Mit der Erklärung, vonseiten des Einzelhandels einen konstruktiven Beitrag für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung in Deutschland zu leisten, eröffnete der Lidl-Geschäftsleitungsvorsitzende Matthias Oppitz die gestrige Podiumsdiskussion. Möglichst vielen landwirtschaftlichen Betrieben solle eine Zukunftsperspektive gegeben und der durch die Borchert-Kommission erzielte Grundkonsens umgesetzt werden. Jedoch könne der Handel nicht allein für die Finanzierung des Tierwohls sorgen.
Dass die Herkunft von Fleischprodukten mehr ins Bewusstsein der Verbraucher gebracht werden müsse, hielt Oppitz schon zu Beginn der Diskussion fest. Er kündigte an, ein flächendeckendes Angebot von 5D-Ware bei konventionellem Schweinefrischfleisch und Wurstwaren der Marke „Metzgerfrisch“ im ersten Quartal 2022 zu schaffen.
Aldi kündigte gestern ebenfalls an, Schweinefrischfleisch ab Herbst 2022 auf „5D“ umzustellen – also auf Geburt, Aufzucht, Mast, Schlachten und Verarbeitung in Deutschland zu setzen.
Der Schlacht- und Verarbeitungsbereich der Wertschöpfungskette scheint seine Vertragspartner außerdem zu mehr Tierwohl in den Ställen bewegen zu wollen. So informierte das Unternehmen Westfleisch über entsprechende Preisauf- und -abschläge bereits zum Jahreswechsel.
Prof. Grethe: Konzepte für die Nutztierhaltung auf dem Silbertablett serviert
Die zuletzt hervorgebrachten Kompromisse und Perspektiven zur Zukunft der Nutztierhaltung in Deutschland fasste zunächst Prof. Harald Grethe, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und an der Berliner Humboldt-Universität, zusammen. Bemerkenswert sei hierbei gewesen, dass die Wertschöpfungskette mit Programmen wie die Initiative Tierwohl (ITW) oder die Haltungsformkennzeichnung schneller reagiert habe als die Politik. Das werde aber nicht reichen: Darüber hinaus seien laut Grethe vom Staat gesetzte Rahmenbedingungen notwendig.
Und auch im gesetzgeberischen Bereich seien Vorarbeiten geleistet worden: Die neue Koalition aus SPD, Grüne und FDP könne auf die Ergebnisse der Borchert-Kommission, der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) sowie von wissenschaftlichen Gutachten zurückgreifen. „Wir fangen nicht bei null an“, sagte Grethe. Es gebe für die Nutztierhaltung ein bestehendes Konzept, das der Politik wie auf dem Silbertablett serviert werde.
Ampel muss über Finanzierungssystem entscheiden

Im Koalitionsvertrag sei das System zur Finanzierung des Tierwohl nach Einschätzung von Grethe nur vage formuliert. „Der Ball liegt noch im Feld und kann von der Politik gespielt werden“, stellte er fest. Die aus Klimaschutzgründen notwendige Reduzierung des Fleischkonsums werde im Vertrag ebenfalls nicht direkt festgehalten.
Anne Markwardt vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sprach sich ebenfalls für höhere Preise bei Fleischprodukten aus. Jedoch müsse den Verbrauchergruppen mit geringerem Einkommen dann mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Außerdem könne die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse laut Markwardt gesenkt werden.
Eine Tierwohlabgabe bevorzugte Peter Wesjohann, Vorstandsvorsitzender der PHW-Gruppe. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV) unterstrich, dass der durch das Finanzierungssystem eingeholte Mehrwert zu 100 Prozent beim Landwirt ankommen müsse. Notwendig sei außerdem, dass sich zusätzlich ein Mehrerlös ergibt. Krüsken betonte die wichtige Rolle des Marktes und den geringen Anteil der Verbraucherausgaben für Lebensmittel. Zur Erhöhung der Preise für Fleischprodukte sagte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes (DTB): „Es gibt ein Menschenrecht auf Ernährung. Es gibt aber kein Menschenrecht auf Fleisch und Billigfleisch.“ Die gesamte Förderpolitik müsse nach seiner Meinung an Tierwohl und Klimaschutz geknüpft werden. Ställe, die nicht für mehr Tierwohl sorgen, sollten laut Schröder keine Förderung erhalten.
