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Milchpreise und Corona-Pandemie

Milchmarkt und Corona: Erdbeben mit Folgen

Milchtanks fluten Felder
am Mittwoch, 15.04.2020 - 13:00 (1 Kommentar)

Viele Optionen gibt es nicht, die Milchkrise noch abzuwenden. Am wichtigsten ist es, die Lieferketten aufrecht zu erhalten. Doch das allein wird nicht ausreichen.

Mitte März schien die Welt für die Milchbauern fast noch in Ordnung. Die Milchpreise hatten sich bis dahin gut behauptet und Aldi hatte sogar versprochen, für Frischmilch mehr Geld zu zahlen. Auch bei Butter und Käse waren in Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel höhere Preise im Gespräch, berichtet der Verband der Milcherzeuger Bayerns (VMB). Anfang April bekamen Bauern und Molkereien die Folgen der Coronakrise jedoch mit voller Wucht zu spüren. Der Absatz von Milchprodukten geriet europaweit ins Stocken. Es folgte ein Erdbeben.

An den Terminbörsen und im Großhandel stürzten die Preise für Butter und Milchpulver drastisch ab. Sie rissen auch die Kurse für die zwischen den Molkereien gehandelte Spotmilch weit nach unten. Derzeit ist unklar, wie es weitergeht, wenn der Spuk einmal vorbei ist. Sehr viel wird davon abhängen, wie schnell die Lieferketten in Europa wieder hergestellt werden können und mit welchen Instrumenten die Politik den Absturz abfedert.

Für die Bauern wird der Crash aber mit Sicherheit Folgen haben: „Die Notierungen an den Börsen sind die Vorboten des physischen Marktes“, sagt der Vorsitzende Norddeutschen Milcherzeugergemeinschaft Nord MeG Peter Guhl. Der Nord-MeG-Chef kritisiert außerdem: „In den letzten größeren Milchkrisen hat sich deutlich gezeigt, dass vor allem die Unternehmen der Verarbeitung und Vermarktung nicht gut auf die Situation vorbereitet waren. Bezahlt wurden die Verluste jedoch allein von den Bauern.“

Ehrlicherweise muss man diesmal sagen: Auf diese schwere Krise konnte sich wohl keine Molkerei und kein Verarbeiter vorbereiten. Sie kam überraschend und schnell und trifft alle Ebenen der Branche gleichermaßen hart.

Lesen Sie in unserem Topthema, wie sich das Coronavirus auf die Agrarbranche auswirkt.

Lieferketten brechen zusammen

Ein Block Butter in Folie steht auf einem Karton

Wie groß die Not auch auf Molkereiseite mittlerweile ist, zeigen die Aufrufe von Molkereien – aber auch von Erzeugerverbänden ­–­ an die Bauern, deutlich weniger Milch abzuliefern. Die Bayern MeG rief Anfang April die Milchbauern dazu auf, „so schnell wie möglich alle betriebsindividuellen Möglichkeiten zu nutzen, um die Milchmenge kurzfristig deutlich einzuschränken.“

Dabei hat das Überangebot auf der Rohstoffseite nicht unbedingt mit der saisonalen Produktionsspitze zu tun – die Milchmenge war im März etwa 2 Prozent größer als im Jahr zuvor – als vielmehr mit dem Wegbrechen des Absatzes. Dazu gehören für deutsche Molkereien der Verkauf in andere europäische Länder,  wie etwa nach Italien, der Absatz in die Gastronomie und natürlich der Export. „Wir haben innerhalb von zwei Wochen bei Produkten für Großverbraucher einen Umsatzeinbruch um zwei Drittel erlebt“, sagte Günter Berz-List, Vorstand der Schwälbchen Molkerei.

