
Am vergangenen Samstag gab Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir seine Entscheidung bekannt: Die neuen EU-Vorschriften zur Stilllegungspflicht und zum Fruchtwechsel werden auch in Deutschland 2023 ausgesetzt. So hat die EU-Kommission es vorgeschlagen. So wird es nun also auch in Deutschland umgesetzt. Eine gute Entscheidung für die Landwirtschaft und für die kurzfristige Versorgungssicherheit.
Und doch ist die Art und Weise, wie sie zustande kam, symptomatisch für eine Agrarpolitik, die den Bezug zur Wirklichkeit, zu den Anforderungen der Praxis verloren hat: nach langem Hin und Her, viel zu spät, in ihren Auswirkungen auf das hochkomplizierte Geflecht aus Förderangeboten und -bedingungen kaum noch zu durchschauen. Das hat Folgen. Viele Landwirte sind ratlos und wenden sich von der Politik ab. Das zeigen die Antworten auf eine Blitzumfrage der Redaktion agrarheute.
Ein Viertel der Landwirte will keinen Förderantrag stellen
Gefragt, wie sie mit der Aussetzung der Vorschriften zu Fruchtfolge und Stilllegung umgehen wollen, haben innerhalb kürzester Zeit mehr als 2.100 Landwirte (Stand: 9.8.2022, 10:15 Uhr) reagiert und an der Umfrage teilgenommen.
Das Ergebnis spricht Bände: Ein Viertel der Teilnehmer gab an, im kommenden Jahr keinen Förderantrag stellen zu wollen. Das wäre in dieser Deutlichkeit ein absolutes Novum. Das Grundprinzip der Gemeinsamen Agrarpolitik, eine erwünschte Form der landwirtschaftlichen Produktion durch das Angebot von Fördermitteln zu sichern, wäre in diesem Fall gescheitert.
Das Fazit müsste lauten: Die Politik hat den Bogen aus Fördern und Fordern überspannt. Ob es so kommt, wird sich zeigen. Fakt ist, in Anbetracht der aktuellen Agrarrohstoffpreise verlieren die GAP-Prämien und ganz besonders die gering honorierten Eco-Schemes erheblich an Attraktivität.
Ein weiteres Viertel ist noch unentschieden
Die verbreitete Ratlosigkeit vieler Landwirte spiegelt sich darin wider, dass 24 Prozent der Teilnehmer angaben, noch nicht zu wissen, was sie tun werden. Dabei beginnt in wenigen Tagen mit der Aussaat des Winterrapses der Anbau für das Wirtschaftsjahr 2022/23. Eigentlich müsste die Anbauplanung längst stehen.
Aber wie sollen die Landwirte Entscheidungen treffen, wenn wesentliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Pflicht zur Stilllegung politisch so lange offengehalten werden? Wenn der nationale Strategieplan noch immer nicht genehmigt ist? Wenn die neuen Öko-Regelungen schon überarbeitet werden, ehe sie überhaupt eine Saison greifen konnten, Stichwort Selbstbegrünung?
Nur wenige Landwirte sind entschlossen
Folglich waren sich Anfang dieser Woche nur 18 Prozent der Teilnehmer sicher, dass sie die Möglichkeit nutzen werden, sowohl weniger oder keine Flächen stillzulegen als auch die Fruchtfolge enger zu gestalten. Der Abstand zu der Gruppe, die Agrarflächen aus der Produktion nehmen und die Fruchtfolge einhalten will, als ob es keine befristete Ausnahme gäbe, ist mit 6 Prozentpunkten relativ klein.
Wenig Interesse an verengter Fruchtfolge
Dass die meisten Landwirte trotz des politischen Chaos auf eine gute pflanzenbauliche Praxis achten, zeigt diese Antwort: Nur 6 Prozent der Teilnehmer wollen wegen der Lockerung der Vorgaben zum Fruchtwechsel die Fruchtfolge im nächsten Jahr wirklich enger gestalten.
Diese Option hatte der grüne Bundesagrarminister Özdemir in Brüssel vorgeschlagen, um eine Steigerung der Weizenproduktion zu ermöglichen. Sie wurde von der EU-Kommission aufgenommen. Bei den Praktikern ist diese Option jedoch unbeliebt, denn sie wissen um die langfristigen pflanzenbaulichen Nachteile von Stoppelweizen.
(Anmerkung der Redaktion: die zitierte Umfrage auf agrarheute.com wurde mit Erscheinen dieses Artikels geschlossen, um eine Manipulation der Ergebnisse zu verhindern.)
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