„Dies ist ein wichtiger Moment in diesen außerordentlichen Verhandlungen“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Mittwochabend in Brüssel. Ratspräsident Donald Tusk kündigte heute (Donnerstag) an, dass ein Brexit-Sondergipfel am 25. November die Brexit-Vereinbarung formalisieren soll – sofern bis dahin „nichts Außergewöhnliches passiert“, was in London zurzeit allerdings der Fall ist.
Bevor das Austrittsabkommen in Kraft treten kann, muss es von der EU im Rat und im Europäischen Parlament und dem Vereinigten Königreich ratifiziert werden. Gerade die Zustimmung Londons ist allerdings alles andere als gesichert. Im Laufe des heutigen Tages haben bereits vier Mitglieder der Regierung von Ministerpräsidentin Theresa May ihre Ämter niedergelegt. Unter anderem trat Brexit-Minister Dominic Raab zurück, der den Austrittsvertrag maßgeblich mitverhandelt hat. Aktuell zeichnet sich ab, dass es zu einem Misstrauensvotum gegen die Regierung May kommen könnte.
Keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland
Das seit Juni 2017 verhandelte Austrittsabkommen umfasst Grundlinien für alle Elemente des Rückzugs des Vereinigten Königreichs aus der EU: Bürgerrechte, Finanzen, eine Übergangszeit, die Überwachung des Abkommens, die Protokolle zu Irland, Gibraltar und Zypern sowie eine Reihe anderer Fragen der Trennung. Eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland soll dauerhaft vermieden werden.
Der Austrittsvertrag ist im Wesentlichen jedoch ein Instrument, um weitere zwei Jahre Zeit für tiefergehende Verhandlungen zu gewinnen. Das Abkommen sieht vor, dass es bis Ende 2020 bei der Zollunion und dem freien Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU bleibt. Neue Handelsvereinbarungen mit Drittstaaten kann London nur mit Zustimmung aus Brüssel schließen.
Großbritannien wird für die Übergangszeit weiterhin wie ein Mitgliedstaat behandelt, aber in den EU-Gremien bereits ab Ende März 2019, dem offiziellen Austrittstermin, nicht mehr stimmberechtigt mitentscheiden. Dennoch verpflichtet sich Großbritannien, alle Änderungen im EU-Recht, die während der Übergangszeit beschlossen werden, umzusetzen.
Auch alle finanziellen Verpflichtungen des laufenden mittelfristigen Finanzrahmens (MFF), der 2020 endet, werden von beiden Seiten erfüllt.
Rukwied: Brüche im Handel vermeiden
Der Austrittsvertrag sieht vor, dass die Übergangsperiode einmal verlängert werden kann. Die Entscheidung hierüber muss ein Ausschuss der EU und Großbritanniens in gegenseitigem Einvernehmen vor dem 1. Juli 2020 fällen. Kommt es zu einer weiteren Verlängerung, gilt Großbritannien für die mittelfristige EU-Haushaltsplanung ab 2021 jedoch als Drittstaat.
Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), nannte den Austrittsvertrag ein "Signal der politischen und der wirtschaftlichen Vernunft. Großbritannien zählt für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft zu den wichtigsten Exportländern."
Eine übergangsweise Fortführung der Zollunion werde helfen, Brüche im Handel mit Lebensmitteln zu vermeiden, sagte Rukwied. Jetzt müssten die Zoll- und Veterinärämter zusätzliche Kapazitäten aufbauen, um die Abwicklung der Handelsformalitäten möglichst reibungslos zu gestalten.
Erleichterung in Brüssel
Erleichtert über das mögliche Zustandekommen eines Brexit-Abkommens zeigten sich die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA). Die gestrige Zustimmung des britischen Kabinetts auf eine zuvor mit Brüssel ausgehandelte Einigung bezeichneten die Dachverbände heute als „wesentlichen Schritt hin zu einem geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union“. Dadurch sei die Aussicht auf die katastrophalen Folgen eines „No-Deal-Szenarios“ zunächst gemindert.
Jedoch erinnert der Generalsekretär der beiden Ausschüsse, Pekka Pesonen, daran, dass es in den Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen noch viel zu tun gebe. Trotzdem sei das bisher erreichte Abkommen für die Zukunft des Agrarsektors von grundlegender Bedeutung, da nach dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU Ende März 2019 ein weiterhin freier und reibungsloser Handel gewährleistet werden könne.
Geografische Angaben genießen weiterhin Schutz
Der Finne begrüßt vor allem die Beibehaltung der Anerkennung von geschützten geografischen Angaben (g.g.A.) durch das Abkommen. Ganz besonders hebt Pesonen den gefundenen Kompromiss zur Offenhaltung der Grenze zwischen Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland hervor. Eine harte Grenze hätte massive negative Auswirkungen etwa für den Schlachttier- und Milchtransport.
Mit Blick auf die innerirische Grenze zeigte sich auch der Präsident des Europäischen Milchindustrieverbandes (EDA), Michel Nalet, zufrieden mit dem jetzt auf dem Tisch liegenden Papier. Hauptziel bleibe, dass auch weiterhin ein freier Warenverkehr für Milch und Milchprodukte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU-27 beibehalten werde, erklärte der Franzose.
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