Das Urteil wurde in Vorabentscheidung bekannt. Das wird den Ausnahmengenehmigungen in etlichen EU-Ländern für Neonikotinoide voraussichtlich einen Riegel vorschieben.
Nach Auffassung der Richter erlaubt es der EU-Rechtsrahmen nicht, Pflanzenschutzmittel zur Beizung und den Einsatz entsprechenden Saatguts zuzulassen, wenn genau dies ausdrücklich per Durchführungsverordnung verboten wurde. Die gibt es seit 2018 für die neonikotinoiden Wirkstoffe
- Clothianidin,
- Imidacloprid und
- Thiamethoxam.
Sie dürfen nur noch zur Saatgutbeizung in Gewächshäusern eingesetzt werden, wenn die behandelten Kulturen darin wachsen.
Wer hatte gegen die Notfallzulassungen von Neonikotinoiden geklagt?
Geklagt hatten ein belgischer Imker sowie die Umweltorganisationen Nature et Progrès Belgique und Pesticide Action Network Europe (PAN Europe). Darum musste sich der EuGH mit den Notfallzulassungen durch ein Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Staatsrats befassen.
Mit solchen Vorabentscheidungsverfahren können Gerichte der EU-Länder den EuGH danach fragen, wie das Unionsrecht ausgelegt wird oder wie es gilt. Die Entscheidungen sind für die nationalen Instanzen bindend.
Warum kritisiert die Zuckerwirtschaft die Auslegung des EU-Rechts?
An der Entscheidung zu den Notfallzulassungen des EuGH gibt es viel Kritik. Sie kommt von etlichen Verbänden:
- Verband der Europäischen Zuckerindustrie (CEFS),
- Internationale Vereinigung Europäischer Rübenanbauer (CIBE) und
- EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und
- ländliche Genossenschaften (COGECA).
Das Urteil lege die Vorschriften über Notfallzulassungen „sehr restriktiv“ aus. CIBE-Direktorin Elisabeth Lacoste sagt, dass viele Landwirte wenige Wochen vor dem Beginn der Aussaat in eine noch nie dagewesene Situation gebracht würden. CEFFS-Generaldirektorin Marie-Christine Ribera warnt vor einem Abbau der EU-Zuckerproduktion. Das werde Arbeitsplätze im ländlichen Raum kosten und die Einfuhr von weniger nachhaltigem Zucker aus Übersee nach sich ziehen.
Wofür wird die EU-Kommission wegen der Notfallzulassungen kritisiert?
Die Beschwerdeführer des belgischen Verfahrens begrüßen dagegen die Entscheidung der Luxemburger Richter. Das Urteil werde fast der Hälfte der von den EU-Staaten erlassenen Notfallzulassungen einen Riegel vorschieben.
Der Geschäftsführer von PAN Europe, Dr. Martin Dermine, erklärt, es sei „schockierend“ gewesen, die Position der EU-Kommission im Verfahren zu sehen. „Es war offensichtlich, dass sie auf der Seite des Agribusiness stand.“ Die Anwälte der Brüsseler EU-Behörde hätten sogar vorgebracht, dass die EU-Länder Ausnahmeregelungen nur zuließen, wenn es keine Alternativen gebe.
Warum wurde die Entscheidung über Neonoicotinoide für 2023 in Frankreich vertagt?
Unmittelbare Folgen hat das EuGH-Urteil in Frankreich. Die Regierung hat auch für 2023 eine entsprechende Notfallzulassung zur Beizung von Rübensaatgut vorbereitet. Die Vorgaben sind dieselben wie 2022. Die begleitenden Studien deuten aktuell aber auf einen geringen Virusdruck hin.
Vergangenen Freitag (20.1.) sollte sich der zuständige Ausschuss positionieren, doch die Sitzung wurde kurzfristig verschoben. Medienberichten zufolge will die Regierung den Aufschub nutzen, um die Konsequenzen des Urteils zu bewerten.
Beobachter gehen derweil davon aus, dass Paris eine erneute Ausnahmegenehmigung erteilen wird und die Angelegenheit dann von Umweltorganisationen vor das oberste Verwaltungsgericht gebracht wird.
Zuvor hatten mehrere Umweltorganisationen aus Protest ihren Rückzug aus dem Ausschuss angekündigt. Sie kritisierten, dass trotz offenbar veränderter Ausgangsbedingungen nicht von den Notfallzulassungen abgerückt werde.
Wie reagiert der Verband der französischen Rübenerzeuger?
Unverständnis äußert der Verband der Rübenerzeuger (CGB) und nennt die EuGH-Entscheidung „brutal“. Sollte sie umgesetzt werden, seien „katastrophale und irreversible“ Folgen für den ländlichen Raum zu befürchten, warnt der Verband. Nur wenige Wochen vor der Aussaat dürften die Rübenbauern nicht in einer Sackgasse gelassen werden.
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