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EU-Agrarpolitik

Dorfmann: Direktzahlungen locken Investoren an

Herbert Dorfmann im Interview mit agrarheute
am Freitag, 25.10.2019 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Investoren kaufen landwirtschaftliche Betriebe auch wegen der Flächenprämie, sagt EVP-Agrarsprecher Herbert Dorfmann. Im Interview mit agrarheute spricht sich der Südtiroler für eine GAP-Reform aus, die einer Industrialisierung der Landwirtschaft entgegenwirkt.

Herbert Dorfmann, EVP

Was werden die agrarpolitischen Schwer­punkte in den nächsten fünf Jahren im Europaparlament sein?

Kurzfristig vor allem die Agrarreform. Sie wird uns noch ungefähr ein Jahr intensiv begleiten. Darüber hinaus sehe ich von der Landwirtschaft her keine großen Themen auf uns zukommen. Was uns aber sicher beschäftigen wird, ist die Klima- und Umweltdebatte. Die neue Kommissionspräsidentin hat eine Rahmenregelung zum Klimaschutz angekündigt. Das ist selbstverständlich auch ein Agrarthema und wird ein Arbeitsschwerpunkt der nächsten Jahre sein.

Muss die Agrarreform beim Klimaschutz nachgebessert werden?

Der Umweltausschuss des Parlaments war schon von den Beschlüssen im April nicht begeistert. Daher werden wir uns in den nächsten Wochen mit dem Umweltausschuss austauschen. Für die Reform brauchen wir eine Mehrheit im Plenum. Die werden wir nur bekommen, wenn wir Lösungen finden, die die Fraktionen insgesamt gutheißen.

Was erwarten Sie vom neuen Agrarkommissar, dem Polen Janusz Wojciechowski?

Ich erwarte von Janusz Wojciechowski aufgrund seiner Herkunft, dass er das Modell der bäuerlichen Landwirtschaft und der Familienbetriebe im Kopf hat. Das wäre aus meiner Sicht wichtig, denn leider haben wir vielerorts eine Entwicklung der Industrialisierung. Das Modell des Familienbetriebs driftet weg. Da sollten wir genauer hinschauen, wer von der EU Geld bekommt und ob das wirklich bäuerliche Betriebe sind. Ich hoffe, dass der neue Kommissar in diese Richtung wieder mehr Druck macht.

Herbert Dorfmann im Interview mit agrarheute

Was kann die EU-Agrarpolitik leisten, ­um die bäuerliche Landwirtschaft zu schützen?

Ich bin kein Freund davon, klein gegen groß zu stellen. Mir geht es darum, den bäuerlichen Betrieb zu retten. Das kann ebensogut ein Obstbaubetrieb von 5 ha in meiner Heimat Südtirol sein, wie ein Betrieb mit 200 Milchkühen in Norddeutschland. Europa ist groß. Außerdem dürfen wir auch die unterschiedliche Historie nicht vergessen – siehe Ostdeutschland oder Rumänien. Was mich besorgt, ist, dass wir in den letzten Jahren auch mit Hilfe der Gemeinsamen Agrarpolitik – kurz GAP – eine Industrialisierung und Konzentration der Flächen in Richtung großer Investoren gefördert haben.

Wodurch konkret?

Indem die erste Säule ein reines Finanzinvestment in Grund und Boden interessant macht. Um es deutlich zu sagen: Wenn ich 1 ha Agrarfläche für 5.000 Euro kaufen kann und knapp 300 Euro jährliche Direktzahlung dafür bekomme, ist das eine garantierte Rendite, die ihresgleichen sucht. Aus meiner Sicht ist das ein Problem. Wir nehmen Steuergeld, um gewachsene bäuerliche Strukturen zu zerstören. Mittlerweile kaufen sich selbst Chinesen und Araber in die europäische Landwirtschaft ein, und das nur, um die erste Säule abzugreifen. Diese Investoren haben an der Bewirtschaftung und am ländlichen Raum überhaupt kein Interesse. Da müssen so manche ein bisschen aufwachen und nicht immer nur den Status quo verteidigen.

Aber den aktiven Landwirt zu definieren, ­scheiterte doch schon einmal?

Das ist uns tatsächlich leider nicht gelungen, weil es meiner Meinung nach einigen Mitgliedstaaten damit nie ernst war.

Plädieren Sie also für Kappung und Degression?

