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EU-Direktzahlungen und Ernährungssicherung: Aussteigen oder aushalten?

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am Sonntag, 20.03.2022 - 06:30 (12 Kommentare)

Die EU-Agrarreform ab 2023 bedeutet für Ackerbauern hauptsächlich mehr Aufwand für weniger Geld. Wer will da angesichts der politischen Zeitenwende wegen des Ukraine-Kriegs noch mitmachen? Ein Kommentar von agrarheute-Redakteur Karl Bockholt.

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Rechnen Sie schon dreimal, ob Sie künftig noch EU-Direktzahlungen beantragen? Für 2022 haben Sie den Flächenantrag Mitte Mai hinter sich gelassen. Für 2023 zählt prämienoptimiertes Vorgehen wohl noch mehr als ackerbauliches Können. Aber sicher ist seit dem Ukraine-Krieg nichts mehr.

Darum ist eine Zeitenwende auch bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nötig. Erste Politiker fordern bereits, vor allem die Vorhaben zur umstrittenen Flächenstilllegung vorerst zu verschieben. Die drohenden Lücken allein bei Getreide wegen des Überfalls führen schon zu panischen Hamsterkäufen.

Gleichzeitig wachsen die EU-Vorschriften ab 2023 zu bürokratischen Monstern. Und die explodierenden Preise für Energie, Dünger oder Futter bei zugleich höheren Erzeugerpreisen erschweren die Abwägung für den EU-Antrag noch.

Stilllegungspflicht ohne Begrünung ganz neu überdenken

Die sogenannte Konditionalität – allein das Wort schreckt ab, wer will schon konditioniert werden? – bringt jede Menge unsinnige Vorgaben. Die müssen Sie künftig aber einhalten, um die Einkommensgrundstützung zu bekommen. Mindestens 4 Prozent der Flächen einfach stillzulegen, und das ohne Begrünung, das tut jedem Ackerbauern eh schon weh. Angesichts des Ukraine-Infernos ist es nicht mehr zeitgemäß.

Das gilt allein wegen der geschwächten Selbstversorgung. Der Krieg in der Kornkammer Europas führt deutlich vor Augen, wie grotesk es in Wahrheit ist, fruchtbare Böden wie bei uns in klimatisch günstiger Lage komplett stillzulegen und Brachen ungenutzt zu lassen für Nahrung oder Energie. Denn nicht nur bei Gas oder Öl, sondern genauso bei Nahrung und Lebensmitteln sind hierzulande Engpässe in der Versorgung möglich. Die fehlenden Mineraldünger dieses Frühjahr müssen wachrütteln.

In der Zeitenwende sind Bracheflächen überhaupt fragwürdig

Schlechter verfügbar ist auch organischer Dünger, wenn weniger Vieh im Stall steht - und das ideologische Gründe weiter fordern. Dass ökologische Vorrangflächen nun für Futter freigegeben sind, ist zwar ein erstes Zeichen. Aber die Vorrangflächen sind 2023 Geschichte, sofern die ganze GAP nicht noch verschoben wird. Dann soll nicht mehr Greening gelten, sondern Green Deal.

Der muss jetzt schnell nachjustiert werden. Nicht nur, dass die ab 2023 vorgeschriebenen Brachen die Selbstversorgung weiter schwächen. Ohne Begrünung verwahrlosen sie auch ganz schnell und bringen kaum Vorteile für die Natur. Kommen sie schon nach kurzer Zeit wieder in Kultur, sind im Extremfall mehr Herbizide nötig. Das ist ökonomisch und ökologisch fragwürdig.

Nach der Ernte ist dann vor der Brache. Für die künftigen EU-Zahlungen fahren Sie ab dem kommenden Jahr nach dem Dreschen womöglich vom Acker, ohne die Stoppel zu bearbeiten, ohne zu grubbern, zu kalken oder zu pflegen. Sinnvoll ist das nicht.

Das gilt auch für die Auflage zur Bodenbedeckung aus den acht EU-Vorgaben allein zum „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“. Die Auflage, den Boden im Winter mit Vegetation schützen zu müssen, ist längst nicht überall praxistauglich. Jeder Standort ist anders, so mancher braucht eine Winterfurche.

