Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Kommentar

Deutsche Ratspräsidentschaft: Was auf die Bauern zukommt

Ratspräsidentschaft-Deutschland_smb
am Mittwoch, 01.07.2020 - 15:00 (Jetzt kommentieren)

Warum der deutsche Vorsitz in der EU für die Landwirte wichtig ist, warum man sich nicht zu viel erwarten sollte und worauf es wirklich ankommt.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner übernimmt ab 1. Juli für sechs Monate den Vorsitz des EU-Agrarrats. Die Pläne der deutschen Ratspräsidentschaft sind bekannt. Klöckners erklärtes Ziel ist es unter anderem, bis Oktober eine Einigung zwischen den EU-Staaten zu erzielen, wohin es mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gehen soll. Das ist sportlich, denn offen sind unter anderem noch Fragen, wie Farm-to-Fork die Umweltauflagen für Landwirte verschärft, wie Kontrollen ablaufen und welche Beihilfen noch an die Produktion gekoppelt werden dürfen. All diese Punkte haben direkte Auswirkungen darauf, wie gut der Binnenmarkt für Agrarprodukte künftig funktioniert.

Wie gut funktioniert die EU noch?

Simon Michel-Berger

Wie gut ein gemeinsames Europa noch arbeiten kann, ist weit über den Agrarbereich hinaus von Bedeutung. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wie schnell – nicht nur bei Erntehelfern – die Grenzen im Zweifelsfall wieder dichtgemacht werden. Auch bei der GAP erleben wir seit Jahren, dass kritische Themen gerne ausgeklammert und den Ländern überlassen werden. Das beste Beispiel sind gekoppelt Beihilfen, die davon abhängig gemacht werden, dass bestimmte Agrarprodukte erzeugt werden. Diese Förderung wollte die EU-Kommission schon bei der Reform 2003 abschaffen. 17 Jahre später gibt es sie immer noch.

Zwar haben einige Staaten wie Deutschland sie brav abgeschafft, mehrere EU-Länder subventionieren aber munter weiter. Im Bereich der Zuckerrüben, um nur ein Beispiel zu nennen, tragen diese Beihilfen zur Krise der heimischen Zuckerindustrie bei - beispielsweise hat Südzucker fünf Werke geschlossen. In dem kleinen Absatz zur Landwirtschaft, der im Programm zur deutschen Ratspräsidentschaft steht, findet der Binnenmarkt allerdings keine Erwähnung.

Zuerst: EU-Haushalt festzurren

Dennoch sollten die Landwirte froh sein, dass es immerhin diesen kleinen Absatz gibt. Denn darin steht klar, wie wichtig die Sicherung regionaler Ernährung ist. Für viele Bauern war das zwar schon vor Corona selbstverständlich, aber die Selbstverständlichkeiten von gestern, die heute nicht mehr ausgesprochen werden, sind morgen vergessen.

Besonders wichtig ist es, an grundsätzliche Ziele wie Ernährungssicherheit zu denken, wenn der neue mehrjährige Finanzrahmen der EU festgezurrt wird. Immerhin stehen die Agrarausgaben im Zentrum des EU-Haushaltsstreits. Diese Aufgabe – die vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel zufällt – ist die wichtigste der deutschen Ratspräsidentschaft. Die Hoffnungen in anderen EU-Staaten sind groß, dass Deutschland Lücken stopft, die unter anderem der Brexit gerissen hat. Ich glaube, dass die Bundesrepublik hier proaktiv sein muss. Aber sie darf nur dann mehr Geld geben, wenn die EU nicht noch stärker in nationale Interessen zerfällt.

Dann: politische Reformen

Wenn es einen Kompromiss zum Geld gibt, können die politischen Details etwa zur GAP ausgehandelt werden. Ob die neue Agrarpolitik aber 2023 wirklich starten kann, steht noch in den Sternen. Der Vorschlag, die GAP-Reform zu verschieben und erst 2027 mit einer großen Reform zu starten wirkt immer realistischer.

Was unter der deutschen Ratspräsidentschaft auch angeschoben werden muss, ist eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für tierische Produkte in der EU. Dieses Thema ist sicher bis Jahresende nicht abzuschließen, aber falls nur ein unverbindlicher Prüfauftrag herauskäme, wäre das zu wenig. Hier gilt es auch in 2021 am Ball zu bleiben.

Am Ball bleiben muss Deutschland aber auch bei vielen weiteren Themen – sowohl im Agrarbereich als auch darüber hinaus. Denn die Ratspräsidentschaft ist zwar eine schöne Bühne. Gearbeitet werden muss aber auch hinter den Kulissen und sogar dann noch, wenn die Bühne schon ins nächste Land weitergezogen sein wird.

Kommentare

agrarheute.comKommentare werden geladen. Bitte kurz warten...