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Krieg in der Ukraine

Bauern in Ukraine warnen: "Wir haben nur noch Zeit bis zum 1. April"

Ukraine-Hafen-Odesse-Silos-Soldat
am Samstag, 12.03.2022 - 11:15

Der Krieg in der Ukraine stellt auch die dortige Landwirtschaft vor gewaltige Herausforderungen. Im Interview mit agrarheute schildert Roman Slaston, Generaldirektor des ukrainischen Agribusiness Clubs, die Situation und erklärt, warum Agrarsanktionen gegen Russland derzeit der wichtigste Schritt zur Sicherung der globalen Nahrungsversorgung sind.

The war in Ukraine is posing huge challenges to agriculture in the country. In an interview with agrarheute, Roman Slaston, Director General of the Ukrainian Agribusiness Club, depicts the situation and explains why agricultural sanctions against Russia are currently the most important measure for global food security. The English orginal of the interview can be found below.

Wie ist die aktuelle Lage in der Ukraine in Bezug auf die Landwirtschaft?

"Russische Truppen halten ukrainisches Gebiet im Norden, Osten und Süden des Landes besetzt. In diesen Gegenden findet keinerlei landwirtschaftliche Tätigkeit statt, weder auf den Feldern noch in der Tierhaltung. Es ist schlicht nicht möglich. Insbesondere kann in diesen Gebieten keine Frühjahrsaussaat stattfinden."

Wie ist die Lage für die Tierhalter in den besetzten Gebieten?

"Die Lage ist schrecklich, vor allem für Milchvieh: Die Tiere können weder gefüttert noch gemolken werden. In der Region Cherson musste ein großer kommerzieller Geflügelbetrieb seinen gesamten Hähnchenbestand keulen, weil es nicht genug Futter für die Tiere gab. Sie können sich vorstellen, welches Elend so etwas bei den Landwirten auslöst, die sich um ihre Tiere kümmern wollen."

Wie ist die Lage in den Regionen der Ukraine, die nicht besetzt sind?

"Auf den meisten landwirtschaftlichen Betrieben im Süden und Osten des Landes konnten wir zum Glück die Frühjahrs-Grunddüngung durchführen, noch bevor die russische Invasion begonnen hat. Auf den Betrieben in der Mitte und im Westen des Landes konnten unsere Landwirte diese Arbeiten während der ersten Tage des Krieges erledigen. Derzeit ruht die Außenwirtschaft bei uns, voraussichtlich noch bis ungefähr zum 1. April."

Was tun die Landwirte der Ukraine derzeit?

"Normalerweise würden sie jetzt ihre Maschinen in Stand setzen aber heute reparieren einige stattdessen Panzer und andere militärische Ausrüstung. Andere heben Panzergräben aus. Ich glaube, jeder ukrainische Landwirt hat auf irgendeine Weise die Kriegsanstrengungen unterstützt, sei es durch Spenden von Weizen, Zucker, Sonnenblumenöl oder anderen Lebensmitteln. Die meisten haben der Armee den Kraftstoff gespendet, den sie eigentlich für die Frühjahrsaussaat gebraucht hätten."

Was fehlt den ukrainischen Landwirten derzeit am meisten?

"In den Gegenden, die unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen, ist das Hauptproblem der Landwirte, dass sie nicht genug Diesel für die Frühjahrsaussaat haben. Sie brauchen außerdem Saatgut, Düngemittel und Pestizide, aber Kraftstoff ist wirklich das wichtigste Problem. Ich schätze, dass wir rund 200.000 Tonnen Diesel benötigen, um die Frühjahrsaussaat in diesem Jahr abschließen zu können. Glücklicherweise hatten viele Landwirte einige Dieselreserven vor dem Krieg. Wenn die Kämpfe aber nicht bis spätestens zum 1. April aufhören, dann wird das zu großen Problemen und massiven Ernteausfällen in diesem Jahr führen."

Welche Rolle können Agrarexporte aus der Ukraine noch spielen?

