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Klimaschutz

Können Landwirte mit Humus die Klimakrise besiegen? Vergessen Sie’s!

Ausweg aus der Klimakrise?
am Dienstag, 03.01.2023 - 07:10 (35 Kommentare)

Immer wieder nennen Experten den Humus, wenn es um die Klimakrise und Ernährung geht. Doch die Fixierung auf den wichtigen oder sogar wichtigsten Bodenbestandteil führt in die Irre.

Wer heute die Welt retten möchte, greift zum Humus. Könnte man denken. Der Wunderstoff hat das Licht am Ende des Tunnels ersetzt. Wenn wir nur genug vom Humus haben, lösen sich alle Probleme in dieser schwarzen, bröckeligen, angenehm duftenden Substanz. Wir kriegen die Klimakrise in den Griff, retten die Artenvielfalt und machen alle Menschen satt. Das Beste daran: Wir verdienen auch noch daran, denn CO₂-Zertifikate wollen alle! Hurra - wir haben Humus!

Ganz ehrlich: Ähnlich erfolgversprechend ist es, nach den Avengers im Telefonbuch zu gucken und Iron Man um Hilfe zu bitten.

Denn mit Humus oder sogar mit künstlichem, industriellen Humus allein knacken wir die Probleme nicht, die wir zu lösen haben. Es ist aber auch zu verlockend. Die Menschheit leidet unter ihrer eigenen Prokrastination, wie es neudeutsch so schön heißt. Aufschieberitis könnte man sagen. Und der Humus ist quasi ein Symbol dafür, dass wir ja noch einen Trumpf in petto haben.

Wo liegt die Ursache für die Klimakrise?

Fakt ist, wir pusten zu viel CO₂ in die Luft. Bei rund 420 ppm liegt der CO₂-Gehalt dieses Jahr. Als ich studiert habe, in den 1990ern waren das noch gut 330 ppm. Das nahezu ungebremste Wachstum bringt das Klima, wie wir es lieben, durcheinander. Dürre und Dauerregen nehmen auch in Deutschland zu. Also muss das CO₂ raus aus der Atmosphäre. Dabei kommt den Ökosystemen eine zentrale Rolle zu.

Denn Böden und Pflanzen speichern CO₂. Wer also mehr Bäume pflanzt, holt mehr CO₂ aus der Atmosphäre. Wer seinen Boden so bestellt, dass sich mehr Humus bildet, holt CO₂ aus der Atmosphäre. Und wo die Böden schon so hinüber sind, dass sie nicht mehr von sich aus CO₂ aufsaugen, da helfen wir mit künstlichem Humus nach. Oder wir pflanzen einfach ein paar Milliarden Bäume.

Künstlicher Humus löst das Klimaproblem nicht

Das hört sich nach einem Plan an. Nach einem verdammt guten. Wenn man den CO₂-Gehalt im Boden steigert, jedes Jahr nur um weniger als einen halben Prozentpunkt, retten wir uns aus der Klimakrise. Ganz sicher!

Doch - leider - das funktioniert nicht. Das Problem hat mehrere Facetten. Zum Beispiel, wenn man die Idee mit dem künstlichen Humus weiterdenkt. Es braucht viel Knowhow, viel Energie und Organisation und macht viel Arbeit, aus Gartenabfällen wertvolle Huminstoffe herzustellen. Erst muss man sie sammeln, sie aufwändig aufbereiten und sie dann verteilen. Bestimmt ein Leichtes in Gegenden, wo man froh ist, wenn es eine Straße gibt. Oder einem der örtliche Warlord nicht den Lkw abnimmt. Künstlich Humus herzustellen, ist ein wichtiger Erfolg, aber wohl kaum geeignet, die Klimakrise zu lösen.

Müssen Landwirte CO2 Zertifikate zurückzahlen, wenn sie Humus verlieren?

Ähnlich verhält es sich mit CO₂-Zertifikaten. Nette Idee, die aber an der Realität zerschellt. Denn Ackerboden oder Weideland kann zwar CO₂ speichern, aber eben nicht unbegrenzt. Eine Hochrechnung in die Zukunft inklusive wachsender Einnahmen ist unredlich. Denn viele Rechnungen basieren auf Idealbedingungen. Zudem ist das Ganze reversibel. Das heißt, wenn die äußeren Bedingungen sich ändern, ist das CO₂ schneller wieder aus dem Boden, als ein Apfel zum Reifen braucht.

Das lässt sich schon heute in vielen deutschen Waldgebieten beobachten, die ihrer Bäume beraubt sind. Ihre Böden bauen munter Humus ab, CO₂ entweicht in die Atmosphäre. Im Moment ist noch nicht ganz abzusehen, welche Mengen CO₂ die Zusammenbrüche nach den Dürren der letzten Jahre freisetzen. Aber klar ist, dass selbst Wälder keine ewige Klimabank sind. Wie können das dann Blühstreifen, Felder und Wiesen leisten? Und warum ist der Landwirt allein dafür verantwortlich?

Da stellt sich dann die Frage, was mit bezahlten Klimazertifikaten passiert. Müssen Landwirte das Geld wieder zurückzahlen, wenn ihre Flächen wieder zu CO₂-Quellen werden?

Wieviel CO2 lässt sich mit Humus binden?

Und schließlich, um die Laune vollends zu verderben: Selbst wenn das alles klappen würde, können wir nicht einmal unser CO₂ in Deutschland binden. Unterm Strich könnten bundesweit drei Millionen Tonnen weniger CO₂ in der Atmosphäre sein, wenn es mit dem Humusaufbau klappt. Dazu 52 Millionen Tonnen CO₂, die Wälder aufnehmen. Rechnet man intakte Moore hinzu, senken diese die Emissionen noch einmal um mindestens 50 Millionen Tonnen. Prima, der Planet ist gerettet.

Doch auf der anderen Seite der Bilanz steht unser CO₂-Ausstoß. Er liegt bei 739 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2020. Und das nur, weil Corona in dem Jahr hierzulande die Wirtschaft ausgebremst hat. Selbst im besten Fall rettet uns also der Humus nicht.

Die Politik war 40 Jahre feige - jetzt sollen es Landwirte und Förster richten

Statt nach diesem Strohhalm zu greifen, muss die Menschheit CO₂ einsparen. Was Landwirte aus der Atmosphäre holen, ist dann ein wichtiger, zusätzlicher Beitrag zum Klimaschutz. Und das muss honoriert werden. Aber allein auf die Landwirte oder Förster zu zeigen oder auf sie zu hoffen, bringt es nicht. Die sind nur zum kleinen Teil an der Misere Schuld.

Die Politik war die letzten 40 Jahre zu feige, eine ernsthafte Klimapolitik zu betreiben. Sie haben es versäumt, den Menschen die Folgen ungebremsten Konsums und ungebremster Mobilität zu erklären. Vielleicht schafft es die neue Regierung den Menschen mal die notwendigen Veränderungen zuzumuten.

Oder sie rufen die Avengers.

 

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 21.12.2021 erstellt und am 03.01.2023 aktualisiert.

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