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Regenerative Landwirtschaft

Carbon Farming: Mit Humus CO2 binden, mit Zertifikaten Geld verdienen

Hände halten humusreiche Erde
am Dienstag, 27.10.2020 - 12:01 (3 Kommentare)

Diesen Herbst stellen zwei größere Landwirtschaftsbetriebe zum Teil auf regenerative Wirtschaftsweise um. In einem Pilotprojekt messen die Firmen Indigo und Wasa dort die Veränderungen des organischen Kohlenstoffs im Boden und starten Modellrechnungen über den Erfolg, um CO2-Zertifikate zu verkaufen.

Die US-Firma Indigo und der Knäckebrothersteller Wasa wollen neue Methoden entwickeln, um die Folgen von Treibhausgasänderungen auf landwirtschaftlichen Betrieben genau messen und nachweisen zu können. Dazu haben sie in Europa ein Pilotprojekt gestartet. An dem nehmen das Rittergut Nordsteimke und die Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH teil.

Das Geschäft mit CO2-Zertifikaten soll damit in Schwung kommen. In den USA seien bereits finanzielle Anreize zum „Kohlenstoffanbau" geschaffen. Etliche Konzerne haben sich nach Firmenangaben dort auf 20 US-$ pro Tonne Kohlendioxidäquivalent als Kaufpreis für die Vegetationsperiode 2020 verpflichtet. Die Methode sollen nun auch in Europa forciert werden.

Roggenanbauer, Brotbäcker und Finanzinvestor in einem Boot

Das hiesige, dreijährige Pilotprojekt mit 400 ha soll rund 20 deutsche und schwedische Roggenanbauer in Deutschland und Schweden dabei unterstützen, regenerative Methoden zur Kohlenstoffbindung in ihren Böden zu entwickeln. Dazu sollen Methoden und Möglichkeiten fixiert werden, wie sich Emissionen vom Feld bis ins Regal exakt feststellen und senken lassen.

Ab Herbst misst Indigo die Veränderung des organischen Kohlenstoffs im Boden und rechnet sie nach einer zertifizierten Methode hoch. Das US-Unternehmen, das derzeit von privaten Investoren finanziert wird, will neben den CO2-Zertifikaten auch Mikroorganismen für den Humusaufbau verkaufen.

Mit Wasa, dem weltgrößten Hersteller von Knäckebrot, beginnt ab der Herbstbestellung 2020 das Pilotprojekt. Das will die regenerative Landwirtschaft massiv befördern. In Deutschland sind Benjamin Meise und Günther von der Schulenburg dabei.

Das sagen Teilnehmer am Pilotprojekt zu regenerativer Landwirtschaft

Benjamin-Meise-CO2-Zertifikate

„Wir wollen unsere Böden klimafit machen“, sagt Benjamin Meise, Geschäftsführer der Füstenwalder Agrarprodukte GmbH Buchholz. Der Teilnehmer am Carbon-farming-Projekt bewirtschaftet rund 3.000 ha östlich von Berlin, hält 700 Kühe, vermarktet einen Teil seiner Milch in einer eigenen Molkerei, betreibt eine Biogasanlage und hat rund 20.000 Legehennen.

Der Betriebswirtschaftler denkt „vor allem wegen der Folgen der extremen Dürrejahre 2018 und 2019“ um, will auf regenerative Landwirtschaft umsatteln und auf mehr Humusaufbau. Meise: „Allerdings haben leider nur wenig Marktteilnehmer ein Interesse daran, die Landwirtschaft zu extensivieren, ohne gleich Bio zu sein“. Darum sei regenerative Landwirtschaft für ihn der gangbare Weg.

Zu den fünf Praktiken, die Ackerböden als CO2-Senken fördern, gehören demnach vor allem

  • vielfältiger Anbau von Zwischen- und Deckfrüchten, vor allem Leguminosen,
  • stark reduzierte Bodenbearbeitung, möglichst Direktsaat,
  • deutlich weitere Fruchtfolgen mit mehr Kulturen und Pflanzenarten,
  • weniger synthetische Dünge - und Pflanzenschutzmittel mit optimiertem Wasser- und Rückstandsmanagement und
  • Beweidung möglichst vieler Ackerflächen.
Günther-Graf-Schulenburg-CO2-Zertifikate

Diese Praktiken könnten die Bodengesundheit und die Widerstandsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in Zeiten des Klimawandels verbessern, Emissionen senken und die Bindung von organischem Kohlenstoff im Boden erhöhen.

Für Günther Graf von der Schulenburg vom Rittergut Nordsteimke bei Wolfsburg in Niedersachsen ist dabei allerdings die Frage nach Glyphosat entscheidend. Schulenburg: „Die nicht-wendende Bodenbearbeitung benötigt Glyphosat. Der Wirkstoff bleibt wichtig für die Idee, den Acker als CO2-Senke zu nutzen.“ Denn jede Bearbeitung baue letztlich Humus ab.

Schulenburg bewirtschaftet neben 850 ha Ackerbau an drei Standorten in den Kreisen Wolfsburg, Gifhorn und Helmstedt allein in Ostdeutschland rund 5.000 ha Wald. Er verspricht sich verbesserte Dürretoleranz, besseres Infiltrationsvermögen und letztlich höhere Erträge und weniger Einsatz teurer Betriebsmittel.

