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Dünger mit Nebenwirkungen: Einsatz von Kalkstickstoff umstritten

AF_Wiese-Dünger
am Donnerstag, 04.06.2020 - 06:03 (2 Kommentare)

Nach vorläufiger Einschätzung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) gilt vor allem die herbizide Wirkung von Kalkstickstoff als Problem. Bisher liege keine Zulassung als Pflanzenschutzmittel vor, obwohl es Erkenntnisse auf eine hormonschädigende Wirkung gebe.

Die ECHA wird sich voraussichtlich gegen den Einsatz von Kalkstickstoff als Dünger aussprechen. Ein Sprecher der in Helsinki ansässigen Behörde erklärte, dass es allerdings eine Ausnahme für Granulate in einem geschlossenen System geben könne. Zudem handele es sich noch um eine vorläufige Einschätzung.

Eventuelle Beschränkungen zur Anwendung sollen nach Empfehlung der Forscher zunächst für 36 Monate nach Inkrafttreten gelten. Aktuell sei man dabei, in den ECHA-Ausschüssen ein Dossier zu erörtern, das auf einer im März abgeschlossenen wissenschaftlichen Konsultation beruht. Abschließende Ergebnisse würden gegen Ende des Jahres erwartet. Sie sollen dann der EU-Kommission zur Entscheidung übermittelt werden.

Diese Nebenwirkungen hat Kalkstickstoff

Kalkstickstoff wird in zwei Formen auf den Markt gebracht: feinpulvrig gemahlen und geperlt. Seit rund zwei Jahren wird er bei uns nur noch granuliert angeboten. In den vergangenen Jahren, so die Hersteller, sei die Nachfrage nach zwischenzeitlichem Rückgang wieder angestiegen. Ursache sei unter anderem der Wegfall mehrerer Pflanzenschutzmittel.

Nach rund 100 Jahren Einsatz des Düngers konnte laut Industrie bis heute keine schädliche Langzeitwirkung auf Boden und Umwelt oder eine Resistenzbildung bei Unkräutern oder Schädlingen beobachtet werden. Der zugelassene EU-Dünger werde in allen Ländern der EU eingesetzt.

Er wirkt auch sekundär, bekämpft unter anderem einige Pflanzenkrankheiten und Schädlinge, etwa den Drahtwurm in Kartoffeln oder den Wurmbefall von Weidetieren auf Grünland. Zudem gibt es Hinweise, dass er wie ein Herbizid gegen etliche Unkräuter wirkt.

Kalkstickstoff ist nicht als Pflanzenschutzmittel zugelassen

Genau da sieht die ECHA allerdings offenbar das Problem. Der Grund: Kalkstickstoff ist nicht für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Zudem sei die Behörde zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einsatz als Dünger für Oberflächengewässer und Böden nicht ausreichend kontrolliert werde.

Ein Risiko für die menschliche Gesundheit durch mit Kalkstickstoff kontaminiertem Grundwasser besteht der ECHA zufolge jedoch offenbar nicht; nichtsdestotrotz werde die Qualität des Grundwassers beeinträchtigt. Überdies würden jüngste Erkenntnisse auf eine Wirkung als endokriner Disruptor beim Menschen hindeuten, die das Hormonsystem schädigt. Das könnte eine entsprechende Neubewertung nötig machen.

Rund 53.000 t Kalkstickstoff in der EU als Dünger

Kalkstickstoff war der erste Mineraldünger, der es möglich machte, Luftstickstoff zur Pflanzenernährung zu nutzen. Der durch Luftzerlegung gewonnene Stickstoff wird bei Temperaturen um 1.100 °C an Calciumcarbid gebunden. Dabei entsteht Calciumcyanamid, das eben als Kalkstickstoff bekannt ist.

Darin ist der Stickstoff in der sogenannten NCN-Bindungsform enthalten. Sie hilft, die Pflanzen über eine längere Zeit bedarfsgerecht zu ernähren. Zudem erhöht das die biologische Aktivität des Bodens. So werden bodenbürtige Krankheitserreger zurückgedrängt. Das verbessert die Bodenhygiene.

Das enthaltene Calcium ist zum großen Teil wasserlöslich und sofort pflanzenverfügbar. Während anderen Stickstoffdünger mehr oder weniger stark versauernd wirken, verbessert Kalkstickstoff die Kalkbilanz.

Laut ECHA werden in der EU jährlich rund 130.000 t Kalkstickstoff produziert, von denen etwa 53.000 t gedüngt werden, schätzungsweise auf rund 230.000 ha. Das entspricht etwa 0,2 Prozent des Ackerlandes in der EU.

Bisher gelten diese Sicherheitshinweise für Kalkstickstoff

Das Einatmen von Staub ist zu vermeiden. Bei starker Staubentwicklung ist eine FFP2-Halbmaske mit Partikelfilter (nach DIN EN 149) zu tragen. Hautkontakt, vor allem Berührungen mit den Augen, gilt es unbedingt zu vermeiden. Nötig sind geeignete, langärmlige Schutzkleidung und eine Schutzbrille. Auch ist dafür zu sorgen, dass Tiere keinen Kalkstickstoff aufnehmen 

Laut Düngeindustrie ist Kalkstickstoff kein Gefahrgut im Sinne der Transportvorschriften. Er unterliegt der Wassergefährdungsklasse 2. Gemahlener Kalkstickstoff  ist weder selbstentzündlich noch brandauslösend. Bei intensiver Hitzeeinwirkung kann er sich zersetzen. Dann bilden sich Ammoniak und nitrose Gase. Bei Brand im Lager ist ein umluftunabhängiger Atemschutz und ein Chemikalienschutzanzug zu tragen. Löschmittel sind Löschpulver, Sprühwasser und Trockensand.

Das ist beim Lagern von Kalkstickstoff zu beachten

Der Lagerort ist vor der Beschickung mit loser Ware sorgfältig zu reinigen. Der Dünger ist vor Feuchtigkeit zu schützen. Er darf nicht mit leicht entzündlichen und brennbaren Stoffen lagern.

Wichtig ist auch die getrennte Lagerung von nitrathaltigen Düngern und von sauer oder basisch reagierenden Stoffen. Gemahlener Kalkstickstoff darf mit ammonium- und ammoniumnitrathaltigen Düngern nur danngelagert werden, wenn er davon getrennt ist. Nötig ist ein Mindestabstand von

  • 5 m bei loser Lagerung im Freien,
  • 2,50 m bei loser Lagerung im Lagerraum,
  • 1 m bei verpackten Produkten im Lagerraum.

Kalkstickstoff greift weder Holz, Beton, Kunststoffe noch Stahl an. Im Flachlager gelten die üblichen Grundsätze für die Lose-Lagerung von Mineraldüngern. Dazu gehört das Abdecken mit Folie. Im Hochsilo sind keine Verklumpungen zu erwarten, solange keine Feuchtigkeit zutritt.

Mit Material von AgE, AlzChem, SKW, Evonik
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