. Das führt leider nirgendwohin – oder eben in eine Sackgasse. Dann finden die Diskussionen losgelöst von wissenschaftlichen Erkenntnissen statt.
Immun gegen Fakten und Wissenschaft

In vier Studien, die in drei Ländern - den USA, Frankreich und Deutschland – durchgeführt wurden, stellten die Forscher fest, dass extreme Gegner gentechnisch veränderter Lebensmittel "nicht einschätzen können, wie viel sie eigentlich über das Thema wissen". In der Regel ist es so, dass die am wenigsten wissen, die glauben, sie kennen sich am besten aus.
"Je weniger die Leute wissen", schlussfolgerten die Autoren in der Studie, "desto mehr sind sie gegen den wissenschaftlichen Konsens." Wissenschaftskommunikatoren haben erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Menschen aufzuklären, und um ihre Haltung mit den Erkenntnissen in Einklang zu bringen“, hatten die Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature Human Behavior geschrieben.
Aber Menschen mit einer übertriebenen Meinung über das, was sie tatsächlich wissen, sind auch diejenigen, die am wenigsten offen für neue Informationen sind.
Das zeigen auch einige der auf agrarheute geführten Diskussionen: Denn es wird sich eben nicht mit dem Inhalt neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auseinandergesetzt, sondern es wird quasi aus dem Bauch heraus diskutiert.
„Dies legt nahe, dass eine wesentliche Voraussetzung für die Veränderung der Ansichten der Menschen ist, dass sie zunächst ihre Wissenslücken erkennen", schreiben die Autoren.
Agrar-Shitstorms: Viel Meinung, wenig Wissen
Beispiele für solche aufgeheizten Debatten finden sich zum Wolfsmanagement, im Bereich der grünen Gentechnik, bei der Düngung und beim Pflanzenschutz oder auch beim Insektensterben – um nur einige zu nennen. Amerikanische Wissenschaftler haben nun vor einiger Zeit die Probe aufs Exempel gemacht. Sie befragten mehr als 2.000 amerikanische und europäische Erwachsene zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Die Wissenschaftler fragten in 15 wahr-falschen Fragen ab, was die Menschen über genetisch veränderte Lebensmittel wissen.
Dabei ging es auch darum, wie weit sich die Kritiker mit Genetik und wissenschaftlichen Methoden im Allgemeinen auskannten. Die Forscher wollten ein zunehmendes menschliches Phänomen untersuchen. Nämlich: Viele Menschen neigen dazu, über Dinge zu urteilen, von denen sie kaum etwas wissen. Oder anders gesagt, sie haben sich eine Meinung gebildet und sind nicht bereit, ihre Auflassung oder Einstellung aufgrund neuer Erkenntnisse zu überprüfen.
Dunning-Kruger-Effekt: Ich weiß schon alles!

Das Problem ist bereits ausführlich im Dunning-Kruger-Effekt beschrieben: Je weniger kompetent jemand in Bezug auf ein bestimmtes Thema ist, desto klüger glauben diese Leute zu sein.
"Diese Menschen kommen nicht nur zu falschen Schlussfolgerungen und treffen unglückliche Entscheidungen", schrieben David Dunning und Justin Kruger bereits 1999 in ihrem Artikel über das Phänomen, "durch ihre Inkompetenz beraubt sie sich auch der Möglichkeit, ihre Einstellung zu ändern. Die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um eine richtige Antwort zu geben, sind nämlich genau die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist."
Der englische Schauspieler und Comedian John Cleese von Monty Phyton, hat die Sache auf seine Art beschrieben: "Wenn Sie sehr, sehr dumm sind, wie können Sie dann feststellen, dass Sie sehr, sehr dumm sind? Das Problem ist nämlich: Man muss schon relativ intelligent sein, um zu erkennen, wie dumm man ist." Damit wäre wohl das wichtigste zum Thema gesagt.
Ein zusätzliches Problem der Diskussionen im Internet ist wohl auch die Anonymität. Jeder kann „ungestraft“ sagen, was er glaubt und für richtig hält, ohne sich die Mühe zu machen, seine Meinung zu überprüfen. Denn was eigentlich den Wissenschaftler auszeichnet: Nämlich seine Erkenntnisse immer aufs neue in Frage zu stellen – dazu sind viele Online-Diskutanten leider nicht bereit.
Und nicht zu vergessen ist noch ein letzter Punkt: Von Landwirtschaft und Lebensmitteln haben alle Leute Ahnung – auch wenn sie noch kein Getreidefeld oder keine Milchkuh von nahem gesehen haben. Die meisten Landwirte können sich wahrscheinlich an unzählige Gespräche erinnern, bei denen sie sich fragten, wie sich die Welt so weit von den Tatsachen der produzierenden Landwirtschaft entfernt hat.
"Einzeln betrachtet sind diese Gespräche ziemlich harmlos, aber wenn sie von Millionen von Verbrauchern geführt werden, liefern die zugrunde liegenden Einstellungen, die sich darin widerspiegeln, etwas wie ein Pulverfass – bereit, mit dem richtigen Funken zu explodieren", schreibt der amerikanische Verband der Sojaanbauer auf seiner Homepage. Verstärkte Bildung (im Sinn von Aufklärung) führt auch zu mehr Akzeptanz konventioneller Landwirtschaft und Anbaumethoden – glauben jedenfalls die amerikanischen Farmer.
Der Artikel ist erstmalig am 23.11.2021 auf agrarheute.com erschienen.
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