"Der größte Teil unserer Agrarausfuhren ging über Schwarzmeerhäfen wie Odessa. Dieser Weg ist seit dem ersten Tag des Krieges komplett versperrt. Verschiedene Handelsschiffe wurden bereits von russischen Streitkräften angegriffen und versenkt. Wir versuchen derzeit, unsere Exportlogistik auf die Eisenbahn umzustellen, denn wir haben noch relativ große Getreidevorräte im Land. Vor der Invasion hatten wir gehofft, im Jahr 2022 15 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren. Auf der Schiene können wir vielleicht noch 600.000 Tonnen Getreide pro Monat verkaufen. Mit den Erlösen dafür könnten unsere Landwirte die Betriebsmittel kaufen, die sie für die diesjährigen landwirtschaftlichen Tätigkeiten brauchen."

Welches Potenzial sehen Sie für ukrainische Exporte wie Sonnenblumenöl, Presskuchen oder Geflügelfleisch?

Roman-Slaston-UCAB

"Neben Getreide wären unsere Hauptexporte 2022 Sojabohnen – etwa 1 Million Tonnen – und Sonnenblumenkerne – etwa 5 bis 6 Millionen Tonnen – gewesen. Unglücklicherweise wird die Ukraine dieses Jahr kaum Sonnenblumenöl exportieren, weil die meisten Ölpressen ihre Arbeit eingestellt haben. Ihnen fehlen Energie und Mitarbeiter, da viele Männer zur Armee oder den territorialen Verteidigungskräften gegangen sind. Wir werden aber weiterhin Sonnenblumenkerne exportieren können. Die Ukraine hat eine zollreduzierte Einfuhrquote von 100.000 Tonnen in die EU und eventuell sind wir in der Lage, diese Quote zu füllen. Große Reserven haben wir auch noch bei Geflügelfleisch. Unsere Exportunternehmen arbeiten sehr hart dafür, einen Teil davon in die Europäische Union zu verkaufen."

Sollten die Kämpfe vor Anfang April enden, welche Rolle im Agrarexport könnte die Ukraine dann in der nahen Zukunft spielen?

"Wenn es vor dem 1. April einen Waffenstillstand gibt oder die russischen Truppen abziehen, dann werden die Auswirkungen auf unsere Exporte nicht so groß sein. Sollten die Kämpfe danach noch andauern oder sogar noch heftiger werden, dann wird unsere Ernte um 40 bis 60 % einbrechen. Das wäre nicht nur für die Ukraine ein großes Problem, sondern auch für den Weltagrarhandel."

Wie ist um die nationale Lebensmittelversorgung in der Ukraine bestellt?

"Im Augenblick haben wir genug zu essen im Land – Mehl, Brot, Milch, Geflügelfleisch und so weiter. Es gibt logistische Probleme in den Gebieten, die angegriffen werden. Aber im Großen und Ganzen haben wir genug Vorräte für dieses Jahr. Sollte der Krieg wesentlich länger dauern, wäre die Situation im kommenden Jahr völlig anders."

Was können westliche Länder im Bereich Landwirtschaft tun, um der Ukraine zu helfen?

"Wir brauchen mehr Sanktionen gegen Russland, auch im Agrarbereich. Nichts anderes ist für unsere Landwirte oder in der Tat für die globale Ernährungssicherheit von gleich hoher Bedeutung. Sanktionen gegen Russland funktionieren. Bitte, verhängen Sie mehr Sanktionen! Durch Sanktionen erkennen auch normale Russinnen und Russen, dass Unrecht geschieht. Sie helfen ihnen, hinter die offizielle Propaganda zu schauen und einzusehen, wie Wladimir Putins Politik sie in eine sehr schlechte Situation bringt. Das ist der einzige Weg, den Krieg zu stoppen. Jede andere Unterstützung des Westens ist eine zweitbeste Lösung, denn sie verlängert nur das Töten."

Die Agrarminister der G7 haben sich am 11. März getroffen, um ihre Aktivitäten gegen eine globale Ernährungskrise zu koordinieren. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis dieses Treffens?

"Die G7 müssen begreifen, dass nur Sanktionen gegen Russland funktionieren – in jedem Bereich, von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln über Lebensmittel bis zu Embargos gegen russische Exporte. Meine Botschaft an die Ministerinnen und Minister ist: Verzögern Sie Sanktionen nicht. Noch ist Zeit für die ukrainischen Landwirte, aber nur noch bis spätestens zum 1. April. "

Haben Sie eine Botschaft für Landwirte in westlichen Ländern?

