Russland war bis 2014 einer der größten Importeure von europäischen Milchprodukten. Das Handelsembargo hat zu einem kräftigen Ausbau der russischen kommerziellen Milcherzeugung und Verarbeitung geführt.
Verantwortlich dafür waren umfangreiche staatliche Investitions-Programme, die das Ziel hatten, das Land bis 2020 unabhängig von Importen zu machen. Das ist den Russen zwar noch nicht ganz gelungen – noch kommen nämlich beachtliche Einfuhren vor allem aus Weißrussland – doch das Wachstum setzt sich weiter fort.
Eine Folge dieser Entwicklung ist: Für die Europäer dürfte kaum noch Platz sein auf dem russischen Markt, wenn die Handels-Beschränkungen eines Tages wieder fallen sollten. Eher ist das Gegenteil der Fall: Analysten halten aufgrund der Produktionsdynamik im fernen Osten auch eine Erschließung des sehr aufnahmefähigen chinesischen Markes durch die Russen nicht für unwahrscheinlich.
Im Moment ist das aber noch Zukunftsmusik, wie die aktuellen Zahlen des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) und des russischen Statistikamtes (Rosstat) zum russischen Milchmarkt zeigen.
Russland: dickes Plus bei Milchverarbeitung und Milchleistung

Manche Daten und Entwicklungen am russischen Milchmarkt erschließen sich nicht auf den ersten Blick. So liegt die insgesamt von allen Betrieben – also von großen „industriellen Farmen" und kleinen Hinterhofwirtschaften – erzeugte Milchmenge seit dem Jahr 2000 fast stabil bei etwa 31 Millionen Tonnen.
Im gleichen Zeitraum hat sich die an Molkereien und Milchverarbeiter gelieferte Milchmenge, auf 22,1 Millionen Tonnen nahezu verdoppelt. In den letzten 4 Jahren lag der Zuwachs der an Molkereien gelieferten Milch zwischen 300.000 und rund 1 Millionen Tonnen pro Jahr. Insgesamt werden damit jetzt gut 70 Prozent der erzeugten Milch auch industriell zu Milchprodukten oder Frischmilch verarbeitet – im Vergleich zu einer Quote von gerade einmal 45 Prozent vor 20 Jahren.
Im gleichen Zeitraum hat sich durchschnittliche Milchleistung auf zuletzt 4.700 kg pro Jahr verdoppelt – auch da ist noch viel Luft nach oben. Allerdings wird in den großen Milchbetrieben im Schnitt eine Milchmenge von mehr als 5.500 kg erzeugt und in den Hinterhoffarmen sind es gerade einmal 3.500 kg.
Die Zahl der Kühe hat in den letzten Jahren jedoch stetig abgenommen und wird vom russischen Statistikamt Rosstat für 2020 mit nur noch 6,6 Millionen angegebenen. Das sind rund 500.000 Tiere weniger als 2018 – und nur halb so viel wie vor 20 Jahren. Das USDA stellt dazu fest, dass auch die großen Unternehmen ihre Milchkuherden oft reduzieren, weil sie durch eine verbesserten Tiergenetik und steigenden Leistungen mehr Milch mit weniger Kühen erzeugen können – und so auch noch ihren Kosten senken.
Derzeit halten die großen kommerziellen Milchviehbetriebe – etwa 8000 Unternehmen – etwas weniger als die Hälfte aller russischen Milchkühe. Die andere Hälfte der Kühe steht in kleinen Hinterhoffarmen – etwa 1 Millionen Betriebe – und hier sinkt die Kuhzahl noch viel schneller als bei den großen Unternehmen, denn sie steigen immer häufiger ganz aus der Milch-Produktion aus.
Viel Geld und große Projekte – mit deutscher Beteiligung

