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Endokrine Disruptoren: "EU-Kommission versteht die Praxis nicht"

am Freitag, 07.07.2017 - 13:00 (Jetzt kommentieren)

Die EU-Mitglieder einigten sich auf Regeln zur Bestimmung endokriner Disruptoren. 26 Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln könnten wegfallen. Ein Kommentar von Catrin Hahn/agrarmanager.

Erinnern sie sich an 2009? Das war das Jahr, in dem Barack Obama als erster farbiger Präsident der Vereinigten Staaten sein Amt antrat. In Deutschland war „Abwrackprämie“ das Wort des Jahres und Wolfsburg wurde deutscher Meister. Wolfsburg! So fern, wie uns das heute auch vorkommen mag, einige Ereignisse des Jahres 2009 wirken dennoch sehr intensiv bis heute nach. So hat zum Beispiel am 21. Oktober jenes Jahres das Europäische Parlament die EU-Verordnung 1107/2009 verabschiedet. Mit jeder Menge schwammig formulierter Ausschluss-Kriterien für Pflanzenschutzwirkstoffe und -produkte, was nach Überzeugung vieler zu einem Streichkonzert in der Mittelpalette führen würde.

Dann gingen viele Jahre ins Land, in denen die Pflanzenschutzindustrie vor den Folgen warnte, solange, bis man es kaum noch hören konnte. Sicher, die Zahlen klangen schockierend, dass z.B. bei Umsetzung der Leitlinie zur Risikobewertung für Bienen kein neues Insektizid mehr auf den europäischen Markt gelangen würde. Oder dass die geplante Aussortierung von Substitutionskandidaten die Resistenzproblematik befeuern würde. Oder dass eben die Umsetzung der Kriterien für hormonschädliche Stoffe (endokrine Disruptoren) drei Viertel der Getreidefungizide, die Hälfte der Phytophthoramittel und auch die Hälfte der Kartoffelherbizide vom Markt fegen würde.
 

Kommission beharrt auf Definitionen der WHO

All das wurde immer und immer wieder vorgetragen. Ganz sicher auch in Brüssel. Und dann, nach acht Jahren, veröffentlicht die EU-Kommission ihre Kriterien zur Regulierung eben jener endokrinen Disruptoren,  als wäre nichts gewesen. Als hätten ihnen Pflanzenschutzmittelhersteller, Beratung und Verbände nicht alles tausendmal erklärt. Dass ein Stoff, auch wenn er in Reinform gefährlich ist, in einer Mittelformulierung, bei exakter Anwendung, keine schädlichen Auswirkungen auf den Menschen und die Umwelt haben muss. Aber nein, die Kommission beharrt auf allgemein gehaltenen Definitionen der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Unterscheidung zwischen gefährlich und nicht gefährlich. „Nach den heute beschlossenen Kriterien aber wäre selbst ein alltägliches Genussmittel wie Kaffee als Pflan­zenschutz-Wirkstoff nicht genehmigungsfähig“, kommentiert IVA-Hauptgeschäftsführer Dietrich Pradt lakonisch.

Das scheint mir von der Lebenswirklichkeit etwa so weit entfernt wie Wolfsburg von der Meisterschaft. Wie kann es sein, dass die EU-Kommission nach acht Jahren Nachdenken nicht in der Lage ist, die Praxis eines doch recht wichtigen Wirtschaftszweiges zu verstehen?

Vom Feld: Live-Bilder aus der Saison 2017

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