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Lebensmittelkauf

Biomarkt in der Krise: Rehn sieht keine Chance für 30 Prozent bis 2030

Ein Alnatura-Markt in München: In vielen Biogeschäften bleiben die Kunden aus.
am Dienstag, 27.09.2022 - 13:12 (9 Kommentare)

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht der Alnatura-Geschäftsführer Prof. Götz Rehn vom „schlimmsten Einbruch im Biomarkt seit 35 Jahren“. Zahlen zeigen: Das Kaufverhalten der Verbraucher und die Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung des Ökolandbaus laufen derzeit weit auseinander.

30 Prozent Öko-Anteil an der Anbaufläche bis zum Jahr 2030, so lautet das Vorhaben der Bundesregierung. „Vollständig illusorisch“, urteilt Prof. Götz Rehn, Geschäftsführer des Biolebensmittelherstellers Alnatura, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ). Um dieses Ziel zu erreichen, müssten bundesweit jährlich 450.000 ha umgestellt werden. 2021 seien es lediglich 80.000 ha gewesen.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 30 Prozent Ökolandbau in Deutschland zu erreichen. Damit übertrifft Deutschland noch das Ziel der EU von 25 Prozent Bio-Anteil an der Landwirtschaft bis 2030. Der Branchenverband BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) kritisiert bereits seit längerem, dass die im Nationalen Strategieplan dafür bereitgestellten Mittel bei weitem nicht ausreichten, um das Ziel von 30 Prozent Bio zu erreichen.

Biolandwirte: gigantisches Drama bahnt sich an

Rehn wies im Interview darauf hin, dass viele Ökolandwirte noch die Ernte 2021 auf Lager hätten und diese nicht vermarkten könnten, da die Nachfrage eingebrochen sei. „Das Drama, das sich da anbahnt, ist gigantisch“, so der Alnatura-Chef. Es bestehe die Gefahr, dass Biobauern den Ökolandbau aufgeben und wieder rückumstellen zur konventionellen Landwirtschaft.

Bioprodukte bleiben im Regal

Durch die Inflation und die Unsicherheit wollten die Verbraucher sparen und griffen wieder vermehrt zu Waren aus Supermarkt und Discounter, erklärt der 72-jährige Bio-Pionier. Bei Rewe, Aldi und Lidl aber träfe man auf „industriell produzierte Massenware“ und Lebensmittel, die mit Milliarden Euro aus Steuergeldern subventioniert würden. „Die Preise lügen“, erklärt Rehn. Das verzerre den Wettbewerb.

Besonders stark trifft die Krise derzeit Naturkostläden und Reformhäuser, die im ersten Halbjahr 2022 laut GfK einen Umsatzeinbruch von 39 Prozent verzeichneten, wie die Lebensmittel Zeitung berichtet. Bei Hofläden lagen die Rückgänge bei rund 17 Prozent, die Biosupermärkte mussten knapp 15 Prozent Umsatzverlust hinnehmen. Erste Händler und Läden, vor allem kleine Geschäfte, haben bereits Insolvenz angemeldet. Die Biobranche treffe der Einbruch umso härter nach dem „unglaublichen Bio-Boom“ 2021, der manche dazu verleitet habe, Projekte anzugehen, die sie heute in Schwierigkeiten bringen, so Rehn.

Stehen Bio-Landwirte vor dem Aus?

Nachdem der Absatz mit Biolebensmitteln in der Coronakrise boomte, trifft das veränderte, sparsamere Verbraucherverhalten die Bio-Branche nun umso härter. Der Absatz von Biolebensmitteln in Supermärkten stockt, Discounter listen Öko-Produkte aus, die Kunden in Naturkostfachhandel und Bio-Hofläden bleiben aus. „Ich kann die Preissteigerungen meiner Lieferanten nicht an meine Kunden weitergeben“, berichtet eine Biolandwirtin. „Dann würde gar keiner mehr in den Laden kommen.“ Dabei hatte sich Bioverbände Anfang des Sommers noch optimistisch gezeigt, vor allem, weil die Biobauern weniger stark als ihre konventionellen Kollegen betroffen seien von gestiegenen Energie- oder Düngekosten.

FiBL: Discounter könnten mehr für Bio tun

Nach Ansicht des Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) haben besonders die Discounter und Supermärkte einen starken Einfluss auf das Bio-Kaufverhalten der Kunden. 62 Prozent des Umsatzes mit Biolebensmitteln werden im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel erzielt. Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Kaufland, Lidl, Netto Markendiscount, Penny und Rewe nutzten ihren Handlungsspielraum bisher aber nur unzureichend, um das Ernährungssystem umweltfreundlicher zu gestalten, behauptet eine aktuelle Studie des FiBL Schweiz im Auftrag des deutschen Umweltbundesamtes (UBA).

Ladengestaltung, Produktplatzierung und Werbung täten noch zu wenig, um die Menschen zu umweltfreundlicheren Kaufentscheidungen zu motivieren. So sei Werbung für umweltfreundliche Produkte bei allen untersuchten Supermärkten anteilsmässig unterrepräsentiert. In Wochenprospekten machten Lebensmittel, die mit Nachhaltigkeitslabeln zertifiziert sind, nur knapp 7 Prozent der beworbenen Esswaren aus.

Mit Material von Süddeutsche Zeitung, Lebensmittel Zeitung, FiBL

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