Seit die ASP in Deutschland im September 2020 angekommen ist, flammt der Streit über die Schutzzäune, die eine weitere Ausbreitung der Seuche verhindern sollen, immer wieder auf: Wer ist für die Finanzierung der Zäune zuständig und erfüllen sie überhaupt ihren Zweck, ohne dass andere Wildtiere zu Schaden kommen?
Mit der Abwägung des Tierseuchenrechts gegenüber dem Naturschutzrecht und dem Vorgehen der Behörden in den betroffenen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen beschäftigt sich die rechtliche Stellungnahme der Hamburger Kanzlei Mohr Rechtsanwälte. Das Ergebnis: Die Errichtung des mehrere hundert Kilometer langen, zusammenhängenden ASP-Schutzzauns an der Grenze zu Polen war – aus mehreren Gründen – rechtswidrig.
Tierseuchenschutz darf Naturschutz nicht außer Kraft setzen
In ihrem Gutachten stellen die Rechtsanwälte zunächst fest, dass der ASP-Zaun durch mindestens vier Natura-2000-Schutzgebiete verläuft. Es stelle sich deshalb die Frage, ob das Tierseuchenrecht Vorrang vor dem Naturschutzrecht hat. Aus der Stellungnahme geht hervor, dass das Tierseuchenrecht gegenüber dem Artenschutzrecht im Grundsatz vorrangig sei. Allerdings gebe es im EU-Recht Vorschriften, die schwerer als dieser Grundsatz wiegen und die bestmöglich erfüllt werden müssen. Das führe dazu, dass bei Seuchenschutzmaßnahmen bestimmte Regeln des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) berücksichtigt werden müssen – konkret werden hier die Eingriffsregelung (§§ 13-19) und das Habitatschutzrecht (§§ 31-36) genannt.
In zwei Bundesländern hätte für den ASP-Zaun eine Baugenehmigung vorliegen müssen
Darüber hinaus sei für große Teile des ASP-Zauns eine Baugenehmigung notwendig gewesen. Das jeweilige Landesrecht in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen schreibe ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren für einen solches Projekt vor; in Brandenburg dagegen seien ASP-Zäune baugenehmigungsfrei.
Die Behörden hätten außerdem aus Sicht der Anwälte die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung nach § 14 BNatSchG berücksichtigen müssen, weil die Gestalt und die Nutzung der Grundflächen durch die ASP-Zäune verändert worden ist. Der Zaun führe also zu schlechteren Lebensbedingungen für verschiedene Tierarten. Auch das Landschaftsbild sei erheblich beeinträchtigt worden, was eine weitere Missachtung der Eingriffswirkung nach § 14 BNatSchG darstelle.
ASP-Zäune ohne FFH-Verträglichkeitsprüfung errichtet
Zudem verweisen die Anwälte in ihrer Stellungnahme auf eine weitere Regelung des Naturschutzrechts: Nach § 34 BNatSchG hätte vor der Errichtung des Zauns eine FFH-Verträglichkeitsprüfung stattfinden müssen. Schließlich würden die Austauschbeziehungen der Populationen verhindert und der Zaun nehme Teilflächen von Lebensräumen unmittelbar in Anspruch. Die Erhaltungsziele der betroffenen FFH-Gebiete könnten insgesamt erheblich beeinträchtigt werden. Daher kommen die Juristen zu dem Schluss, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfung rechtswidrig unterlassen worden ist.
Hinzu kämen weitere Regeln und Naturschutzziele, die zum Beispiel im Nationalparkgesetz Unteres Odertal zu finden sind. Dieses schreibe vor, dass auf deutscher Seite die Voraussetzungen für ein großräumiges deutsch-polnisches Schutzgebiet geschaffen werden sollen. Der Schutzzaun beeinträchtige diese Vorgabe erheblich. Verboten sei im Nationalpark Unteres Odertal außerdem, bauliche Anlagen zu errichten. Für die Bauverbot nach den Schutzgebietsausweisungen sei jedoch keine Befreiung erteilt worden.
Umweltverbände könnten Rückbau des ASP-Zauns erwirken
Die anerkannten Umweltverbände, zu denen der WWF derzeit aber noch nicht zähle, könnten laut Gutachten die Behörden durch eine Verpflichtungsklage zum Handeln auffordern. Eine Beteiligung der Umweltverbände müsse erfolgen, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele im Naturschutzrecht droht. Werden die Verbände nicht beteiligt, müsse die Behörde das Projekt notfalls stoppen.
Es sei sogar denkbar, die Behörde zum Rückbau des ASP-Zauns zu verpflichten. Der Zaun müsse dann so lange zurückgebaut werden, bis die erforderliche FFH-Verträglichkeitsprüfung inklusive Verbandsbeteiligung erfolgt ist und gegebenenfalls ein Abweichungsverfahren geführt wurde. Anschließend sei ein erneuter Zaunbau eventuell möglich.
WWF: Mecklenburg-Vorpommern soll FFH-Verträglichkeitsprüfung nachholen
Als Auftraggeber des Rechtsgutachtens spricht sich der WWF für eine nachträgliche FFH-Verträglichkeitsprüfung aus und wendet sich dabei an den Till Backhaus (SPD), Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern: "Landesumweltminister Backhaus sollte dringend die FFH-Verträglichkeitsprüfung nachholen, sowohl für die Schutzzäune entlang der deutsch-polnischen Grenze, als auch für alle anderen, festen ASP-Zäune, die Schutzgebiete und -güter beeinträchtigen. Ziel muss es sein, die negativen Begleiterscheinungen zu reduzieren und ihn zum Beispiel durchlässiger für andere Tierarten wie Rehe, Wölfe oder Wisent zu machen", sagt Nina Gandl, Wildtierexpertin beim WWF.
Bedacht werden müsse außerdem, dass vor allem der Mensch zu einer Ausbreitung der ASP durch das Entsorgen von Lebensmitteln in der Natur beitrage. Daneben sei mehr Aufklärungsarbeit notwendig. "Leider ist Agrar- und Umweltminister Backhaus bisher für diese naturschutzkonformen Maßnahmen gegen ASP auf beiden Ohren taub", so Gandl.
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