Zunächst wurden Bauern und Agrarwirtschaft mit einem massiven Angebotsschock konfrontiert. Nun folgt möglicherweise ein eben so heftiger Nachfrageschock. Analysten der Allianzversicherung haben die Auswirkungen dieser Marktverwerfungen auf die Branchen untersucht und kommen zu erschreckenden Ergebnissen: Sie rechnen wegen der Corona-Pandemie mit einer beispiellosen Pleitewelle in Europa.
Die am stärksten gefährdeten Sektoren sind demnach das Baugewerbe, die Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Dienstleistungssektor. Auch internationale Organisation wie WTO und FAO warnen mittlerweile vor den Folgen der Corona-Pandemie auf den Agrarhandel, die Nahrungsmittelversorgung und die Agrarpreise.
Bei den Preisen ist zudem nicht ausgemacht, dass sie in der Krise steigen – wie schon die Finanzkrise gezeigt hat. Dort war wegen des wegbrechenden Welthandels und des massiven Nachfrageschocks – nämlich das Gegenteil der Fall: Es ging steil nach unten.
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Ein Schock nach dem Anderen
Auslöst wurden derzeitigen Probleme der Agrarwirtschaft und Ernährungsindustrie – aber natürlich auch der übrigen Wirtschaft – zunächst durch einen massiven Angebotsschocks aufgrund der Pandemie. Ein Angebotsschock bedeutet, dass die Lieferketten – in Europa und weltweit – unterbrochen wurden und deswegen weniger Güter und Agrarrohstoffe gehandelt und verkauft werden können, wodurch das Angebot an Gütern reduziert wird.
Auch das Fehlen von Arbeitskräften drosselt die Produktion und damit das mögliche Angebot. Gleichzeitig kommen Hamsterkäufe auf der Nachfrageseite hinzu und dadurch ausgelöst Exportbeschränkungen in vielen Ländern und Regionen bei Nahrungsmitteln sowie eine weitere Angebotsverknappung.
Mittlerweile werden viele Unternehmen jedoch mit einem neuen, massiven Problem konfrontiert: Mit einem Nachfrageschock. Ursache ist, dass viele große Importländer und Regionen wie die USA, die EU und auch Asien und Nordafrika, weitreichende Quarantäne-Maßnahmen verhängt haben. Dadurch bricht die Wirtschaft in diesen Ländern ein, weshalb die Nachfrage nach Gütern ebenfalls kollabiert. „Das ist definitiv eine zweite Schockwelle für die Wirtschaft“, sagte ein Analyst aus Übersee.
Und noch eine Sache drückt mächtig auf die Nachfrage: Der massive Verfall der Ölpreise, um etwa zwei Drittel auf ein 20-Jahrestief. Dieser Absturz schwächt die Kaufkraft in vielen wichtigen Importregionen drastisch und drosselt die Nachfrage nach Agrarprodukten.
"Die Fähigkeit der Ölexporteure, Getreide und andere Nahrungsmittel (wie etwa auch Milchprodukte) zu kaufen, ist angesichts des Absturzes der Ölpreise und der Abwertung ihrer Währungen erheblich gesunken", sagte FAO-Ökonom Abbassian. "Es wird in diesen Ländern auch weniger Kapazitäten geben, um politische Maßnahmen zur Ankurbelung der Volkswirtschaften zu ergreifen." Das war auch schon in der Finanzkrise so.
Deutlich mehr Insolvenzen - auch in der Agrarwirtschaft
Die Analysten der Allianz rechnen wegen der Corona-Pandemie mit einer beispiellosen Pleitewelle in Europa. Sollte der Shutdown in Europa einen Monat dauern, erwartet die Analysten unter Berücksichtigung des Binnennachfrageschocks und des Rückgangs der Handelsströme, dass das BIP der Eurozone im Jahr 2020 um -1,8 Prozent schrumpfen wird. Dauert er einen Monat länger, dürften es -4,4 Prozent sein.
Für das verarbeitende Gewerbe rechnen die Experten mit einem Umsatzrückgang von 12 bis 18 Prozent. Die am stärksten gefährdeten Sektoren sind demnach das Baugewerbe, die Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Dienstleistungssektor. Insgesamt erwartet die Allianz einen Anstieg der Insolvenzen in Westeuropa um 16 Prozent im Jahr 2020. Staatliche Hilfsmaßnahmen können die Zahl der Pleiten zwar etwas begrenzen. Doch die Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt könnten verehrend sein.
Die Allianz-Experten unter den derzeitigen Bedingungen eine deutliche Zunahme der Insolvenzen insbesondere in Italien (+18%), Spanien (+17%) und den Niederlanden (+21%). Auch in Deutschland (+7%), Frankreich (+8%) und Belgien (+8%) würden die Firmenpleiten kräftig zunehmen. Noch sind sich die endgültigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie jedoch ungewiss. Fakt ist: Je länger der Shutdown dauert, desto schlimmer wird es für Bauern und Wirtschaft.
WTO: Agrarhandel erheblich gestört
Der Chef der Welthandelsorganisation (WTO) Roberto Azevedo sagte, dass die aktuellen Prognosen zeigen, dass der wirtschaftliche Abschwung und der durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Verlust von Arbeitsplätzen schlimmer sein würden als zur Rezession von 2008.
"Diese Pandemie wird unweigerlich enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft haben ", sagte Azevedo in einer Videobotschaft. Er sagte zwar, konkrete Prognosen seien noch nicht verfügbar, aber die WTO-Ökonomen erwarteten "einen sehr starken Rückgang des Handels".
Die Lebensmittelversorgungsketten müssen deshalb vor allen handelsbezogenen Maßnahmen geschützt werden, die während der COVID-19-Pandemie ergriffen werden, forderten die Leiter der Welthandelsorganisation (WTO) und der UN-Lebensmittel- und Gesundheitsbehörden.
"Die Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln kann eine Welle von Exportbeschränkungen auslösen und zu einem akuten Mangel auf dem Weltmarkt führen", sagte WTO-Chef Roberto Azevedo." Solche Reaktionen können das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage von Nahrungsmitteln verändern, was zu Preisspitzen und einer hohen Preisvolatilität führt."
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