Beim Düngen keine Sanktionen in roten Gebieten verhängen

Für den jährlichen Fruchtwechsel auf jedem Schlag ist es unverständlich, warum Zwischenfrüchte nicht gelten oder Zweit- und Nebenkulturen eingeschränkt werden. Zumal Mischungen, Untersaaten und Begleitpflanzen mit Blick auf den Klimawandel und für mehr Ökoanbau unentbehrlich sind. Weizen nach Weizen anzubauen ist dann vorbei. Das alles ist mit Blick auf den Krieg in Europa zu hinterfragen.

Selbst EU-Reduktionsziele für Pflanzenschutz und Düngung müssen auf den Prüfstand. Denkverbote sind jetzt tabu. Sanktionen in nitratsensiblen Gebieten nach der desaströsen Düngeverordnung etwa entpuppen sich als weltfremd, wenn die Verursacher nicht mal gerichtsfest ausgemacht werden können. Überall dort, wo Betroffene ordnungsgemäß düngen und das nachweisen, etwa weil ihr eigenes Brunnenwasser nicht mit Nitrat belastet ist, darf niemand bestraft werden. Die Rolle der Bauern als Sündenböcke muss nun vorbei sein.

Landwirte sind Problemlöser, nicht Sündenböcke

Vielmehr gehören die Landwirte als Problemlöser wieder in den Mittelpunkt, und zwar mit vielen Instrumenten im Werkzeugkasten. Dazu zählen neben dem Ökoanbau auch solange chemische Mittel, bis echte Alternativen vorhanden sind. Pauschale Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel, wie sie Green Deal und Farm-to-fork fordern, sind nach dem Ukraine-Überfall nicht mehr zu halten.

Das gilt für die EU-Vorgaben wie für die nationale Umsetzung. Beispiel 3-m-Pufferstreifen an Gewässern: Sie gängeln die Bewirtschafter weiter, obwohl bei uns längst eigenes Fachrecht gilt. Wo viele Entwässerungsgräben nahe Küsten nötig sind, gibt es da bereits jetzt Probleme, weil in etlichen Grünlandbetrieben das Futter nicht mehr reicht. Den Höfen wird damit die Grundlage entzogen.

Bei Nahrung nicht immer stärker von Importen abhängig machen

Eine Einkommensstützung ist da nötiger denn je. Doch stattdessen sinken die Zahlungen bei den Betrieben, die nicht noch Eco-Schemes draufsatteln. Überdies gibt es für die meisten Öko-Regelungen zu wenig Geld. Ackerbauern müssen mit der steigenden Nachfrage nach Natur- und Klimaschutz aber Geld verdienen.

Auch dafür fehlen in der bürokratischen GAP echte Anreize, die sich wirklich rechnen. Gerade kleinere Höfe verlieren 2023 überdurchschnittlich viel Geld. Das Höfesterben hält die GAP nicht auf. Zur eigenen Ernährungssicherung trägt sie zu wenig bei. Das schreit nach Nachbesserung. 

Neben Natur- und Klimaschutz, beide unbestreitbar essentiell, ist die eigene Versorgung mit Nahrung ein hohes Gut. Das ist die Kernkompetenz der Landwirte. Die wird viel zu wenig wertgeschätzt und vor allem nicht gerecht bezahlt. Eine grünere GAP ist schön und gut, aber wenn sie die Einkommen der Bauern nicht mehr wirklich stützt, ist sie mitverantwortlich dafür, dass wir auch bei Nahrungsmitteln immer stärker vom Ausland abhängig werden.

GAP-Strategieplan noch rechtzeitig verbessern

Unter dem Strich bleibt nur zu hoffen, dass die Politik den GAP-Strategieplan ab 2023 noch rechtzeitig verbessert. Die Versorgungssicherung mit heimischen Nahrungsmitteln ist bei allem Green Deal unbedingt wieder stärker mitzudenken.

Dabei muss Cem Özdemir endlich Farbe bekennen. Auch davon hängt es ab, ob sich der EU-Sammelantrag 2023 für Ihren Betrieb wirklich noch rechnet. Und ob Sie sich die Antragstellung mit all dem verkorksten Regelwerk künftig überhaupt noch antun. Und ob die Politik noch rechtzeitig aufwacht, um große Teile einer überlebenswichtigen Berufsgruppe vor dem Ausstieg zu bewahren.

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