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Kommentar

Cem Özdemir vergisst im Ukraine-Krieg die Ökolandwirtschaft

Cem-Oezdemir-Ukraine-Krise-Kundgebung-Stuttgart
am Dienstag, 08.03.2022 - 15:09 (33 Kommentare)

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich mehr Ökolandwirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Anscheinend gilt das nicht für die ökologische Nutztierhaltung. Das zeigen einige Lehren, die der Minister aus dem Ukraine-Krieg zieht.

Die Welt steuert in Folge des Ukraine-Kriegs auf eine tiefe Versorgungskrise zu, die vor allem die Ärmsten treffen wird. Wie weit die Landwirtinnen und Landwirte in der Ukraine dieses Jahr säen und ernten können, weiß niemand - allerdings sind die Vorzeichen nicht ermutigend. Doch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sagt, dass „auf dem Holzweg“ sei, wer nun fordere, „erste Schritte zu einer klima- und umweltschonenden Landwirtschaft“ zurückzudrehen. Er meint damit unter anderem die mögliche Aufhebung der Pflicht zur Stilllegung von 4 % der Agrarflächen, die ab 2023 gilt.

Warum will Cem Özdemir an der Stilllegung von Agrarflächen festhalten?

Cem Özdemir lehnt die Aufhebung der Stilllegungspflicht aus zwei Gründen ab: Erstens, weil sie erst im Jahr 2023 kommt. Zweitens, weil es ihm ein Dorn im Auge ist, dass so viel Getreide in Deutschland als Futtermittel genutzt wird. Die Menschen sollen sich stärker vegetarisch ernähren und weniger Fleisch essen.

Warum ist es befremdlich, wenn Cem Özdemir die Stilllegungspflicht verteidigt?

Zum Argument Özdemirs, die Stilllegung greift erst ab 2023, gibt es ein Gegenargument: Landwirte müssen bereits 2022 wissen, was sie im kommenden Jahr wo anbauen. Das gehört zur Planung der Fruchtfolge. Verschärft wird die Situation für diejenige, die an mehrjährigen Agrarumweltmaßnahmen teilnehmen.

Seltsam ist es außerdem, wenn ein Bundeslandwirtschaftsminister pauschal gegen die tierische Veredlung spricht. Würde zum Beispiel ein Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagen, dass die Automobilindustrie weniger Fahrzeuge herstellen soll, weil Autos schlecht für das Weltklima sind? Auch Winfried Kretschmann wirbt für einen Umbau der Automobilwirtschaft, nicht für einen Abbau. Ist angesichts des Umbaus der deutschen Nutztierhaltung die simple Flächenstilllegung wirklich das beste Instrument?

Warum schadet Cem Özdemir mit der Stilllegungspflicht den Öko-Tierhaltern?

Porträt von Simon Michel-Berger

Özdemir wirft mit seinem kategorischen Nein zur Aufweichung der Stilllegungspflicht sogar diejenigen zurück, die er eigentlich fördern will: die Öko-Tierhalter. Seit 1.1.2022 schreibt die EU-Ökoverordnung vor, dass ökologisch gehaltene Nutztiere nur noch mit 100 % ökologisch erzeugten Futtermitteln gefüttert werden dürfen. Doch diese Futtermittel kamen bis vor sehr kurzer Zeit zu einem wesentlichen Teil aus der Ukraine. Was passiert mit unseren Tierhaltern, wenn wir nicht mehr genug Futter für Hühner und Schweine haben sollten? Wo bekommen sie kurz-, mittel- und langfristig ihre Futtermittel her?

Was sollte Cem Özdemir angesichts des Ukraine-Kriegs für die ökologische Landwirtschaft tun?

Die Aufhebung der Stilllegungsflicht allein würde das Futtermittelproblem in der ökologischen Nutztierhaltung nicht lösen. Dafür braucht es viel mehr. Unter anderem muss man überlegen, ob man nicht kurzfristig doch wieder eine konventionelle Zufütterung in der Öko-Tierhaltung erlaubt.

Für einen Minister, der betont, er beobachte die Lage auf den Märkten sehr genau, ist es ein Armutszeugnis zu sagen, dass man nicht mehr so viel Getreide an Tiere verfüttern solle. Denn das trifft, angesichts einer in ihrer aktuellen Entwicklung absehbaren bevorstehenden Krise auch die Öko-Landwirte, denen Özdemir eigentlich helfen will.

Am Wochenende waren Bilder von Özdemir bei einem Fußballspiel des VfB Stuttgart in der deutschen Presse zu sehen. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen warnt aktuell vor einer möglichen globalen Hungerkrise. Bei dieser Perspektive würde ich unseren Bundeslandwirtschaftsminister lieber öfter auf landwirtschaftlichen Betrieben sehen, wo er sich selbst ein Bild von der Realität vor Ort machen kann.

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