Hinzu kommen weitere Probleme: Arbeitskräfte fehlen, die Quarantäne blockiert Betriebe und Lieferketten sowie Logistik sind massiv gestört, außerdem fehlen Verpackungen. Zwar hat der Absatz von haltbaren Milchprodukten, Päckchenbutter und Käse an den Lebensmittelhandel zuletzt geboomt, doch die Verluste in den anderen Bereichen lassen sich so offenbar nicht kompensieren. „Wir haben eine extreme Änderung der Warenströme innerhalb sehr kurzer Zeit“, sagt Hans-Jürgen Seufferlein, der Direktor des Verbands der Milcherzeuger Bayern die Entwicklung.

Zu viel Milch am Markt

Milchtank

Ob eine freiwillige Reduzierung der Milchmenge in Deutschland gelingt und vor allem ob sie bei dieser Krise hilft, ist jedoch nicht sicher. Deshalb müssen wohl auch andere Instrumente her, um das Schlimmste zu verhindern. Die Erzeugerorganisation European Milk Board (EBM) fordert deshalb die rasche Einführung eines freiwilligen europäischen Systems zur Mengenreduzierung.

„In der großen Krise des Jahres 2016 wurde das freiwillige Mengenreduzierungsprogramm viel zu spät eingeführt“, schreibt der EBM. Noch weiter als der EBM geht der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Er lehnt eine freiwillige Mengenreduzierung ab und fordert Verbindlichkeit: „Jedes Vorgehen, das auf die moralisch-ethische Verantwortung des Einzelnen oder freiwillige Branchenlösungen setzt, ist nicht schnell und wirksam genug, um diese Krisensituation zu meistern.“  

Einen anderen Vorschlag macht der Milchpräsident des Deutschen Bauernverbandes Karsten Schmal. Er sagt: „Wenn es eine Marktlage gibt, die Beihilfen zur privaten Lagerhaltung (PLH) von Milchprodukten rechtfertigt, dann ist es die aktuelle. Die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten sind deshalb gefordert, dieses Instrument zeitnah zu eröffnen.“ Durch die PLH können die Märkte entlastet und eine Stabilisierung der Preise bewirkt werden.

Diesem Vorschlag stimmen offenbar auch die Molkereien zu. Bereits Ende März hat Eckhard Heuser, Geschäftsführer des Milchindustrieverband (MIV), die EU-Kommission aufgefordert, Beihilfen zur privaten Lagerhaltung zu gewähren. Einer verordneten Mengenreduzierung stand der MIV bisher jedoch eher skeptisch gegenüber.

Verlagerung der Produktion

Milchprodukte

Die Turbulenzen treffen natürlich nicht nur Deutschland, sondern andere europäischen Länder ebenso. Das macht die Sache nicht einfacher, im Gegenteil: Es schreit förmlich nach einem abgestimmten und schnellen europäischen Handeln. Der Vorsitzende der europäischen Molkereiwirtschaft (EDA), Alexander Anton, unterstreicht in einem Schreiben an die EU-Kommission, wie enorm wichtig es für die Versorgung ist, die Lieferketten für Milch und Milchprodukte in der Europäischen Union unbedingt offenzuhalten.

Anton sagt: „Die Stilllegungssituation in praktisch allen Teilen der Union und die wachsenden Rohmilchmengen in Verbindung mit einer zunehmenden Anzahl von unter Quarantäne gestellten Arbeitskräften haben enorme Folgen für den Markt. Die EU-Molkereien sind  gezwungen, die Milchmenge auf weniger arbeitsintensive und weniger verpackungsabhängige Verarbeitungsbetriebe zu verlagern und damit die Produktion verbraucherfertiger Waren zu reduzieren.

Ein weiteres Problem ist, dass die erzeugte Ware oft nicht ans Ziel kommt und die Transportfahrzeuge nicht zurück. „Molkereien mit starkem Exportanteil stehen an den Grenzen. Die Spediteure sind deutlich länger unterwegs“, sagt Markus Drexler, der Sprecher des Bayerischen Bauernverbands. In einigen Ländern ­– wie in den Niederlanden – haben die Molkereien sich  schon auf Notfallpläne verständigt. Diese sollen sicherstellen, dass Rohmilch auch bei größeren Störungen abgeholt und verarbeitet wird. Zugleich werden die Erzeuger auf eine Unterbrechung der Milchabholung eingestimmt.

