Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Totalherbizid

Glyphosat: Das ist Stand der Dinge im Prozess der EU-Wiederzulassung

glyphosat-eu-wiederzulassung-stand-der-dinge
am Samstag, 05.03.2022 - 06:30 (1 Kommentar)

Die Industrie wirbt damit, dass der Prozess der Wiederzulassung in der EU transparenter sei als je zuvor bei einem anderen Wirkstoff. Aber stimmt das? agrarheute hat dazu die Fakten.

Ist das möglich: In der EU erlaubt, in Deutschland verboten?

Glyphosat ist für viele Anwender ein unverzichtbarer Baustein gegen Unkraut. Fällt er weg, gebe es deutlich mehr Bodenbearbeitung mit negativen Folgen fürs Klima, so die Befürworter. Doch wie steht es wirklich um die Zulassung, die in Deutschland Ende 2023 auslaufen soll?

Wird der Wirkstoff in der EU wieder zugelassen, könne er nicht "ohne weiteres" in Deutschland verboten werden, sagt Dr. Kristian Kather von der Bayer AG und Vorsitzender der Arbeitsgruppe 'Glyphosate EU Regulatory Group' (GRG) der Industrie.

Jedes Land könne zwar über Anträge zu Glyphosat-Produkten selbt entschieden, aber nur faktenbasiert, also nach Datenanlage. "Einfach so einen Wirkstoff ablehnen" gehe eher nicht. Vielmehr müsse "ein Kompromiss" gefunden werden. Das könnten etwa eigene Auflagen und spezifische Einsatzvorschriften sein, um Risiken zu minimieren. Als Beispiel gilt etwa das 'spot spraying', bei dem nur einige Stellen des Ackers behandelt werden.

Das ist der Stand der Dinge bei der EU-Zulassung von Glyphosat

Laut der Arbeitsgemeinschaft Glyphosat (AGG) mit den vier EU-Ländern und der Glyphosate Renewal Group (GRG) der Industrie lässt sich der Stand der EU-Zulassung so zusammenfassen:

  • 12/2017 - erneute EU-Zulassung für 5 Jahre,
  • 07/2019 - erster Austausch der Arbeitsgemeinschaft Glyphosat mit EU-Behörden,
  • 12/2019 - Antrag auf Verlängerung eingereicht,
  • 06/2020 - Verlängerungsdossier eingereicht,
  • 06/2021 – erste wissenschaftliche Bewertung fertig: Renewal Assessment Report (RAR), Dossier zu harmonisierter Klassifizierung und Kennzeichnung an ECHA eingereicht, Beginn der Bewertung,
  • 09/2021 bis 11/2022 – EFSA veröffentlicht RAR, öffentliche Konsultation,
  • Q2/2022 - EFSA veröffentlicht finale wissenschaftliche Bewertung, der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) finalisiert seine Meinung zur Klassifizierung,
  • Ende 2022: Vorschlag für oder gegen Glyphosat zur Abstimmung durch die EU-Mitgliedsstaaten

So läuft das Zulassungsverfahren für Glyphosat ab

Glyphosat ist ein wichtiger Baustein im Werkzeugkasten der Unkrautbekämpfung, so Kather. Das Totalherbizid ist seit rund 50 Jahren weltweit im Einsatz. Es wird über grüne Pflanzenteile aufgenommen und wandert in Rhizome, so dass es auch schwer bekämpfbare Unkräuter trifft.

Die EU-Gesetzgebung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sei eines der strengsten Regelwerke weltweit. Dabei gelten Positivlisten für chemische Substanzen mit Höchstmengen an Rückständen, auch für den Import, und einer einheitlichen Klassifizierung und Kennzeichnung. Das Zulassungsverfahren läuft wie folgt ab:

  • Schritt 1: Zulassung des Wirkstoffs auf EU-Ebene: Das geht mit der Bewertung durch EU-Länder, EU-Behörden und per Genehmigung durch die EU-Kommission.
  • Schritt 2: Zulassung formulierter Produkte in den einzelnen EU-Ländern als nationale Zulassung in den EU-Mitgliedstaaten.

Diese Behörden sind bei der Zulassung von Glyphosat beteiligt

Grundlage für die wissenschaftliche Bewertung von Glyphosat ist das aktuelle Dossier zur EU-Zulassung des Wirkstoffs in Pflanzenschutzmitteln. Beteiligt sind dabei folgende EU-Ämter:

  • AGG = Bewertungsgruppe für Glyphosat mit vier EU-Ländern,
  • EFSA = Europäische Agentur für Lebensmittel-Sicherheit,
  • ECHA = Europäische Chemikalienagentur,
  • DG Sante = Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission, die für die EU-Richtlinie zur Lebensmittelsicherheit und Gesundheit verantwortlich ist.

Größtmögliche Transparenz oder Rosinenpickerei durch die Industrie?

Das Glyphosat-Dossier für die Ämter sei eine „umfassende Enzyklopädie“ mit allen Eigenschaften, und Datenanforderungen für den Wirkstoff, so Kather. „Dabei geht es um Sicherheit für Mensch und Umwelt.“ Das reiche von den Auswirkungen auf die Bienen bis hin zu Rückstandshochmengen.

Eine „Rosinenpickerei der Industrie“ bei den Studien verhindern nach Meinung von Kather die Regeln der guten Laborpraxis (good laboratory practice, GLP). Sie geben vor, wie Sicherheitsstudien

  • geplant,
  • durchgeführt,
  • überwacht,
  • dokumentiert,
  • berichtet und
  • archiviert werden.

So sei alles lückenlos zu dokumentieren. Neue Studien, die geplant würden, müssten zuvor genannt werden, egal, wie sie ausgehen. So sei die „Initiative für Transparenz“ bei Glyphosat so groß wie nie zuvor. Hier wolle die Industrie Vorreiter sein. Gesellschaftliche Relevanz sei dabei kein Kriterium für die Wiederzulassung. A und O sei die Sicherheit.

So viele Dokumente wurde bisher zum Dossier zu Glyphosat gesichtet

Transparenz und Dialog sollen so das Vertrauen ins Regulierungssystem fördern. Öffentlich sind

  • Dokumente und Studienberichte in eingereichten Dossiers, ausser vertrauliche und personenbezogene,
  • Protokolle und Gesprächspräsentationen mit der AGG,
  • Schriftwechsel mit den Behörden AGG, EFSA, DG Sante,
  • relevante wissenschaftliche Fachartikel im Dossier,
  • Infos für die Einreichungen 2012 und für das aktuelle Dossier 2020.

Diese Daten und Hintergrundinfos finden sich hier. Von Januar 2010 bis Juni 2020 wurden nach Angaben der GRG insgesamt 12.178 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Davon waren 733 relevant, und zwar

  • 163 zur Ökotoxikologie,
  • 173 zum Umweltverhalten,
  • 41 zu Rückständen,
  • 356 zur Toxikologie.
Mit Material von GRG
Das agrarheute Magazin Die digitale Ausgabe März 2023
agrarheute_magazin_composing

Kommentar

agrarheute.comKommentare werden geladen. Bitte kurz warten...