Das erklären die beteiligten Unternehmen Wasa und Indigo

Wasa aus der Barilla-Gruppe kompensiert bereits Emissionen, etwa mit grüner Energie und dem Transport auf der Schiene. Mit dem Streben nach einem nachhaltigeren Agrarsystem will der Konzern die Emissionen beim Roggenanbau senken. Der Kernbestandteil des Knäckebrots ist laut Marketingmanagerin Katarina Waak für über 25 Prozent der gesamten Feld-zu-Regal-Emissionen verantwortlich. Das Pilotprojekt solle zeigen, „wie wir unsere Emissionen weiter senken und Kohlenstoff zurück in den Boden binden können.“ In Schweden trete die Svensk Kolinlagring-Plattform der Partnerschaft bei. Sie bringt diverse Interessengruppen mit dem Ziel zusammen, CO2 in landwirtschaftlichen Nutzflächen zu binden.

Indigo Carbon will für den Markteintritt in Europa sein vergangenes Jahr in den USA eingeführtes Programm für die EU anpassen, sagt Europa-Chef Georg Goeres. „Wir glauben fest an das Potenzial regenerativer Landwirtschaft, um die Böden und Erträge zu verbessern.“ Das Pilotprojekt solle die ganze Bandbreite regenerativer Landwirtschaft zeigen, um zu erkennen, was nötig ist, um das Programm für die CO2-Zertifikate richtig zu skalieren.

Der technologiegestützte Ansatz sei innovationsgetrieben und fördere die Nachhaltigkeit der gesamten Lieferkette. Er werde auch durch neue Methoden für die Bilanzierung von Treibhausgasen gestützt. Das schaffe Vertrauen bei internationalen Konzernen, die die CO2-Zertifikate kaufen und die Landwirte bezahlen sollen.

Diese Methodik wird verwendet: So soll das Carbon-farming funktionieren

Die „Methodik für ein verbessertes landwirtschaftliches Landmanagement“ sei ein neuer Standard zur  Verifizierung (Verified Carbon Standard), veröffentlicht von Verra. Er soll es Landwirten ermöglichen, Einkommen durch CO2- Zertifikate zu erzielen. Sie sei etwa von Aster Global Environmental Solutions geprüft, einem der weltweit führenden Anbieter zur Validierung von Treibhausgasen.

Während des Pilotprojekts erhalten die Teilnehmer konkrete Anleitungen, wie sie die neuen Verfahren auf Basis ihrer spezifischen Gegebenheiten vor Ort umsetzen, je nach Bodenart, Wetter und aktuelle Anbaupraktiken, sagt Martin Voss von Indigo.

Der Landwirt lade bei der Ersteinrichtung seine Feldmarkierung bei dem Unternehmen hoch, wähle Flächen aus und schließe online einen Vertrag. Zudem sammle und übermittle er historische Schlagdaten, alles nur einmal für jeden eingeschriebenem Acker. Dann plane er regenerative Praktiken und setze sie im Anbau ein. Darüber müsse der Teilnehmer entsprechende Daten zum Ende der Saison einreichen, die aber Eigentum der Landwirte bleiben.

Indigo erhält die Erlaubnis zur Entnahme von Bodenproben, um die Veränderung des Kohlenstoffgehalts zu messen. Das Programm modelliere anschließend alle Basiswerte. Die Nettoreduzierung an Treibhausgasen und die CO2-Bindung im Boden würden quantifiziert. So könne der Vertragspartner verifizierte und validierte CO2-Zertifikate ausgegeben und verkaufen. Die Zertifizierung erfolge durch „unabhängige Instanzen, um hohe Qualitätsstandards zu gewährleisten“.

Etliche Firmen kaufen schon verifizierte landwirtschaftliche CO2-Zertifikate

Bis 2022 will Indigo rund 2.000 Landwirte in Deutschland und Europa für regenerative Landwirtschaft und das Geschäft mit den CO2-Zertifikaten gewinnen. Die Nachfrage auf dem Carbon-farming-Markt wächst zweifellos. Nachfrager sind neben Industrieunternehmen auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), einzelne Verbraucher oder ganze Regierungen.

Laut Indigo gehören folgende Unternehmen zu den ersten, die verifizierte landwirtschaftliche CO2-Zertifikate kaufen, aus den Branchen

  • Finanzdienstleistungen (mit den Firmen Barclays, JPMorgan Chase),
  • Lebensmittel und Getränke (mit den Konzernen Dogfish Head- und, New Belgium Brauerei),
  • Technologie (mit den Unternehmen IBM, Givewith, Barclays) und
  • Dienstleistungen (mit den Firmen Shopify, Boston Consulting Group).

Das zeige die Dynamik des Sektors für messbare Lösungen gegen den Klimawandel. Die Konzerne unterstützen damit indirekt Landwirte. Das sei ein wichtiger Meilenstein in den weltweiten Bemühungen, die Landwirtschaft als Lösung für die Klimafragen zu stärken.

Mit Material von Wasa, Indigo, Verra

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