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Gastkommentar zur Düngeverordnung

Rote Gebiete: ist die Kuh nun vom Eis? Längst nicht, sagen Fachleute!

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am Montag, 11.07.2022 - 08:27 (Jetzt kommentieren)

Die Politik wirft Nebelkerzen und spielt Schwarzer Peter, meint Prof. Dr. Henning Kage von der Universität Kiel zum Bundesratsbeschluss zur Vergrößerung der Roten Gebiete. Lesen Sie hier seine Einschätzung.

Nun ist sie also beschlossen, die überarbeitete Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA). Im Schatten von Covid und Ukrainekrieg und in einem extrem beschleunigten Verfahren mit drastisch verkürzten Fristen für die Beteiligung von Interessengruppen und Verbänden. Der Bundesrat hatte in seiner Sitzung am 8. Juli 2022 der neuen Fassung der AVV GeA zugestimmt.

Trotz beschlossener neuer AVV GeA: Die Kuh ist längst nicht vom Eis

Prof. Dr. Henning Kage, Uni Kiel

In den Reden des Bundesratsplenums wurde viel über den großen Druck geredet, den die EU-Kommission ausübte und über jetzt kommende Planungssicherheit für die Landwirte. Allgemein war man wohl erleichtert, jetzt die Kuh vom Eis zu haben und das Thema endlich von der Tagesordnung nehmen zu können. Aber ist das so? Daran kann man meines Erachtens berechtigte Zweifel haben.

Obwohl die Eingriffsintensität deutlich hinter den Maßnahmen der niederländischen Regierung zur Minderung des Stickstoffüberschussproblems zurücksteht, fragen sich viele Landwirte, ob ihre Regierung sie mit dieser Verwaltungsvorschrift und der Düngeverordnung gerecht behandelt. Das heißt vielmehr, werden sie durch eine in Deutschland und in der EU vergleichbare Regulierung angemessen in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt? Mit "Ja" lässt sich diese Frage wohl kaum beantworten.

Technische Innovationen und hohe Düngerpreise führen längst zu mehr Stickstoffeffizienz

Eine Reduktion der nach DüV zulässigen Düngung um 20 Prozent, die nun in wesentlich größeren Gebietsanteilen kommen wird, ist mit großer Sicherheit für viele Kulturen überhaupt nicht zielführend. Für einige andere Ackerfrüchte ist es gegebenenfalls nötig, die Bedarfswerte zu überprüfen. Die Annahme, durch einige Jahre reduzierter statt bedarfsgerechter Stickstoffdüngung zu einer besseren Nitratkonzentration im Grundwasser zu kommen, ist daher mehr als unrealistisch.

Auch ohne diese Vorschriften würden wir in den nächsten Jahren in den meisten Regionen eine weiter langsam abnehmende Nitratkonzentration im Grundwasser beobachten können. Andere Auflagen der DüV, etwa die beschränkte Herbstdüngung oder die Pflicht zu Zwischenfrüchten, weiter technische Innovationen und steigende Düngerkosten werden zu einer weiter zwar eher langsamen, aber stetig verbesserten Stickstoffeffizienz in der Landwirtschaft führen.

EU-Nitratrichtlinie deckt Addition des denitrifizierten Stickstoffs nicht

Wird man den Zielwert von 50 mg NO3/l Nitrat im Sickerwasser (nicht im Grundwasser) unter jedem Quadratmeter mit landwirtschaftlicher Nutzung erreichen können? Mit Sicherheit nicht! Dieser Zielwert wird selbst in Waldgebieten teilweise oder bei Ökolandbau überschritten. Er wäre in vielen Regionen nur durch extensive Grünlandnutzung erreichbar. Dieses Ziel steckt aber verklausuliert in der vermaledeiten AVVGea.

Die Addition des bereits zu N2, das heißt zu molekularem Luftstickstoff denitrifizierten, zum tatsächlich gemessenem Nitrat verschiebt den Zielparameter von 50 mg NO3/l der Nitratrichtlinie aufwärts, vom Grundwasser bis kurz unterhalb der Grenze des durchwurzelten Bodenraums. Das ist durch die Nitratrichtlinie der EU nicht gedeckt.

Aus Sicht der Wasserwirtschaft mag das wünschenswert sein. Aber ist das mit einer ausreichend produktiven Landwirtschaft kompatibel? Eher nicht. Sind die Kapazitäten zur Denitrifikation tatsächlich so endlich, oder erneuern sie sich nicht vielmehr, etwa durch das Verlagern von organischem Kohlenstoff aus Oberboden und Wurzelraum?

Rote Gebiete: Mehr Fragen offen als gelöst

Hier sind meines Erachtens noch viele Fragen offen. Und die Zielkonflikte sind nicht ausreichend ausdiskutiert. Gerne verstecken sich die Politiker vor solchen Argumenten hinter der EU-Kommission und den drohenden Strafzahlungen. Die EU hat aber in ihrem Schreiben an die Bundesregierung nur gefordert, dass alle roten Messstellen in roten Gebieten liegen sollten. Die Klagen der Betroffenen werden zu Recht weitergehen.

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