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Bauernmilliarde: Mit plattem Reifen gestartet

Platter-Reifen-Bauernmilliarde-Investitionsprogramm-Landwirtschaft
am Donnerstag, 19.08.2021 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Vor rund einer Woche hat das Bundeslandwirtschaftsministerium eine euphorische Zwischenbilanz zum Investitionsprogramm Landwirtschaft, der sogenannten „Bauernmilliarde“, gezogen. Doch bei genauerem Hinsehen bleiben viele Fragen offen.

Für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist der Fall klar: „Die Auswertung belegt, dass wir mit unserem Programm den richtigen Nerv bei den Landwirten getroffen haben.“ Angesichts von 4500 genehmigten Anträgen und einer ausgereichten Fördersumme von knapp 160 Millionen Euro klingt es zunächst auch nach einer guten Bilanz des Investitionsprogrammes Landwirtschaft, vulgo auch „Bauernmilliarde“.

Wie viele Anträge beim Investitionsprogramm wurden abgelehnt?

Doch wie hoch war eigentlich die Quote der abgelehnten Anträge beim Investitionsprogramm Landwirtschaft? Gerade im Chaos der ersten Antragsrunde für die Gelder der Bauernmilliarde kamen von vielen Landwirten Beschwerden über technische Probleme. Mehrfache Nachfragen von agrarheute beim Bundeslandwirtschaftsministerium wurden schließlich mit folgender Antwort belohnt: „Die Ablehnungsquote ist sehr gering, da nur so viele Unternehmen zur Antragstellung eingeladen werden, wie auch Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Ablehnungen sind somit nur auf die Fälle beschränkt, in denen die antragstellenden Unternehmen Vorgaben der Richtlinie nicht einhalten.“

So weit so gut, doch was heißt eigentlich „gering“? Auf eine schriftliche Nachfrage beim Ministerium kam telefonisch die Antwort, man könne leider keine Zahl nennen, weil die Zahl der Ablehnungen gar so gering sei. Das ist interessant, weil die Ablehnungsquote anhand der Zahl der gestellten im Verhältnis zu den bewilligten Anträgen eigentlich leicht ausgerechnet werden kann.

Wie viele Anträge wurden beim Investitionsprogramm gestellt?

Porträt von Simon Michel-Berger

Weiß man im Bundeslandwirtschaftsministerium etwa nicht, wie viele Anträge für das Investitionsprogramm Landwirtschaft gestellt, sondern nur, wie viele bewilligt wurden? Das scheint unwahrscheinlich. Zum Glück hat das Ressort im März 2021 in einer Pressemitteilung bereits eine Zwischenbilanz der ersten Antragsrunde gezogen. Damals wurde auch die Zahl der Anträge genannt: 3600 Anträge für Maschinenförderung, 700 „weitere“ und „gut 500“ für Lagerstätten für Wirtschaftsdünger. Das macht zusammen 4.800 Anträge nach der ersten Runde. Angesichts von 4500 genehmigten Anträgen nach zwei Antragsrunden und einer angeblich so geringen Ablehnungsquote, dass diese gar nicht ins Gewicht falle, könnten also bei der zweiten Antragsrunde so gut wie keine Anträge mehr bewilligt worden sein. Auch das klingt unwahrscheinlich.

Bereits in der ersten Runde rund 3500 bewilligte Anträge

Im März 2021 ging das Bundeslandwirtschaftsministerium laut der Pressemitteilung nach der ersten Antragsrunde für das Investitionsprogramm Landwirtschaft davon aus, dass mindestens 3500 Anträge bewilligt worden seien oder in Kürze bewilligt würden. Bleiben nach aktuellem Stand maximal 1000 Anträge, die in der zweiten Runde noch bewilligt worden sein konnten. Im Mai 2021 hatte die Landwirtschaftliche Rentenbank verkündet, dass rund 13.000 Interessensbekundungen in der zweiten Runde der Antragsstellung für die Bauernmilliarde eingingen. Selbst wenn wir also annehmen, dass noch 1000-2000 in Bearbeitung befindliche Anträge aus der zweiten Runde bewilligt werden, gehen also über 10.000 Landwirte leer aus.