"Wir bitten alle Landwirte in demokratischen Ländern darum, mit ihren Unternehmen zu sprechen, egal ob sie im Besitz von Landwirten sind, so wie Genossenschaften, oder ob sie in irgendeiner Weise mit Landwirten arbeiten. Fordern Sie die Unternehmen auf, ihre Zusammenarbeit mit Russland und Belarus einzustellen, bis sie ihre Truppen von unserem Territorium zurückgezogen haben. Wir wissen, wie schwer das für multinationale Unternehmen ist, die sagen, dass ihnen Nahrungssicherheit wichtig ist. Doch jeder, der in diesen Tagen Geschäfte mit Russland macht, unterstützt deren Kriegsanstrengungen. Wenn es uns allen gemeinsam gelingt, diesen Krieg vor dem 1. April zu beenden, dann könne ukrainische und russische Landwirte aussäen und wir können die globale Lebensmittelkrise beenden, bevor sie wirklich beginnt."

Sollte der Krieg zu einem baldigen Ende kommen, wie schwer wäre dann der Wiederaufbau der ukrainischen Landwirtschaft?

"Nach dem Krieg wird Hilfe zum Wiederaufbau wichtig sein, aber vor allem in den Städten. Die ukrainischen Landwirte in den unbesetzten Teilen des Landes leiden noch nicht unter schweren Zerstörungen. Ich höre Geschichten von Landwirten in russisch-besetzten Regionen, wie russische Panzer und andere Militärfahrzeuge in Maschinenhallen versteckt werden, um sie vor Luftangriffen zu schützen. Ich habe auch von einem Düngerlager in der Nähe von Charkiw gehört, das von einer russischen Rakete getroffen wurde. Ich weiß aber nicht, wie häufig solche Vorkommnisse sind oder wieviel Schaden sie anrichten."

Wie wichtig ist die EU-Mitgliedschaft für ukrainische Landwirte?

"Ich weiß, dass viele europäische Agrarorganisationen skeptisch sind, was eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine angeht. Doch wir wollen nicht in die EU, um Subventionen zu beantragen. Wir wollen Unterstützung, um den Krieg zu beenden und wir begrüßen jede noch so kleine Unterstützung von Menschen mit demokratischen Werten, das wir bekommen können. Sicher ist für uns in der Ukraine eines: Wir wollen niemals in einer Diktatur leben."

Farmers in Ukraine warning: "We have only time until 1 April"

[In the following you will find the English original of the interview with Roman Slaston, Director General of the Ukrainian agribusiness club (UCAB).]

 

What is the current state of the war in Ukraine, as far as agriculture is concerned?

"We have Russian troops occupying Ukraine in the northern, eastern, and southern parts of Ukraine. No agricultural work is carried out in these regions, neither on the fields nor in animal husbandry. It is simply not possible. In these regions, no spring crops can be planted."

What about the situation of livestock farmers in the occupied territories?

"The situation is terrible, especially for dairy herds: They can neither be given fodder nor milked. In the region of Kherson, a large-scale commercial farm had to cull all its poultry, because they did not have enough feed for them. You can imagine what distress this situation is causing the farmers who want to take care of their animals."

How is the situation in those parts of Ukraine, which are not occupied?

"Luckily, we were able to spread fertiliser on our winter crops before the Russian invasion started on most farms in the south and east of our country. On the farms in the centre and west, our farmers managed to finish these works during the beginning of the war. There is currently a pause in agricultural activity, which will roughly last until April 1."

What are Ukrainian farmers doing right now?

"Normally, they would be taking care of their machinery but nowadays, some are repairing tanks and other military equipment. Others are digging anti-tank trenches. I think every Ukrainian farmer has made some contribution in kind to the war effort, be it wheat, sugar, sunflower oil or other food. Most have also given fuel, which was intended for their seeding campaign, to our army."

What are farmers in Ukraine lacking most in their daily work?

"In those areas that are under control of the Ukrainian government, the main problem of farmers is their lack of diesel for the spring campaign. They are also in need of seeds, fertilizers, and pesticides, but fuel is really their main concern. I estimate that we need another 200,000 tonnes of diesel to finish this year’s seeding campaign. Luckily, many farmers had some diesel reserves before the war. However, if this war is not stopped by April 1, that would cause substantial problems and lead to a massive loss in our harvest this year."

