
Der Markt ist „hungrig nach Getreide und die Volatilität ist ganz außergewöhnlich“, sagt Gautier Le Molgat, Analyst bei Agritel. Die Getreidepreise sind hoch, wie nie zuvor und die neue Ernte steht bisher nur auf dem Papier. Für deutsche Bauern heißt dass, das die neue Ernte nicht nur für die Versorgung in Deutschland wichtig ist, sondern für die ganze Welt.
„Wir werden so ziemlich jeden Hektar brauchen, um die globale Nachfrage zu befriedigen“, sagte ein Getreidehändler aus Chicago. „Normalerweise variieren die Getreidepreise je nach Wetter, erwarteten Erträgen und dem Spiel von Angebot und Nachfrage. Aber im gegenwärtigen Kontext, der für die von Schwarzmeerexporten abhängigen Länder besonders schwierig ist, bestimmt die Geopolitik den Markt und hält die Preise weit oben,“ sagt Molgat.
In realen Zahlen hört sich das noch bedrohlicher an. Der Weizenpreis ist in Europa seit Kriegsbeginn um 55 % gestiegen, der Maispreis ist um 40 % nach geschossen und Gerste hat sich um 50 % verteuert. Der Grund: Seit Beginn der russischen Invasion sind die ukrainischen Häfen blockiert, über die das Land die meisten Weizen- und Maisexporte abwickelt. Ein schnelles Ende der Krise ist nicht in Sicht und der Markt verarbeitet die Auswirkungen des Konflikts auf Fruchtfolge und Produktion im Jahr 2022.
Die Ukraine wird voraussichtlich lange Zeit von den Handelsströmen auf dem Seeweg abgeschnitten bleiben, was den Welthandel massiv beeinflussen und verändern wird. „Je länger der Krieg dauert, desto bullisher wirkt er auf die Getreidepreise“, sagt ein Händler in Chicago."
Was können die Ukrainer 2022 ernten

Unter Berücksichtigung der militärischen Situation haben die ukrainischen Analysten von APK-Inform eine erste Prognose für die nächste ukrainische Getreide- und Ölsaatenernte abgegeben. Danach haben die ukrainischen Landwirte für die Ernte 2022 rund 7,6 Millionen Hektar mit Wintergetreide bepflanzt. Das entspricht einem Rückgang der Fläche von 7 % im Jahresvergleich, aber eine unveränderte Fläche gegenüber 2020.
Der Krieg und seine Folgen verursachen zudem einen deutlichen Rückgang der Fläche bei Mais, Sommergerste und Hülsenfrüchten – auf 4,7 Millionen Hektar. Das ist ein Minus von 39 % im Jahresvergleich. Außerdem könnte die Fläche für Ölsaaten im Jahr 2022 auf den niedrigsten Stand seit 2010 schrumpfen – auf etwa 6,8 bis 6,9 Millionen Hektar. AKP-Inform erwartet auch einen deutlichen Rückgang der Erträge, aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu wichtigen Betriebsmitteln wie Treibstoff, Dünger und Pflanzenschutz.
Dementsprechend schätzen die ukrainischen Analysten die Gesamtproduktion von Getreide und Ölsaaten im Jahr 2022 auf 53,3 Millionen Tonnen. Das wären 51 % weniger als die Rekordernte der Vorsaison. Die Getreideproduktion könnte die niedrigste seit 15 Jahren werden, und die Ölsaatenernte könnte die niedrigste seit 10 Jahren sein.
Die Ukrainian Grain Association (UGA) rechnet mit einem Rückgang der Weizenernte auf 18,2 Mio. Tonnen gegenüber dem Rekord des letzten Jahres von 33 Mio. Tonnen. Die neue Maisernte schätzt die UGC auf 23,1 Mio. Tonnen nach 41,9 Mio. Tonnen im Jahr 2021.
Exporte ohne Häfen sind kaum möglich

Im Jahr 2021 ernteten die ukrainischen Landwirte 106,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten. Davon waren bereits 43 Millionen Tonnen vor der russischen Invasion exportiert worden. Bei einem Inlandsverbrauch von etwa 30 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten (Raps, Sonnenblumen) bedeutet dies, dass Ende April noch 33 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten der alten Ernte in der Ukraine auf Halde liegen. Das ist ein Drittel der Gesamternte.
Vor dem Krieg erfolgten 90 % des ukrainischen Getreideexports auf dem Seeweg, über Häfen am Schwarzen und am Asowschen Meer. Derzeit stehen die drei Häfen Mariupol, Berdjansk und Cherson unter russischer Kontrolle, während der Hafen von Mykolajiw schwer beschädigt ist. Alle ukrainischen Häfen sind außerdem mit ausländischen Schiffen blockiert, die darin ebenfalls festsitzen.
Der nächstgelegene ausländische Hafen zur Ukraine, Constanta, in Rumänien, ist praktisch ebenfalls mit Fracht und Containern verstopft. Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky sagt: „Vor dem Krieg hat die Ukraine etwa 5 Millionen Tonnen Getreide pro Monat exportiert. Jetzt ist das Gebiet der Seehäfen blockiert. Wir haben noch mindestens 20 Millionen Tonnen Altgetreide, dass in diesem Frühjahr nicht exportiert werden konnte.
Das sind auch die Einnahmen der Landwirte, die sie für die aktuelle Pflanzkampagne bräuchten“, sagte Solsky. Außerdem wird die Ernte von Wintergetreide in drei Monaten beginnen, was zusätzliche Mengen hinzufügen wird. „Wenn die Häfen blockiert bleiben, werden wir weiter auf dem Landweg über die Westgrenzen und per Binnenschiff über die Häfen der Donau exportieren. Doch so kann die Ukraine das Problem nicht wirklich lösen", sagt Solsky.
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