Crash der Milchpreise

ife Rohstoffwert

Was der Crash für die Milchpreise bedeutet, lässt sich an einigen wenigen Indikatoren ablesen. So hat das Ife-Institut in Kiel für den Monat März – aus der Verwertung von Butter und Magermilch – noch einen Rohstoffwert der Milch von 32,1 Cent/kg ermittelt. Anfang April errechneten die Ife-Analysten aus den abstürzenden Börsenpreisen für die Monate April bis Juni nur noch Milchpreise von etwa 25 Cent/kg. Das wären die niedrigsten Preise seit der letzten großen Krise 2016 und ein Absturz von 7 Cent gegenüber März.

Fakt ist aber auch: Natürlich müssen die Auszahlungspreise der Molkereien nicht so kräftig fallen wie die Indikatoren. Unter anderem dürften längerfristige Vertragsabschlüsse mit dem Lebensmittelhandel den Absturz bremsen. Und es ist auch nicht klar, wie schnell sich der Markt wieder erholt. Zu unsicher sind die derzeitigen Prognosen. Doch nach unten geht es in jedem Fall, denn auch die Molkereien machen herbe Verluste. Der Milchindustrieverband ruft den LEH ausdrücklich zur „Besonnenheit an der Preisfront“ auf.

Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer des MIV sagt: „Vor dem Hintergrund der angespannten Situation ist jetzt nicht die richtige Zeit für scharf geführte Preisgespräche.“ DBV-Milchpräsident Schmal sieht jedoch auch die Molkereien in der Pflicht: „Wir haben in der Strategie 2030 der deutschen Milchwirtschaft festgehalten, dass die Molkereien gemeinsam mit ihren Lieferanten Lösungsansätze zur Abmilderung der mit Preisschwankungen verbundenen Folgen vorantreiben. Hierzu gehören auch Elemente zur Milchmengenplanung und -steuerung sowie Festpreismodelle.“

Trübe Aussichten am Weltmarkt

Container Handel

„Keiner weiß, wie sich die Corona-Krise weiterentwickelt und ob nicht in kurzer Zeit Milchprodukte am Markt wieder stark gesucht sind. Aktuell findet jedoch eine Wertevernichtung in noch nie dagewesenen Dimensionen statt, die zum Handeln aufruft,“, glauben die Vorstände der Bayern MeG die Entwicklung. Wie schnell sich die Lage auch am Weltmarkt zugespitzt hat, zeigt eine Analyse der Rabobank.

Noch Mitte März war Michael Harvey, Senior-Molkereianalyst der Bank davon ausgegangen: "Die globalen Rohstoffpreise für Milchprodukte haben die Unsicherheit durch die Coronakrise weitgehend eingepreist.“ Allerdings blieb Harvey vorsichtig und machte angesichts der Pandemie weiter ein erhebliches Preisrisiko aus. Diese Annahme scheint  sich nun zu bestätigen. Auch am Weltmarkt geht es weiter nach unten. Dennoch erwartet die Rabobank, „dass sich Chinas Kaufverhalten bis zum zweiten Halbjahr 2020 wieder normalisieren wird. Erste Anzeichen für eine Verbesserung der chinesischen Lieferketten sind erkennbar“, schreiben die Analysten.

Das Fazit von Michael Harvey ist jedoch eher verhalten: Die Kombination aus reduzierten chinesischen Importen, erheblichen Unterbrechungen der Lieferketten – einschließlich eines extremen Wettbewerbs um Schiffscontainer – und steigenden Milchüberschüssen in wichtigen Exportregionen, wird den Druck auf die globalen Milchmärkte den größten Teil des Jahres 2020 aufrechterhalten.“

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