Vertrauenswürdige Daten über die Ernten, über Vorräte und den Verbrauch von Agrarprodukten wie Mais oder Soja in China sind Mangelware. Daran sind Händler und offizielle Stellen im Westen längst gewohnt. Selbst das in der Regel sehr gut informierte US-Landwirtschaftsministerium (USDA) mit seinem riesigen Informantennetz muss seine Schätzungen über den Importbedarf der Volksrepublik immer wieder erheblich korrigieren. Nicht selten wollen Versorgungsbilanzen einfach nicht aufgehen oder die tatsächlichen Einfuhren übertreffen alle Prognosen.
Plötzlich Funkstille beim Analystenhaus Cofeed

Doch jetzt haben Spekulationen darüber, wie angespannt die Versorgung mit wichtigen Agrarrohstoffen und Lebensmitteln in China wirklich sein könnte, neuen Auftrieb erhalten.
Denn völlig unerwartet ist eine der wichtigsten Quelle unabhängiger Marktinformation plötzlich versiegt: Das angesehene chinesische Analystenhaus Cofeed hat am 29. April die Berichterstattung über die Märkte für Getreide, Öle und Futtermittel in China von heute auf morgen eingestellt. Die Internetseite ist verwaist. Die täglichen Preisberichte erscheinen nicht mehr.
Mitarbeiter wurden verhaftet und Büros geschlossen
Auf die Marktberichte von Cofeed haben unter anderem die großen vier des Weltagrarhandels, das berühmte ABCD-Quartett aus AMD, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus, vertraut. Der staatliche australische Nachrichtensender ABC News berichtet nun, die Top-Analysten von Cofeed seien offenbar unter Hausarrest gestellt oder verhaftet worden.
Die Nachrichtenagentur Reuters hatte bereits früher mitgeteilt, die Büros der unabhängigen Marktexperten in Peking seien am 29. April versiegelt worden. Seither hat Cofeed die Berichterstattung eingestellt. Über den Verbleib der Mitarbeiter ist nichts bekannt. Anrufe auf ihren Telefonen werden nicht mehr beantwortet. Und auch das chinesische Analystenhaus JCL ist laut ABC News offenbar von der Verhaftung eines führenden Marktexperten betroffen.
Vertuschungsaktion bei zugleich extrem hohen Maisimporten
Das plötzliche Verstummen einer Quelle unabhängiger Marktinformation fällt in eine Zeit, in der China die Weltagrarmärkte durch eine nie vorher gekannte massive Aufkaufaktion vor allem von Mais in Unruhe versetzt hat. Ende April und Anfang Mai kauften chinesische Importeure die neue US-Maisernte im Rekordtempo auf. Das USDA schätzt den Importbedarf der Chinesen für 2020/21 auf 28 Mio. t Mais – im Vergleich zu 7 Mio. t im Vorjahr. Die Ursache liegt vor allem im Wiederaufbau der Schweinehaltung. Die Regierung versucht, die hohen Inlandspreise für Mais durch verstärkte Importe zu dämpfen. Dabei lässt sich Peking offenbar nur ungern in die Karten schauen.
Obskure Aktion macht den chinesischen Markt noch intransparenter

Nick Crundall vom australischen Unternehmen Market Check vermutet, dass die chinesische Regierung versucht, einerseits Ängste in der Bevölkerung zu zerstreuen, dass ein ernstes Versorgungsdefizit entstehen könnte. Andererseits sollen die Exportländer über den wahren Importbedarf Chinas im Unklaren bleiben, um die Rohstoffpreise nicht weiter anzuheizen. Ohnehin hatte die Einkaufswut chinesischer Importeure im Frühjahr für Erstaunen gesorgt, da die Weltmarktpreise zu diesem Zeitpunkt bereits hoch waren.
Andrew Whitelaw, Analyst von Thomas Elder Markets, ist sicher: Hinter den Importen steht ein tatsächlicher Bedarf. Getreidedefizite sind für die Regierungen bevölkerungsreicher Länder nämlich sehr gefährlich. Whitelaw verwies auf Ägypten, wo eine Knappheit am Getreidemarkt mit hohen Brotpreisen die Revolution von 2011 und einen politischen Umbruch mit auslösten.
Tatsache ist, dass der chinesische Agrarmarkt für die Außenwelt nach dem obskuren – zumindest vorläufigen – Ende von Cofeed noch schwieriger zu beurteilen ist als bisher. Das ist schlecht, denn der Nahrungsmittelbedarf der 1,4 Milliarden Chinesen hat zwangsläufig signifikanten Einfluss auf die Welt-Agrarmärkte und die Rohstoffpreise.
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