„Das Coronavirus ist die größte Gefahr für die Weltwirtschaft seit der globalen Finanzkrise“, schreibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Anfang März in ihrer Konjunkturprognose. Auch die Agrarmärkte hat das Virus fest im Griff. Die Folgen für den globalen Handel, das Wirtschaftswachstum und die Preise sind nicht abzusehen.
Michael Bissinger von der DZ Bank sagt: "Klar ist, dass die wirtschaftlichen Folgen erheblich sein werden. Das gilt selbst dann, wenn sich die Krankheit tatsächlich auf dem Rückzug befindet und noch im ersten Quartal weitgehende Entwarnung gegeben werden kann." Ursache ist, dass die bereits entstandenen wirtschaftlichen Schäden durch Produktionsausfälle, gestörte Lieferketten, eingeschränkten Konsum und Störungen im Reiseverkehr, vor allem für China und viele asiatische Staaten, schon jetzt erheblich sind.
Gleichzeitig ist China sowohl für die deutsche Industrie als auch für die heimische Agrarwirtschaft ein immens wichtiger Handelspartner und Absatzmarkt.
Wirtschaft auf Talfahrt
Die Coronaepidemie schickte die weltweiten Aktienbörsen ebenso auf Talfahrt wie die globalen Agrar- und Rohstoffmärkte. Zuletzt hatten Infektionen vor allem in Südkorea, Italien, im Iran und in Japan stark zugenommen. Die Liste der betroffenen Länder war bis Anfang März auf etwa 88 gestiegen. "Das war die ganze Zeit die Angst, dass das Virus nicht in China bleiben würde", sagte Claudio Galimberti, von der Analystenfirma S & P Global Platts.
Ökonomen erwarten mittlerweile erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft in China und weltweit. Das zeigte eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 40 Ökonomen aus China, Hongkong, Singapur, Europa und den Vereinigten Staaten. Diese prognostizierten, dass das Wirtschaftswachstum in China im ersten Quartal 2020 von 6,0 Prozent auf 4,5 Prozent einbricht.
Damit würde das Wachstum von 6,1 Prozent im Jahr 2019 auf 5,5 Prozent im Jahr 2020 gedrückt. So schlecht hat sich Chinas Wirtschaft seit über 30 Jahren nicht entwickelt. Doch die Chinesen bleiben optimistisch: „Ich denke, das Virus wird bis April unter Kontrolle sein“, sagte Bingnan Ye, leitender Analyst der Bank of China.
Der globale Motor stottert
An den globalen Agrarmärkten hat das Coronavirus bereits empfindliche Preiskorrekturen ausgelöst. Noch ist jedoch nicht klar, welche Folgen Corona wirklich für Chinas Wirtschaft und den Welthandel hat. Die anhaltende Ungewissheit ist aber der Nährboden für Spekulationen und Ängste. Kommt Chinas Wirtschaft jedoch stärker unter die Räder – dann gerät auch der Motor der Weltwirtschaft ins Stottern. Schließlich ist das Reich der Mitte für 18 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich – im Vergleich zu 4 Prozent im Jahr 2003 – als das Sarsvirus die Welt in Schrecken versetzte.
Zahlreiche chinesische und ausländische Firmen meldeten bereits gravierende Auswirkungen auf Warentransport und Logistik. „Viele Unternehmen sind möglicherweise nicht in der Lage, ihre Verträge zu erfüllen", heißt es in einer Erklärung des Pekinger Handelsministeriums. Besonders drastisch sind die Auswirkungen des Virusausbruchs auf den Konsum, sagt Lian Weiliang, der Vorsitzende der staatlichen Plan-Kommission. China sei jedoch in der Lage, die Auswirkungen zu minimieren, ist Lian überzeugt.
Geplant ist unter anderem, die staatlichen Nahrungsmittelreserven freizugeben, um Versorgungsengpässe zu lindern, berichtet die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Kommunen wurden außerdem aufgefordert, ihre Nahrungsreserven zu ergänzen und lokale Verkäufe außerhalb der sonst üblichen Zeiten zulassen. Doch die Lage bleibt angespannt. "Niemand weiß derzeit, welchen Schaden Chinas Bemühungen zur Eindämmung des Virus für die Wirtschaft haben werden“, sagt Freya Beamish, Finanzanalystin aus London.
Export nach China massiv gestört
Die Coronaepidemie stört auch den Export von Fleisch und anderen Nahrungsmitteln nach China – obwohl der Bedarf eigentlich hoch ist. Chinas Fleischversorgung leidet nämlich schon seit längerem unter den Folgen der Afrikanischen Schweinpest (ASP). Der Ausbruch von ASP hat Chinas riesige Schweineherde fast um die Hälfte dezimiert und die Schweinefleischpreise auf Rekordhöhen getrieben.Gleichzeitig ist der Bedarf an Fleischimporten stark gewachsen.
Nach Berichten des US-Fleischgiganten Tyson Foods hat Corona die Fleischlieferungen nach China jedoch empfindlich gestört. Außerdem behindert die Epidemie die Einkäufe der Chinesen in Geschäften und Restaurants und stört das Abladen von Agrarprodukten an den Häfen. Das gleichzeitige Auftreten von Corona und ASP macht aber die Probleme deutlich, denen sich das importabhängige China bei seinen Bemühungen, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern, gegenübersieht.
