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Pflanzenschutzrecht

Urteil: NABU erhält Zugang zu Pflanzenschutz-Daten der Landwirte

Pflanzenschutzmittelausbringung
am Donnerstag, 04.11.2021 - 09:56 (6 Kommentare)

In Baden-Württemberg müssen die Behörden dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) genaue Angaben über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten zur Verfügung stellen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim als höchstes Verwaltungsgericht im Land rechtskräftig entschieden. Das Urteil könnte bundesweit Folgen haben.

Der NABU und der Zweckverband Landeswasserversorgung haben die Entscheidung mit mehreren, jahrelang betriebenen Klagen erwirkt. Gemäß insgesamt fünf Urteilen des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) müssen die Landesbehörden die beiden Verbände darüber informieren, welche Pflanzenschutzmittel wo, wann und in welcher Menge von Landwirten auf deren Flächen in Natur- und Wasserschutzgebieten ausgebracht wurden. Dazu müssen die Behörden im ersten Schritt die Aufzeichnungen bei den Landwirten abfragen. Die Angaben sollen anonymisiert weitergegeben werden.

NABU will bundeseinheitliche Regeln zur Veröffentlichung der Pflanzenschutz-Daten

Peter Hauk

Auch wenn das Urteil nur für Baden-Württemberg gilt, könnte es bundesweit Folgen haben. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger sprach vom „Startschuss für eine bundeseinheitliche Regelung zur Veröffentlichung der Einsatzdaten.“ Gestützt auf die Entscheidung aus Mannheim, hat der Naturschutzbund nach eigenen Angaben bereits in zehn weiteren Bundesländern Einsicht in die Aufzeichnungen der Landwirte beantragt. Im Zweifelsfall will der Verband seinen Informationsanspruch auch dort mit Hilfe von Klagen durchsetzen.

Darin besteht für die Landwirte allerdings eine kleine Hoffnung: Sollte eines der betroffenen Länder das Verfahren bis vor das Bundesverwaltungsgericht tragen, könnte eine bundesrichterliche Entscheidung anders ausfallen.

Für diesen Weg hat sich das Land Baden-Württemberg offensichtlich nicht entschieden. Die grün-schwarze Landesregierung will das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim umsetzen. Das bestätigte das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium gegenüber agrarheute auf Anfrage.

Ziel ist die Veröffentlichung der Anwendungsmengen im Internet

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger

Der Geschäftsführer der Landeswasserversorgung, Prof. Frieder Haakh, äußerte sich hocherfreut über die bereits im Mai ergangenen, insgesamt fünf Urteile (10 S 1348/20, 10 S 2060/20, 10 S 2422/20, 10 S 3972/20 und 10 S 1421/21). Um dauerhaft sauberes Trinkwasser zu garantieren, brauche der Verband die Informationen über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, sagte Haakh. Es sei ein Unding, dass das Land dies bislang blockiert habe.

Allerdings wollen NABU und der Wasserverband sich in Baden-Württemberg nicht damit begnügen, die Daten der Landwirte von den Behörden für ihre Zwecke zu erhalten. Sie fordern von der Landesregierung ein „Transparenzgesetz“. Das Ziel: Die Informationen über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sollen „proaktiv“ im Internet veröffentlicht werden. Das lehnt das Landwirtschaftsministerium ab. Ein Sprecher des Ressorts stellte gegenüber agrarheute klar: „Eine Veröffentlichung der spezifischen Daten ist nicht vorgesehen“.

Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg erwartet, dass die Daten der Landwirte nur absolut anonymisiert an die erfolgreichen Kläger herausgegeben werden. Allerdings befürchtet der Verband, dass für manche Naturschutzgebiete trotzdem Rückschlüsse auf die bewirtschaftenden Betriebe möglich sein werden.

Der NABU betont indes, es gehe nicht darum, einzelne Landwirte oder die Landwirtschaft im Allgemeinen an den Pranger zu stellen.

Ämter schreiben die betroffenen Landwirte an

In Baden-Württemberg machen sich die Regierungspräsidien und Landratsämter aufgrund der VGH-Urteile im kommenden Jahr an die Arbeit, die Anwendungsdaten der Landwirte in 60 Naturschutzgebieten und drei Einzugsgebieten von Kleingewässern für zurückliegende Jahre zu erheben.

Das Stuttgarter Ministerium rechnet damit, dass dies „längere Zeit in Anspruch nehmen wird“. Die Bewirtschafter der betroffenen Flächen würden, „soweit datenschutzrechtlich zulässig, angeschrieben und zur Übersendung der gewünschten Aufzeichnungen an die zuständige Behörde aufgefordert“, so das Ministerium.

Die EU-Pflanzenschutzverordnung verpflichtet Landwirte, die Bezeichnung der Pflanzenschutzmittel, den Zeitpunkt der Verwendung, die eingesetzte Menge, die behandelte Fläche und die Zielkultur aufzuzeichnen. Die Dokumentation muss für mindestens drei Jahre aufbewahrt werden. Eine automatische Weitergabe an die Behörden sieht das Pflanzenschutzrecht nicht vor.

Neues Landesgesetz verbietet Pflanzenschutzeinsatz in Naturschutzgebieten ohnehin

Zumindest in Baden-Württemberg könnten die Klagen des NABU und des Wasserzweckverbandes trotz der VGH-Urteile aus einem ganz anderen Grund künftig allerdings ins Leere laufen: Das neue baden-württembergische Biodiversitätsstärkungsgesetz verbietet den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten ab dem 1. Januar 2022 sowieso. Nur in besonderen Härtefällen können von den Regierungspräsidien auf Antrag Ausnahmegenehmigungen erteilt werden.

Nach Ansicht des Landesbauernverbandes wird das eine Datenauskunft überflüssig machen. Zudem beinhaltet das Gesetz eine Reduktionsstrategie. Das Ziel lautet, den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 landesweit um 40 bis 50 Prozent der Menge zu reduzieren. Dazu wird ein Messnetz aus repräsentativen Betrieben aufgebaut. Mit Hilfe dieses Betriebsmessnetzes soll die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln erfasst und im Landtag jährlich darüber berichtet werden.

Die Kläger haben sich also Urteile erstritten, die in Baden-Württemberg nur noch wenig praktische Bedeutung haben werden. Auf Bundesebene könnten sie damit allerdings einen Stein ins Rollen gebracht haben.

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