Die USA haben die Ernennung neuer Berufungsrichter für das Streitschlichtungsgremium der WTO so lange blockiert, dass nun ein Herzstück der Organisation teils lahmgelegt ist: Bei der Schlichtung von Handelsstreitigkeiten gibt es seit der Nacht zum Mittwoch keine Berufungsinstanz mehr, weil nur noch ein Richter im Amt ist. Drei sind vorgeschrieben.
„Dies ist ein bedauerlicher und sehr schwerer Schlag für das internationale, auf Regeln basierende Handelssystem“, erklärte dazu EU-Handelskommissar Phil Hogan in Brüssel. Hogan sprach von einem kritischen Moment für den Multilateralismus und das globale Handelssystem. „Durch den Ausfall des Berufungsgremiums geht ein Streitbeilegungssystem mit durchsetzbaren Regeln verloren, das sowohl für große als auch für kleine Volkswirtschaften ein unabhängiger Garant dafür war, dass die WTO-Regeln unparteiisch angewandt werden“, bedauerte Hogan.
USA demontieren die WTO
Am 1. Januar 2020 feiert die WTO ihr 25-jähriges Jubiläum. Nun sieht es so aus, als ob die USA eine Politik des Alleingangs mit Strafzöllen einer international anerkannten Schiedsstelle vorziehen. „Die USA demontieren mit ihrer Blockadehaltung die WTO und sorgen für ein enormes Risiko für die Weltwirtschaft“, urteilt der für Außenhandel zuständige FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.
Von einer Hiobsbotschaft für die deutsche Wirtschaft spricht der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. „Ohne verlässliche Regeldurchsetzung droht der deutschen Wirtschaft weiter steigende Unsicherheit auf den Weltmärkten.“
Risiko von Handelskriegen nimmt zu
Joost Pauwelyn, Rechtsprofessor an der Genfer Universität Graduate Institute, geht noch weiter: „Das größte Risiko ist die Eskalation von Handelskriegen“, sagt der WTO-Experte.
Er sieht aber einen Silberstreif am Horizont: „Vielleicht war es nötig, dass die USA mit der Faust auf den Tisch hauen, um die Länder zu den nötigen Reformen zu bewegen. Im besten Fall geht daraus eine gestärkte WTO hervor - das kann aber ein paar Jahre dauern.“ Mit Trump habe das nichts zu tun. Die US-Demokraten hätten mit der WTO dieselben Probleme, sagt Pauwelyn.
USA frustriert über die Rolle Chinas
Der Frust der Amerikaner sitzt seit Jahren tief. Vor allem das aufstrebende China mit seiner staatsgelenkten Wirtschaft, mit der Missachtung von Patenten und billigen Waren auf dem Weltmarkt verärgert sie und andere, etwa die EU.
"Der US-Handelsbeauftragte hat mehrfach moniert, dass die WTO-Regeln nicht ausreichen, um China wegen Verstößen gegen geistige Eigentumsrechte zu belangen", schreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Neue WTO-Regeln werden aber verhindert, denn jedes Land hat Vetorecht.
EU strebt umfassende Reform der Welthandelsorganisation an
„Ein umfassendes Reformpaket muss für alle drei Funktionen der WTO umgesetzt werden: für das Erarbeiten von Handelsregeln, das Überwachen der Handelspolitik und der Handelspraktiken der Länder und nicht zuletzt für die Beilegung von Streitigkeiten“, sagt EU-Handelskommissar Hogan.
Um für die aufgrund der Blockade durch die USA absehbare Beschlussunfähigkeit des WTO-Berufungsgremiums vorzusorgen, hat die EU den Partnern, die bereit sind, unter Einhaltung der WTO-Regeln weiterhin Streitigkeiten verbindlich beizulegen, interimistische Berufungsschiedsverfahren vorgeschlagen.
„Die Europäische Kommission wird in Kürze weitere Vorschläge unterbreiten, damit sichergestellt ist, dass die EU ihre Rechte in internationalen Handelsangelegenheiten nach wie vor durchsetzen kann, sollten andere das System blockieren“, so Hogan weiter.
Trump twittert "Die WTO ist kaputt"
„Die WTO ist KAPUTT, wenn die REICHSTEN Länder der Welt Entwicklungslandstatus beanspruchen um WTO-Regeln zu umgehen und Konzessionen bekommen“, hatte US-Präsident Trump im Sommer getwittert.
Er bezog sich damit auf China, das - wie zwei Drittel der Mitglieder - den Status eines Entwicklungslandes mit vielen Konzessionen hat. „Allerdings beansprucht China bei laufenden Verhandlungen keine Entwicklungsland-Vergünstigungen mehr“, sagt Pauwelyn.
25 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit in Handelsfragen
Die WTO hat größere Handelskriege 25 Jahre lang verhindert. Heute unterliegen 96 Prozent des weltweiten Handels WTO-Regeln. Bis zu Trumps Amtsantritt waren willkürliche Zölle eine Seltenheit, und betroffene Länder konnten sich im Streitschlichtungsverfahren wehren. Die heute 164 Mitgliedsländer unterwarfen sich den Richtersprüchen. Zuletzt musste die EU nach einer Niederlage wegen rechtswidriger Subventionen für den Flugzeugbauer Airbus milliardenschwere US-Zölle hinnehmen.
Trotz Krise ist die WTO weiter aktiv. Verhandelt wird über eine Begrenzung von Subventionen in der Landwirtschaft und Fischerei. „Die beste Art, die Relevanz der WTO zu demonstrieren, ist es, auf dem Verhandlungssektor etwas zu schaffen“, sagt der EU-Botschafter João Aguiar Machado und beschwört die anderen Länder, bei der nächsten Ministertagung im Juni in Kasachstan für Durchbrüche zu sorgen.
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