Doch das Virus hat auch die zuvor boomende chinesische Nachfrage ausgebremst, da viele Städte unter Quarantäne gestellt wurden und die Fleischpreise explodierten. Ein Sprecher von Tyson Foods sagte jedoch, man habe sehr viele Bestellungen in den Büchern. Sobald das Coronavirus überwunden ist, glaubt man, dass es eine sehr starke Nachfrage geben wird.
Sperrzonen und viele Probleme
Und China hat noch ein Problem: „Corana hat den Produktionsbeginn zahlreicher neuer Schweinezuchtanlagen verzögert und die Versorgung mit Schweinefleisch verschlechtert“, teilte Kong Liang mit, stellvertretender Direktor des Amtes für Tierhaltung und Veterinärwesen.Kong sagt: „Der Ausbruch des Coronavirus hat die Lieferung von Futter und Tierarzneimitteln gestört und die Rückkehr der Landarbeiter zu den landwirtschaftlichen Betrieben verzögert.“
Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, hat man den Transport von Menschen und Gütern aus Wuhan, dem Zentrum des Ausbruchs, sowie aus anderen Regionen unterbunden. "Infolge der Lieferprobleme sind die Schweinefleischvorräte nun knapp und die Preise sind kräftig gestiegen", beschreibt Kong die Situation. Die Behörden haben deshalb schon mehrfach gefrorenes Schweinefleisch aus der strategischen Reserve freigegeben.
Präsident Xi Jinping hat außerdem zugesagt, die Landwirtschaft und andere Industrien finanziell zu unterstützen. Die Regierung prüft deshalb Steuersenkungen, Zinssenkungen und auch Zahlungen an besonders betroffene Regionen und Branchen, sagte Finanzminister Ou Wenhan. „Die Hoffnungen, dass der Ausbruch sehr schnell eingedämmt werden kann, waren also verfrüht,“ kommentierte die japanische Mizuho-Bank das Geschehen.
Die Häfen sind verstopft
Fleisch wird in Kühlcontainern nach China geliefert. Importunternehmen erhalten normalerweise Container, sobald sie eintreffen, und schaffen so Platz für andere. Mehrere chinesische Häfen haben jedoch keine Kapazitäten mehr für Kühlcontainer, da nur wenige Empfänger sie abholen, berichten Logistikunternehmen.
„Die Container müssten nach dem Entladen eigentlich an die Stromversorgung angeschlossen werden, um gefrorenes Fleisch und andere Lebensmittel kalt zu halten. Das ist aber oft nicht mehr möglich“, sagt der Manager eines Terminalbetreibers aus Los Angeles. So bringt das Coronavirus den weltweiten Handel mit Containerschiffen aus dem Gleichgewicht.
Darüber hinaus funktionieren Lagerhäuser in der Nähe von Hafengebieten ebenfalls nicht mehr. Dies hat dazu geführt, dass Schiffe von China nach Hongkong, Südkorea, Taiwan und Vietnam umgeleitet wurden. Eine wachsende Zahl großer Unternehmen gibt mittlerweile Gewinnwarnungen heraus und sagt, dass logistische Probleme und Fabrikstillstände in China die globale Lieferkette massiv stören.
Angst drückt die Preise
„Im Moment ist es wie ein Wettrennen nach unten", befürchtet die chinesische Analystin Jingyi Pan." Angesichts der anhaltenden Unsicherheit ist es möglicherweise noch zu früh, zu glauben, dass der Tiefpunkt der Krise schon erreicht ist", sagt Pan. Dabei waren die Märkte zuletzt zuversichtlich. Der Handelskrieg zwischen den USA und China schien beendet und der Welthandel belebte sich auch im Agrarbereich. Daraus scheint nun so schnell nichts zu werden.
Die Auswirkungen der Coronakrise könnten nämlich langfristig sein, befürchten immer mehr Analysten. Das Risiko einer schrumpfenden globalen Nachfrage hat zudem auch die Besorgnis an den Getreide- und Ölsaatenmärkten verstärkt. "Die Entwicklung der Nachfrage wirft Fragen auf, deren wirtschaftliche Auswirkungen möglicherweise stark auf die globalen Märkte wirken", schreibt das französische Beratungsunternehmen Agritel.
Die Agrarpreise folgten jedenfalls den abstürzenden Rohöl- und Energiepreisen nach unten. "Investoren, die derzeit scharenweise die Rohstoff- und Agrarmärkte verlassen, drücken dabei massiv auf die Preise“, kommentierte die Commonwealth Bank of Australia das Geschehen.
Stresstest auch für Deutschland
Die Folgen der Coronakrise für die deutschen Bauern sind ebenso ungewiss, wie die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Sicher scheint derzeit aber, dass es nicht ohne Blessuren abgeht. Zu eng sind die globalen Agrarmärkte vernetzt. Vor allem solch stark exportorientierten Branchen wie Fleisch, Milch und Getreide könnten in den nächsten Wochen Probleme bekommen. Zum einen wegen der unter Druck stehenden Weltmarktpreise, zum anderen wegen des ins Stocken geratenen Absatzes nach China und Asien.
"Die Coronaepidemie ist ein Stresstest für die Wirtschaft, den einige Lieferketten mit starkem China-Fokus derzeit nicht bestehen", sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Das gilt wohl auch für die Agrarbranche. Kreisten die Sorgen der Agrarexporteure bisher um Handelskrieg, Protektionismus und einen harten Brexit, könnte es nun mit dem Virus einen möglichen Auslöser für eine weitaus schlimmere Krise geben.
Doch vielleicht erholen sich Chinas Wirtschaft und der Welthandel schneller, als uns alle Prognosen glauben machen. Das wäre den deutschen Bauern jedenfalls zu wünschen.
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