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Landwirtschaft und Corona-Pandemie

Coronakrise: In Indien bricht die Versorgung zusammen

Getreideernte in Indien
am Mittwoch, 08.04.2020 - 20:52 (1 Kommentar)

Ende März hat auch Indien, der weltweit größte Reisexporteur, eine Quarantäne über das ganze Land verhängt.

Auf dem Subkontinent sind mehr als die Hälfte der 1,3 Milliarden Menschen von der Landwirtschaft abhängig. Die Quarantäne hat jedoch die Transport-Logistik im Inland und im Export zum Erliegen gebracht und massive Versorgungsprobleme und Preisturbulenzen ausgelöst – mit spürbaren Folgen für alle umliegenden Länder.

"Mühlen und Bauern lagern mittlerweile Reis ein, da die Sorge über eine Nahrungsmittelknappheit zunimmt, falls der Ausbruch des Coronavirus sich weiter verschlimmert", sagt ein Reishändler aus Bangkok, in Thailand. In Vietnam, dem weltweit drittgrößten Reisimporteur, sind die Reispreise diese Woche auf ein 7-Jahreshoch nach oben geschossen.

"Die möglichen Auswirkungen von Aussaat- und Erntestörungen durch Covid 19 sind in ärmeren Ländern mit großer Bevölkerung am akutesten", sagt Abdolreza Abbassian, Senior Economist bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO,) zu der aktuellen Situation in Indien.

Wanderarbeiter sind ohne Arbeit und Essen

Reis

Indien  das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt, in dem ein Großteil der Menschen noch in der Landwirtschaft arbeitet – gehört zu den am stärksten von den Störungen bei den Lieferketten, den Arbeitskräften und der Versorgung betroffenen Ländern. Premierminister Narendra Modi hatte am 25. März eine zunächst 21-tägige Quarantäne, mit einem sehr kurzen Vorlauf von nur wenigen Stunden über das Land verhängt.

Viele der 120 Millionen indischen Wanderarbeiter haben nun Schwierigkeiten, nach Hause zu kommen, und sie haben oft kein Geld mehr für Miete, Essen oder die Rückreise. Die wichtigste nördliche Getreideregion Indiens ist eigentlich dringend auf die Arbeitskräfte aus den östlichen Teilen des Landes angewiesen, doch die Arbeiter mussten die Farmen wegen der Quarantäne-Maßnahmen verlassen.

"Wer soll nun die Getreidesäcke füllen, die Produkte auf den Markt bringen und zu den Mühlen transportieren?", sagt ein Händler auf dem Khanna-Getreidemarkt in Punjab, dem größten Markt des Landes.

Ernte steht auf den Feldern – es fehlen Arbeitskräfte

Reisernte

Der massive Arbeitskräftemangel, der durch die 21-tägige Sperrfrist Indiens ausgelöst wurde, wird vor allem die Ernte von Winterkulturen beim weltweit drittgrößten Produzenten von Weizen in der Welt behindern. Die nördlichen Staaten Punjab, Haryana und Uttar Pradesh sind der „Brotkorb“ des Landes und dringend auf die Landarbeiter aus Ostindien angewiesen.

Doch die meisten der Arbeiter kehrten nach der landesweiten Sperrung am 24. März in ihre Dörfer zurück, aus Angst vor dem Virus – aber auch ohne Einkommen und Nahrung. "Wir haben so etwas noch nie erlebt", sagte ein Bauer aus Punjab. "Wir haben überhaupt niemanden mehr für die kurz bevorstende Ernte."

Indien hat für dieses Jahr eine Rekordproduktion von rund 106 Millionen Tonnen Weizen prognostiziert, und die indischen Farmer könnten außerdem 7,8 Millionen Tonnen Raps ernten. Einige Farmer haben bereits im März mit der Ernte von früh gesäten Winterweizen und Raps begonnen. Doch die meisten Landwirte werden wohl erst Mitte April mit der Ernte beginnen.

Vermarktung von Getreide derzeit unmöglich

Getreidetransport Indien

Der beispiellose Arbeitskräftemangel wird es für die Farmer aber schwer machen, die Erntemaschinen auf die Felder zu bringen. Spätere Ernten bedeuten meist deutlich geringere Erträge, und auch ein kleineres Zeit-Fenster für den Anbau der nachfolgenden Feldfrüchte. Selbst wenn es den Landwirten irgendwie gelingt, die Ernte einzubringen, stehen sie als nächstes vor dem Problem, die Produkte auf den Markt zu bringen, da kaum Lastwagen und Transportarbeiter zur Verfügung stehen.

Die meisten indischen Farmer verkaufen ihre Produkte nämlich auf Großhandelsmärkten, die wiederum von sehr vielen Arbeitern und Hilfskräften abhängig sind, um große Mengen Getreide zu entladen, zu wiegen und einzulagern. Der Personalmangel könnte auch die nötwenigen Zahlungen für Produkte der Landwirte verzögern.

Der Arbeitskräftemangel dürfte die indischen Großhandelsmärkte völlig lahm legen, befürchten Landwirte und Getreidehändler und zudem wird die Versorgung der Bevölkerung massiv gestört. Neben den Getreidebauern haben derzeit auch die Gemüsebauern erhebliche Schwierigkeiten, ihre Produkte zu vermarkten.

Massive staatliche Hilfen – Hungergefahr

Getreidesäcke

Indiens Pandemie könnte zu einer menschlichen Tragödie werden. Die Regierung hat ein Hilfspaket in Höhe von 23 Mrd. USD angekündigt, um Wanderarbeitern und Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, zu helfen. Die Wanderarbeiter sind nach Erkenntnissen der Nachrichtenagentur Reuters teil der „unorganisierten informellen Industrie Indiens“, die immerhin 94 % der Bevölkerung beschäftigt und 45 % zur Gesamtproduktion beiträgt.

Dieser Teil der Wirtschaft trägt die Hauptlast der Sperrung, da Tausende über Nacht arbeitslos und ohne Einkommen sind. „Niemand darf hungern", sagte Indiens Finanzminister Nirmala Sitharaman bei der Ankündigung des Krisen-Pakets – das eine Kombination aus direkten Geldtransferleistungen und Maßnahmen zur Ernährungssicherung sein soll.

Die wirtschaftlichen Folgen der beispiellosen Sperrung sind gravierend. Viele Unternehmen haben geschlossen, die Arbeitslosigkeit ist rasch gestiegen und die Produktivität ist eingebrochen.

Indiens Wirtschaft geht in die Knie

Indiens Wirtschaft hatte schon vor Corona große Schwierigkeiten. Lange Zeit war das Land eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Im vorigen Jahr verlangsamte sich das Wachstum auf 4,7 % - das war der kleinste Zuwachs seit sechs Jahren. Die Arbeitslosigkeit erreichte ein 45-Jahres-Hoch.

Das Coronavirus drückte zuletzt auch noch auf die indischen Agrarpreise, denn die Landwirte konnten ihre Produkte weder im Inland vermarkten noch exportieren. Gleichzeitig explodierten die Preise – etwa für Reis in den umliegenden Ländern, denn Indien ist eigentlich der weltweit größte Reisexporteur mit einem Ausfuhrvolumen von schätzungsweise 10 bis 11 Mio. Tonnen.

Die Versorgungsprobleme in Indien sind auch auf der anderen Seite der Welt schnell zu spüren. In Kanada sind die Importe von indischem Spezialgemüse wie Zwiebeln, Okra und Auberginen in den letzten zwei Wochen um bis zu 80 Prozent eingebrochen, sagt Clay Castelino, Präsident von Orbit Brokers in Ontario.

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