
Was sollen die Bauern glauben? Keine Prognose hat in diesem Jahr bisher auch nur einigermaßen gestimmt. Die Getreidepreise sind so weit oben wie zuletzt vor acht Jahren. Die meisten Landwirte können sich an solch hohe Kurse gar nicht mehr erinnern. Allerdings kam auch einiges zusammen an überraschenden Wendungen. Auf der Angebotsseite sorgten vor allem die kleineren Ernten in den USA lange für Treibstoff.
Hinzu kamen natürlich die anhaltenden Probleme und Verwerfungen in Südamerika – erst bei der Aussaat, dann bei der Ernte. La Nina lässt grüßen. Und bei den Südamerikanern schrumpft gerade die zweite, für den Weltmarkt enorm wichtige Maisernte (Safrina) immer weiter zusammen.
Mindestens ebenso wichtig war jedoch die Nachfrageseite: Hier hat China aufgrund eines rasanten Neuaufbaus seiner Schweinebestände viel mehr Weizen, Mais, Gerste und Sojabohnen am Weltmarkt gekauft als jemals zuvor – und das geht ganz offensichtlich in diesem Tempo weiter.
Hinzu kommen die Verwerfungen der Coronakrise. Diese haben zu Hamsterkäufen, Vorratshaltung und Handelsregulierungen in etlichen Import- und Exportländern geführt. Russland hat trotz einer Rekordernte hohe Exportzölle eingeführt, um die explodierende Inflation am Binnenmarkt zu bekämpfen.
Ähnlich sind Argentinien und eine Reihe asiatischer Länder vorgegangen. Dazu kommen anhaltend gestörte oder unterbrochene Lieferketten und explodierende Transportkosten.
Der perfekte Sturm - sorgt für weiter steigende Preise

Das ist geradezu der perfekter Sturm – der offenbar noch lange nicht vorbei ist. Denn die zunächst guten Aussichten für die nächste Ernte verdüstern sich zusehends und sorgen für steigende Preise. Besonders kritisch wird die Phase dazwischen, also die Monate bis zu neuen Ernte. Analyten glauben nämlich, dass die globale Versorgung bei Mais und Soja bis zum nächsten Herbst extrem angespannt sein wird, denn die Läger sind schon jetzt gähnend leer.
Die Folge: Amerikaner und Südamerikaner können die eingegangen Lieferverpflichtungen mit China und anderen großen Abnehmern nur mit großer Mühe oder gar mehr nicht erfüllen. Das sorgt natürlich für Spekulationen und weiter steigende Preise. Hinzu kommt, dass es für die neue Ernte bereits eine ganze Reihe „schlechter Nachrichten“ gibt. Nicht nur, dass man Brasiliens zweite Maisernte bereits um 10 Millionen Tonnen nach unten korrigiert hat. Auch in den USA wollen die Farmer – für viele überraschend – deutlich weniger Mais und Soja aussäen als ursprünglich erwartet.
Hinzu kommt, dass es fast im gesamten US-Maisgürtel extrem trocken und weiterhin sehr kalt ist. Auch das ist eine Folge von La Nina. Diese Dürre macht auch den Weizenbauern im Norden der USA zu schaffen und den Farmern in den kanadischen Präriestaaten. Dort müssen eigentlich Sommerweizen und Sommerraps (Canola) in den Boden, doch der läuft einfach nicht auf, weil es knochentrocken und kalt ist.
Später Frost hat auch dem Winterweizen in den südlichen Anbaugebieten der USA zugesetzt, berichten Wetterdienste. Das sorgt dafür, dass die Weizenpreise für die neue Ernte in den USA und Kanada bereits höher sind als die zuletzt auf 8-Jahreshoch gestiegene alte Ernte. Wenn das keine gute Nachricht für die Bauern ist! Außerdem profitiert der Weizen sehr stark von den sehr hohen Maispreisen, denn er ist das wichtigste Substitut für Mais im Tierfutter – nicht nur in China.
Wie China einkauft, gibt den Ausschlag

