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Umsetzung Koalitionsvertrag

Schlafmützige Bundesregierung? Bei Agrarpolitik passiert am wenigsten

Cem-Oezdemir-Bundesminister-nachdenklich
Simon Michel-Berger, Chefredakteur agrarheute
Simon Michel-Berger, agrarheute
am Samstag, 02.07.2022 - 05:00 (9 Kommentare)

Gut ein halbes Jahr nach dem Start der Ampel-Koalition gibt es große Unterschiede, wie weit die verschiedenen Themenbereiche aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden. Trauriges Schlusslicht dabei sind Tiere, Landwirtschaft und Ernährung.

Insgesamt 19 Vorhaben hat sich die Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen im Bereich Tiere, Landwirtschaft und Ernährung für diese Legislaturperiode vorgenommen. Für 18 davon ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Cem Özdemir federführend zuständig. Von diesen hat jedoch nur bei einem einzigen Vorhaben die Umsetzung begonnen - nämlich bei der Tierhaltungskennzeichnung mit ihren fünf Stufen. Damit ist der Bereich Tiere, Landwirtschaft und Ernährung das politische Schlusslichter in der Ampel-Koalition: Nur 5 % der Aufgaben wurden hier bislang in Angriff genommen. Das geht aus Daten hervor, die im "Koalitionstracker" des Portals fragdenstaat.de hinterlegt sind, einem gemeinnützigen Projekt der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.

Wie weit ist die Bundesregierung mit der Arbeit an ihren Aufgaben?

Die Auswertung des „Koalitionstrackers“ von fragdenstaat.de zur Umsetzung der Vorhaben der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag ergibt folgendes Ranking:

 

  • 1. Platz: Gesundheit - 33 % von 12 Vorhaben wurden begonnen oder bereits umgesetzt.
  • 2. Platz: Umwelt, Klima und Verkehr - 23 % von 26 Vorhaben wurden begonnen oder umgesetzt, 4 % wurden aktiv zurückgestellt.
  • 3. Platz Bildung und Wissenschaft - 25 % von 8 Vorhaben wurden begonnen.
  • 4. Platz: Familie - 8 % von 12 Vorhaben wurden begonnen und 17 % aktiv zurückgestellt.
  • 5. Platz: Arbeit und Soziales - 19 % von 28 Vorhaben wurden begonnen bzw. ganz oder teilweise umgesetzt, 4 % wurden aktiv zurückgestellt.
  • 6. Platz: Asyl und Migration - 19 % von 21 Vorhaben wurden begonnen.
  • 7. Platz: Wohnen und Bauen - 18 % von 11 Vorhaben wurden begonnen.
  • 8. Platz: Inneres und Kultur - 17 % von 29 Vorhaben wurden begonnen oder bereits ungesetzt.
  • 9. Platz: Gleichstellung und Antidiskriminierung - 15 % von 21 Vorhaben wurden begonnen oder bereits umgesetzt.
  • 10. Platz: Digitales - 11 % von 18 Vorhaben wurden begonnen.
  • 11. Platz: Demokratie und Staatswesen - 9 % von 35 Vorhaben wurden begonnen.
  • 12. Platz: Justiz - 7 % von 14 Vorhaben wurden begonnen.
  • 13. Platz: Tiere, Landwirtschaft und Ernährung: 5 % von 19 Vorhaben wurden begonnen.

Welche Rolle spielt das Bundeslandwirtschaftsministerium in der Arbeit der Koalition im Vergleich zu anderen Ressorts?

Insgesamt ist das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) laut fragdenstaat.de federführend für die Umsetzung von 18 Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag verantwortlich. Bis Anfang Juni 2022 hatte das Ressort noch kein einziges Vorhaben auf den Weg gebracht, erst der Vorstoß für das verpflichtende staatliche Tierwohl-Label hat das geändert. Trotzdem hat Bundesminister Cem Özdemir damit erst mit gut 5 % seiner Aufgaben begonnen. Das BMEL hat zwar anderen Vorhaben zugearbeitet, beispielsweise beim Thema Naturschutzfonds und Moorschutzstrategie. Allerdings sind dort eben andere Ministerien federführend verantwortlich.

Warum ist der politische Handlungsbedarf im Agrarbereich besonders groß?

Die wirtschaftliche Situation vieler Nutztierhalter, insbesondere der Schweinehalter, ist derzeit äußerst schwierig. Eine agrarheute-Auswertung der Viehzählung vom Mai 2022 weist auf ein Höfesterben mit Ansage hin. Aus Veröffentlichungen des Normenkontrollrates der Bundesregierung geht außerdem hervor, dass keine Branche stärker von neuen Gesetzen belastet ist, als die Landwirtschaft. Kurz nach seiner Vereidigung im Dezember 2021 hatte Özdemir in einem Interview mit der Zeitung „Bild am Sonntag“ der Vorgängerregierung vorgeworfen, Landwirtschaftspolitik 16 Jahre lang „blockiert und verschleppt“ zu haben und selbst versprochen: „Ab jetzt wird geliefert.“

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