What role can Ukrainian agricultural exports currently still play?

"Most of our agricultural exports left the country through ports on the black sea like Odessa. This route has been completely closed since the first day of the war. Several merchant vessels have already been attacked and sunk by Russian forces. We are currently trying to rebuild our export logistics using railway transport, because we have quite a large stockpile of grain in the country. Before the invasion, we were hoping to export 15 million tonnes of grain in 2022. Using railways, we may be able to sell around 600,000 tonnes of grain per month. With these funds, our farmers would then buy the inputs they need for this year’s agricultural activities."

How much of a potential do you see for other Ukrainian exports such as sunflower oil, oilcake, or poultry meat?

"Other than grain our other main exports for 2022 would have been soybeans – roughly 1 million tonnes and sunflower seeds – roughly 5 to 6 million tonnes. Unfortunately, Ukraine will not be exporting much sunflower oil this year, because most processors had to stop their operations. They lack energy and staff, since many men went to the army or local defence units. We will however continue to be able to export sunflower seeds. We have an export quota of 100,000 tonnes of sunflower seeds to the EU at a reduced tariff rate and we might be able to fill this quota. As far as poultry meat is concerned, we still have quite large reserves. Our exporters are working very hard on being able to sell some of those to the European Union."

If there should be an end to the fighting before the beginning of April, what role as agricultural exporter do you think Ukraine can resume in the near future?

"If there is a ceasefire or if Russian troops leave Ukraine before April 1, the impact on our exports will not be so big. Should the fighting continue beyond that or get even worse, then our harvest may drop by maybe 40 to 60 %. This would be a real problem not just for Ukraine but for global agricultural trade, too."

How is the domestic food supply in Ukraine at the moment?

"We currently have enough to eat in the country – flour, bread, milk, poultry meat and so on. There are of course problems with logistics in areas that are under attack. But overall, we have stockpiles that will last us this year. Should the war drag out substantially longer, the next year will be an entirely different situation."

Is there anything that Western countries can do in terms of agriculture, that would be of help to Ukraine?

"We need more sanctions against Russia, also in the field of agriculture. Nothing else is equally important for our farmers or indeed for global food security right now. Sanctions against Russia are working. Please impose more sanctions! Through sanctions, ordinary Russians see that something wrong is happening. They help them to see behind official propaganda and realise, how Vladimir Putins policy is leading them into a very bad situation. This is the only way to stop the war. Every other type of support from the West is only second-best because it will only prolong the killing."

The agricultural ministers of the G7-countries met on 11 March, to coordinate their action against a global food crisis. How happy are you with the outcome of this meeting?

"The G7 must understand, that only sanctions against Russia will work – in every field, from agricultural inputs to food to embargoes against Russian exports. My message to the ministers is: Do not delay sanctions. There is still time for Ukrainian farmers, but only until April 1 at the latest."

Do you have a message to farmers in other Western countries?

"We are asking all farmers in democratic countries to speak with their businesses, be they farmer-owned cooperatives or those dealing with farmers. Ask them to suspend their business with Russia and Belarus until they have withdrawn their troops from our territory. We know that this is difficult for multinational corporations because they say they care about food security. But everyone who does business with Russia these days supports their war effort. If we all together manage to stop this war before April 1, Ukrainian farmers will be able to sow, Russian farmers will be able to sow, and we can end the global food crisis before it truly begins."

How difficult will the reconstruction of Ukrainian agriculture after the war be, if there should be a quick end to it?

"After the war, help with reconstruction of Ukraine will be important, but mainly in cities. Ukrainian farmers in the unoccupied parts of the country are not yet suffering from heavy destruction. I hear stories from farmers in Russian-occupied regions, how Russian tanks and other military vehicles are being hidden in their machinery halls, to shield them from air strikes. I have also heard of a fertiliser storage near Kharkov being hit by a Russian missile. But I do not how widespread these things are or how much damage they are causing."

How important is EU-membership to Ukrainian farmers?

"I know that many European farming organisations are sceptical about an EU-membership of Ukraine. But we do not want to join the EU to claim subsidies. We want support to stop the war and we appreciate every bit of help from people with democratic values that we can get. One thing is sure for us in Ukraine: We never want to live in a dictatorship."