Mit Tricks geschönte Statistik beim Investitionsprogramm

Wie lassen sich diese Zahlen erklären? Der Trick, damit die Interessensbekundungen nicht als Ablehnungen gezählt werden und die Bilanz des Investitionsprogramms Landwirtschaft verhageln ist einfach. Nur wer eingeladen wird Antrag zu stellen, zählt auch als Antragssteller. Wer in der zweiten Runde Interesse bekundet aber dabei z.B. Formfehler gemacht hat, wird nicht zur Antragsstellung eingeladen und taucht in der Statistik nicht auf.

Bilanz der Bauernmilliarde: Viel Hoffnung geweckt, wenig Förderung verteilt

Unter dem Strich bleiben vier Erkenntnisse:

  • Die Nachbesserungen bei der zweiten Runde der Antragsstellung beim Investitionsprogramm fallen kaum ins Gewicht, weil - nach aktuellem Stand - drei Viertel der bewilligten Anträge aus der ersten Runde stammen. Wer im technischen Chaos der ersten Runde unter die Räder kam, hat Pech gehabt.
  • In der zweiten Runde kam bislang nur rund jeder 13. Betrieb, der Interesse bekundete, auch an Förderung. Eine bessere Quote als beim Lottospiel, aber trotzdem war die Bauernmilliarde hier eher ein Frustrations- als ein Förderungsprogramm für die meisten daran interessierten Landwirte.
  • Wie viele Landwirte trotz einer Förderzusage auch an das Geld der Bauernmilliarde kommen, ist, angesichts der Lieferschwierigkeiten in der Landtechnik, noch völlig offen. Dass die vollmundig verkündeten 160 Millionen im Jahr 2021 komplett abgerufen werden, ist zumindest unwahrscheinlich.
  • Bezogen auf die rund 260.000 landwirtschaftlichen Betriebe scheinen nur weniger als zwei Prozent der Betriebe in den Genuss einer Förderung gekommen zu sein, um sich den erhöhten Anforderungen der verschärften Düngeverordnung leichter anpassen zu können. Eine große Reichweite sieht anders aus.

Bauer sind unzufrieden mit Umsetzung der "Bauernmilliarde"

Doch zum Glück trifft das Investitionsprogramm Landwirtschaft ja den Nerv der Landwirte. Oder gehen den Bauern nur teilweise erfüllte aber großspurig gemachte Ankündigungen der Bauernmilliarde doch eher mehr auf die Nerven? Das momentane Urteil aus einer Online-Umfrage von agrarheute ist eindeutig: Über 90 % der Befragten sind unzufrieden.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Investionsprogramm?

Auswahlmöglichkeiten

Wem hat das Investitionsprogramm Landwirtschaft genützt?

Wem also hilft die Bauernmilliarde am meisten? Landtechnik-Herstellern und Handel, die einen Schub beim Maschinenverkauf bekommen? Banken, die zusätzliche Kredite vergeben und dafür Gebühren verlangen können? Der PR-Maschinerie des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die erwartungsgemäß vor der Wahl jubelt? Oder doch dem kleinen Anteil an Landwirten, die Förderung für ihre Maschinenkäufe bekommen haben? Die Hoffnung bleibt, dass die Branche dadurch mehr profitiert, als sie in ein paar Jahren verlieren wird, wenn die Neuanschaffungen der "Bauernmilliarde-Maschinen" zurück in den Gebrauchtmaschinenmarkt fließen und hier die Preise drücken werden. 

Allerdings zeichnet sich am Horizont bereits die Drohkulisse für die nächste Verschärfung der Düngeverordnung ab und auch die Energie- und Wasserwirtschaft schießt weiter mit Gutachten dagegen. Unterdessen bleibt der Investitionsbedarf in der Landwirtschaft hoch – genauso wie die Unsicherheit, wie es denn weiter gehen soll.

 

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