In den letzten Jahren hat Russland viele Milliarden Euro in den Ausbau und die Professionalisierung des Agrarsektors investiert. Im Jahr 2016 verdoppelte sich der Geldbetrag, den die Regierung in die landesweite Milchproduktion steckte. Den Landwirten wurden außerdem zusätzliche kurzfristige Bankdarlehen zur Verfügung gestellt. Dieser Investitionsboom erhielt mit dem Handelsembargo und dem Boykott westlicher Waren einen zusätzlichen Schub.
Bis dahin war Russland auf die Importe von Milchprodukten – vor allem aus Europa – angewiesen. Das ursprüngliche Ziel, bis 2020 am Milchmarkt weitgehend autark zu sein, wurde zwar (noch) nicht erreicht, doch man ist auf einem guten Weg. Das russische Landwirtschaftsministerium hatte 2018 angekündigt weitere 800 große landwirtschaftliche Betriebe zu bauen. Gleichzeitig will man die Milchleistung in den kommerzielle auf 6.000 Kilo pro Kuh und Jahr erhöhen.
Der Import von rund 35.000 Färsen und Kühen im Jahr – vor allem aus Westeuropa – dürfte dazu beitragen, die Leistung und Produktion weiter zu erhöhen. Im Durchschnitt zahlten russische Importeure 2.000 US-Dollar pro importiertes Rind. Exporteure aus der Europäischen Union machten 94 Prozent dieses Handels in aus.
Große Unternehmen wie EkoNiva und Molvest sind die treibende Kraft der Professionalisierung des russischen Milchsektors. Jedes Jahr investieren diese Unternehmen Geld in neue Farmen, in denen Tausende von Kühen leben. Im Jahr 2017 produzierte EkoNiva mehr als 300.000 Tonnen Milch mit 50.000 Kühen. Die Ekoniva-Gruppe, die der deutschen Holding Ekosem-Agar GmbH gehört, erreichte Anfang 2018 einen neuen Milchproduktionsrekord. Zu diesem Zeitpunkt überschritt das Unternehmen die Marke von 1.000 Tonnen pro Tag und war damit Russlands größter Milchproduzent.
Die vietnamesische TH-Gruppe hat zuletzt 2,8 Milliarden US-Dollar in einen kompletten Farm- und Produktionskomplex in der Region Moskau investiert. Das 50.000 Hektar große Gelände beherbergt rund 45.000 Kühe und soll etwa 234.000 Tonnen Milch pro Jahr produzieren.
Versorgungslücke bei Käse und Frischmilch wird immer kleiner

Trotz der gewaltigen Investitionen in- und ausländischer Unternehmen wächst die Milchproduktion jedich nicht ganz so schnell wie von der Regierung erwartet (Selbstversorgung bis 2020). Ein Grund dürfte der im Vergleich zu anderen Sektoren (Schwein, Geflügel) noch weitaus höhere Aufwand an Kapital sowie an Fachwissen und Tiergenetik sein. Auch die schwierige Logistik und die oftmals großen Entfernungen zu den Verbrauchszentren sind ein häufig genanntes Problem. Dennoch wächst der Markt mit massiver staatlicher Unterstützung weiter. Einen gewissen Dämpfer könnte das Wachstum durch die Corona-Krise erhalten haben.
Das Lebensmittelembargo traf die Käseversorgung stärker als jede andere Milchkategorie. Die unterbrochenen Lieferungen von Käse aus der EU führte 2014 zu einem steilen Anstieg der Käsepreise in Russland und zu leeren Regalen im Einzelhandel. Die russische Industrie hat jedoch ihre Kapazitäten kräftig ausgebaut, und die Regale sind mittlerweile wieder gut gefüllt. Zunehmend ersetzen zudem lokale Produkte die noch vorhandenen weißrussischen Importe –- auch bei anderen Milch-Produkten. Russische Premium-Produkte können allerdings (noch) nicht mit europäischen Qualitätserzeugnissen (beipielsweise Käse) konkurrieren, stellt das USDA in einer Untersuchung fest.
Für 2020 gibt das USDA die russische Käseproduktion mit rund 970.000 Tonnen an – ein Zuwachs gegenüber 2013 von fast 250.000 Tonnen. Die ebenfalls weiter steigende Verbrauchsmenge wird allerdings auf 1,24 Millionen Tonnen geschätzt und der Import liegt immerhin noch bei rund 290.000 Tonnen – und kommt ebenfalls vor allem aus Weißrussland. Dabei hat sich die Importmenge seit 2013 um rund 170.000 Tonnen reduziert.
Die russische Butterproduktion hat – anders als die Produktion von Käse – in den letzten Jahren stagniert. Das USDA rechnet für 2020 mit einer Produktionsemenge von etwa 255.000 Tonnen und einem Verbrauch von 367.000 Tonnen. Die Fehlmenge kommt auch bei Butter ganz überwiegend aus Weißrussland. Im Jahr 2020 wird außerdem noch mit Importen bei flüssiger Milch von etwa 200.000 Tonnen gerechnet, was einem Rückgang von 130.000 Tonnen im Vergleich zu 2017 entspricht. Auf Weißrussland entfallen mehr als 90 Prozent der Flüssigmilchimporte nach Russland.
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