Vieles wird davon abhängen, wie China weiter einkauft. Im Reich der Mitte selbst haben die Behörden schon große Mengen Getreide – vor allem Weizen – aus den riesigen staatlichen Lagern an Tierhalter und Futterhersteller verkauft. Trotzdem sind die importieren Mengen so hoch wie noch nie. Außerdem will Peking, dass in allen Rationen teure Futtermittel wie Mais und Soja durch preiswerte Getreidearten und Importe ersetzt werden – wie etwa Weizen, Gerste oder Sorghum.
Ein Grund für den hohen chinesischen Futterverbrauch ist nicht nur der rasche Wiederaufbau der Schweinebestände, es ist auch die veränderte Struktur der chinesischen Schweineproduktion. Anders als noch vor einigen Jahren dominieren nämlich mittlerweile riesige industrielle Schweinefarmen die Produktion, die die Schweine in Hochhäusern halten und ganze Schweinestädte errichten – wie im Science-Fiction-Roman. Diese schnell wachsenden Riesenfarmen können sich aber nur über zukaufte Futtermittel versorgen und heizen damit den Import kräftig an.
Das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) geht bei Mais und Weizen im neuen Wirtschaftsjahr weiter von sehr hohen Importmengen aus, denn die zweite ASP-Welle hat das Wachstum der chinesischen Schweineherde allenfalls etwas gebremst, nicht jedoch unterbrochen. Doch aus den eigenen Mitteln wird dieser Boom nicht zu bewältigen sein.
Selbst wenn die neue chinesische Ernte so groß ausfallen sollte, wie die chinesischen Behörden derzeit schätzen – die Läger sind gähnend leer und werden wohl nicht so schnell wieder gefüllt werden können. Das heißt: Der Importbedarf bleibt auf längere Zeit hoch. Außerdem stehen Analysten den chinesischen Zahlen misstrauisch gegenüber. Nur selten zeigen sie die Wirklichkeit, wie die Markturbulenzen in diesem Jahr bestätigen.
Russland mit Auswinterung – China kauft in Frankreich

In Russland hat es trotz der Rekordernte im vorigen Jahr hohe Exportzölle gegeben. Für die neue Ernte haben die russischen Bauern den Anbau von Winterweizen zwar deutlich ausgeweitet, sagen Analysten, doch hat eine polare Kältewelle dem russischen Weizen ebenso zugesetzt wie den Weizenpflanzen im Süden der USA und in einigen Regionen Europas. Mehr als 700.000 Hektar müssen umgebrochen werden, sagt das russische Beratungsunternehmen IKAR – und hat seine sehr hohe Ernteschätzung von zuvor 81 Mio. auf 79,5 Mio. Tonnen nach unten korrigiert. Auch das wäre aber noch ein Top-Ergebnis.
Die Aussaat von Sommerweizen liegt in Russland in diesem Jahr zeitlich sehr weit zurück, denn es war lange sehr kalt und im Frühjahr lag noch viel Schnee. Aus der Ukraine melden Analysten aber hohe Ernteprognosen bei Winterweizen und die Pflanzen sind in guter Verfassung. Doch diese Nachrichten haben dem Markt bisher nicht viel anhaben können. Im Gegenteil: Die meisten Analysten glauben, dass eine große russische und ukranische Ernte unbedingt gebraucht wird, um die globale Versorgung einigermaßen zu sichern.
Denn auch in Europa ist noch lange nicht klar, was am Ende wirklich von den Feldern geholt wird. Hier gehen Analysten wie Strategie Grains derzeit von einer deutlich größeren Weizenernte aus als im vorigen Jahr. Der Grund: Vor allem Frankreich ist mit einer erheblich größeren Aussaatfläche bei Wintergetreide in die Saison gestartet. Im April hat der französische Weizen zwar einige Frostschäden abbekommen, trotzdem geht man weiterhin von einer relativ guten Ernte aus. Das Problem ist jedoch: In Frankreich feht in vielen Regionen Regen, damit sich die Pflanzen gut entwicklen können.
Eine gute franzöische Ernte wird aber nötig sein, denn China hat nach Auskunft von Händlern in Frankreich schon große Mengen Weizen der neuen Ernte geordert. Das war auch schon in der laufenden Saison so, in der Frankreich zu einem der wichtigsten Getreidelieferanten Chinas aufgestiegen ist.
Deutschland bleibt bei diesem Geschäft bisher außen vor, denn es gibt mit China noch keine phytosanitären Zertifikate. Hier wäre auch für deutsche Bauern einiges zu holen, denn Peking zahlt den Lieferanten hohe Preise, weil das Getreide am chinesischen Binnenmarkt noch erheblich mehr kostet.
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