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Ernährungssicherheit

Anstatt ÖVF-Freigabe: Özdemir will Fruchtfolge-Regeln durchbrechen

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am Mittwoch, 11.05.2022 - 17:16 (8 Kommentare)

Ab 2023 schreibt das EU-Recht eine zweijährige Anbaupause für Weizen vor. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will die gute fachliche Praxis außer Kraft setzen und die Landwirte so zum aufeinanderfolgenden Weizenanbau animieren.

Cem Özdemir bei Rede im Bundestag

Um einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit zu leisten, setzt sich Cem Özdemir bei der EU-Kommission dafür ein, die Regelungen zum Fruchtwechsel um ein Jahr zu verschieben. Wie das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) in einer Presseinformation erklärt, wurde in der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) beschlossen, dass die EU-Mitgliedstaaten Regeln zum Fruchtwechsel auf Ackerland erlassen (GLÖZ 7). Die EU-Verordnung 2021/2115 sehe als Basisrechtsakt vor, dass die Vorgaben zur Fruchtfolge von 2022 auf 2023 umgesetzt werden müssen.

Aus dem BMEL heißt es: „Das schränkt die Anbauplanungen der Landwirte insbesondere auch zur Aussaat von Wintergetreide im Herbst 2022 – also bereits vor Inkrafttreten der GAP-Reform zum 1. Januar 2023 – stark ein. Der Anbau von Winterweizen auf Winterweizen auf derselben Ackerfläche wäre damit nicht mehr möglich.“

Mit der Bitte um Klarstellung habe sich das Ministerium nun an die EU-Kommission gewandt. Erreicht werden solle, dass der Fruchtwechsel erst von 2023 auf 2024 vorgenommen werden muss.

Dagegen sehen die Regeln des Pflanzenbaus je nach Standortbedingungen eine drei- bis vierjährige Anbaupause für Weizen vor. Neben dem erhöhten Risiko von Pflanzenkrankheiten führt der aufeinanderfolgende Weizenanbau (Stoppelweizenanbau) auf derselben Fläche zu einem intensiveren Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, was den nationalen und europäischen Zielvorgaben widerspricht. Außerdem sind geringere Erträge zu erwarten.

BMEL wünscht sich Erhöhung der Weizenerträge

Für das BMEL soll die erbetene Verschiebung der Fruchtfolge-Regeln aber ein Instrument sein, um angesichts der Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine die Weizenerträge zu erhöhen. „Unsere große Aufgabe dieser Zeit ist: Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität. Daran müssen wir uns messen lassen. […] Ich entscheide deshalb immer Fall für Fall, um diese drei Ziele zusammenzubringen“, so Özdemir.

In der heutigen (11.05.) Aktuellen Stunde „Hunger vermeiden – Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen“, die auf Initiative der Unionsfraktion stattfand, erklärte auch die SPD-Agrarpolitikerin Franziska Kersten, dass die Bodenqualität auf guten Standorten nicht leide, wenn der Weizen zweimal hintereinander angebaut wird. Der aufeinanderfolgende Anbau bringe deutlich mehr als die Nutzung von Brachen. „Kurzfristiges Produzieren um jeden Preis, ohne die ökologischen Folgen zu sehen“, helfe in der aktuellen Situation nicht weiter, so Kersten.

Der Bundeslandwirtschaftsminister gestand in der Aktuellen Stunde den Zielkonflikt ein. In Fruchtfolgen mit Weizen auf Weizen zahlten Umwelt und Böden einen Preis, sagte Özdemir und erklärte: „Ich finde, dieser Kompromiss steht in einem vertretbaren Verhältnis zur Notwendigkeit.“ Der Grünen-Politiker verwies außerdem auf die beschlossenen Krisenreserven von 180 Mio. Euro und machte seine Unterstützung für die Pläne von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) deutlich, den Anbau von Energiepflanzen zu reduzieren.

Auernhammer erinnert an gute fachliche Praxis

Artur Auernhammer bei Rede im Bundestag

Unterschiedliche Stimmen zu Özdemirs Krisenmanagement waren von CDU und CSU zu vernehmen. Deutliche Kritik kam in der Aktuellen Stunde von Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze, der von den schwierigen Verhandlungen in der Agrarministerkonferenz berichtete. Nach Schulzes Auffassung habe die aktuelle EU-Kommission bisher am meisten für den Umwelt- und Klimaschutz getan – und die ökologischen Vorrangflächen trotzdem für den Anbau von Nahrungsmitteln freigegeben. „Wenn diese Kommission das sagt, dann muss man das sehr ernst nehmen“, so Schulze. Alle nicht-grünen Landwirtschaftsminister hätten sich in der Agrarministerkonferenz für eine vollständige Umsetzung der Beschlüsse aus der EU ausgesprochen.

Der Bundes- und Europapolitiker Peter Jahr äußerte in einer Pressemitteilung: „Diese Ankündigung ist grundsätzlich zu begrüßen, aber dennoch ein Zeichen eines unkoordinierten Handelns des Bundeslandwirtschaftsministers. Herr Özdemir will einerseits den Fruchtwechsel aussetzen, belohnt aber gleichzeitig Flächenstilllegungen mit 1300€ pro Hektar.“

CSU-Politiker Artur Auernhammer stellte in der Aktuellen Stunde die Bedeutung von Özdemirs Plänen für die Praxis klar. Es zeige sich in der Verschiebung der Fruchtfolge-Regeln, dass politische Ideologie und landwirtschaftlicher Sachverstand aufeinander treffen. Auf seinen eigenen Flächen müsse Auernhammer bei Auslassen der Anbaupause für Weizen mindestens eine Fungizidbehandlung mehr durchführen. „Das ist landwirtschaftliche Praxis und da haben Sie anscheinend noch nicht die notwendige Reife“, sagte er zu Özdemir.

Nach Informationen des BMEL werden in Deutschland jährlich etwa 3 Millionen Hektar Winterweizen angebaut. Davon werde auf bis zu 600.000 Hektar Weizen im zweiten Jahr angebaut.

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