Herkunftskennzeichnung für Frischfleisch und verarbeitete Produkte

Auf ein klares Auseinanderhalten von Herkunft und Tierwohl bestand Markwardt vom VZBV. Eine Herkunftskennzeichnung steigere das Tierwohl noch nicht, hier handele es sich um ein weiteres Projekt. Der Wiesenhof-Chef Wesjohann wies darauf hin, dass zunächst die Versorgungssicherheit der deutschen Kunden hergestellt werden müsse. Bevor Umstellungen erfolgten, sei ein Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent notwendig. Zudem müssten die Gastronomie und Großverbraucher einbezogen werden. Hier zeichne sich laut Wesjohann die Tendenz ab, dass beim Geflügel ausländische Produkte schon gegenüber der deutschen Haltungsstufe 2 bevorzugt würden. Dem könne mit einer Kennzeichnung auf der Speisekarte vorgebeugt werden.
Benjamin Steeb, Mitglied der Lidl-Geschäftsleitung, machte deutlich, dass die Herkunftskennzeichnung mit bestimmten Voraussetzungen verbunden ist: Damit es gelingen könne, die Nachfrage nach heimischen Produkten aus den höheren Haltungsstufen zu steigern, sei eine verbindliche Haltungskennzeichnung für alle Vermarktungswege nötig. Gleichzeitig die Herkunftskennzeichnung einzuführen, sei der ideale Weg. Weiter seien eine gezielte Förderung durch die Politik und ein Abbau der genehmigungsrechtlichen Hemmnisse für den Umbau von Ställen erforderlich, um Produkte aus höheren Haltungsformen in ausreichenden Mengen überhaupt aus Deutschland beziehen zu können.
Dass die Einführung einer Herkunftskennzeichnung realistisch ist, bekräftigte DBV-Generalsekretär Krüsken. So habe die Borchert-Kommission mit ihren Empfehlungen Lösungen für europarechtliche Probleme gefunden. „Wir haben die Instrumente. Wir müssen sie nur skalieren und ausrollen“, sagte Krüsken.
Die Diskussionsteilnehmer befürworteten geschlossen eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für alle tierischen Produkte und alle Vermarktungswege – verarbeitete Produkte und die Gastronomie mit eingeschlossen. So werde der Konsens breit getragen und für die Konsumenten verträglicher.
Westfleisch wirbt für Teilnahme an ITW
Auch die Schlacht- und Verarbeitungsbranche scheint sich auf eine Herkunfts- und Haltungskennzeichnung vorzubereiten. Das bestätigte Clemens Tönnies, der beim Lidl-Tierwohldialog zu Gast war. Tönnies erklärte, dass sein Unternehmen Veränderungen aktiv vorantreibe. Dem Einzelhandel sei er für die Einführung von 5D sehr dankbar.
Westfleisch kündigte in einem Schreiben vom 26. November seinen Vertragspartnern an, zum 1. Januar 2022 den Preis für Vertragsschweine der Initiative Tierwohl (ITW) aus Deutschland um 1 Cent pro Kilogramm anzuheben. Dadurch werde ein klares Signal für die Ausrichtung von Westfleisch auf die ITW und auf die deutsche Ferkelerzeugung gesetzt. Der Preis für Schweine, die nicht aus ITW-Ställen stammen, werde wegen der schwierigen Marktsituation wieder auf das VEZG-Niveau abgesenkt. Dies bedeute ein Minus von 1 Cent pro Kilogramm. Je nach Vertrag beziehungsweise Programm soll es ab nächstem Jahr einen Preisfaktor geben, der von Woche zu Woche angepasst werden kann.
Wie Westfleisch gegenüber agrarheute bestätigte, können sich die Vertragspartner noch bis zum 15. Januar 2022 für eine Teilnahme an der ITW entscheiden. Die Umsetzung der Kriterien in den Ställen muss dann zum 1. April 2022 erfolgen. Bei der Vermarktung von ITW-Schweinen will Westfleisch seine Vertragspartner auch künftig bevorzugen. Es handle sich um einen attraktiven und zukunftsgerichteten Markt. Eine Zusicherung der ITW-Bonuszahlungen sei abhängig von der Absatzsituation, vom Vertragseingang und dem Umsetzungsdatum.
Zur 5D-Einführung bei Aldi ab Herbst 2022 äußerste sich inzwischen die amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin. „Dass sich nun immer mehr Handelskette dem ,5D-Standard‘ verpflichten, begrüße ich ausdrücklich. Wirklich Wirkung entfalten kann das jedoch nur, wenn diese Richtschnur auch für verarbeitete Fleischprodukte maßgeblich ist“, sagte Julia Klöckner.
Hier ist Ihre Meinung gefragt
Werden Sie Teil unserer Community und diskutieren Sie mit! Dazu benötigen Sie ein myDLV-Nutzerkonto.