Die Degression ist betriebswirtschaftlich logisch. Die Bewirtschaftung von 1.000 ha kostet pro Hektar weniger als eine von 10 ha. Das kann man politisch natürlich aber auch über eine Anreicherung der ersten Hektare lösen statt mit einer klassischen Degression. Bei der Kappung könnte ich mir vorstellen, das Modell so weiterzuentwickeln, wie derzeit vorgeschlagen, also eine Obergrenze von 100.000 Euro plus Anrechnung der hälftigen Lohnkosten. Dann treffe ich den Betrieb, auf dem drei Angestellte 5.000 ha zweimal im Jahr mulchen, während die meisten wirtschaftenden größeren Betriebe damit kein Problem haben werden.

Herbert Dorfmann, EVP

Wäre es nicht eher Aufgabe der Mitgliedstaaten, nationale Maßnahmen gegen außerlandwirtschaftliche Investoren zu ergreifen?

Das können die Regierungen natürlich. Ungarn zum Beispiel hat für den Grunderwerb strengere Regeln erlassen. Das könnten ­andere auch.

Gerade die osteuropäischen Mitgliedstaaten ­fordern gleiche Direktzahlungen. Das dürfte den Anreiz für Investoren doch sogar stärken?

Aus diesen Ländern kommt auch die Forderung, mehr gekoppelte Prämien zu zahlen. ­Dahinter steht der Wunsch, den Missbrauch der reinen Flächenprämie zu vermeiden.

Also werden wir die gekoppelten Beihilfen ­nicht los?

Eine völlige Abschaffung der gekoppelten Prämien ist illusorisch, aber sie sollten wenigstens nicht erhöht werden. Bei manchen Produkten sind sie auch sinnvoll, zum Beispiel bei Reis oder Oliven. Bei Zucker verzerren sie aber den Markt und die Industrie kann den Rübenpreis drücken. Das Resultat ist, dass Zucker so billig ist, dass er für jeden Lebensmittelhersteller eine der preiswertesten Zutaten ist. Wir sollten Steuergeld nicht dazu verwenden, Produkte zu verbilligen, von denen wir gesundheitlich betrachtet sowieso zu viel essen.

Die Hogan-Vorschläge wurden viel kritisiert, weil sie eine Renationalisierung der GAP bedeuteten. Aber brauchen wir nicht eine flexible GAP, wenn die Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft je nach Land so unterschiedlich sind?

Wir haben schon bisher eine gewisse Flexibilität. Die zweite Säule ist weitgehend regionalisiert. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Eine ländliche Region in Bayern braucht nun mal andere Angebote als eine in Sizilien. Und auch in der ersten Säule gibt es für Flexibilität sinnvollen Spielraum, etwa in der grünen Architektur.

Wie weit darf die Flexibilität gehen?

Kritisch wird es, wenn die nationalen Entscheidungen sich auf den Markt auswirken. Wir sind in einem Binnenmarkt unterwegs. Darum brauchen wir einheitliche Spielregeln in Europa, sonst kommt es zu Verwerfungen.

Europäisches Parlament in Straßburg

Wie denken Sie dann über das neue Instrument der nationalen Strategiepläne?

Die Strategiepläne machen mir nicht so sehr wegen einer vermeintlichen Renationalisierung Sorgen, sondern weil sie nur in Ländern rechtzeitig fertig werden, die eine wirklich gut funktionierende Verwaltung haben. Ein weiteres Problem entsteht dort, wo Länder oder Regionen für die zweite Säule zuständig sind. Ein deutsches Bundesland oder Südtirol werden sich ihre Kompetenz in diesem Bereich nicht nehmen lassen. Zumindest zum Teil werden die nationalen Strategiepläne wohl eine lose Sammlung regionaler Entscheidungen.

Also sollte die Marschrichtung  sein, eine ­möglichst EU-einheitliche erste Säule und eine flexible zweite Säule zu erreichen?

So wie ich das sehe, werden wir im Parlament in den nächsten Monaten zwei große strittige Themen haben: die Zuständigkeit der Staaten, also wie das neue Umsetzungsmodell funktioniert, und die grüne Architektur. Bei allen anderen Punkten hat es eine große Annäherung gegeben.

Wo liegt bei der grünen Architektur der Hase im Pfeffer?

Beim Anteil der Eco-Schemes, bei der Kombination mit den Agrarumweltprogrammen der zweiten Säule und bei der Integration der Klimadebatte.

Sind die Eco-Schemes nicht das Gleiche wie ­Greening, nur unter anderem Namen?

Ich habe schön öfter gesagt: Der große Unterschied ist, das Greening ist freiwillig. Aber welcher Landwirt hat schon auf die Greening-Prämie verzichtet? Praktisch niemand. Der Unterschied ist in der Tat eher verhalten.

Wann wird der Finanzplan MFR stehen?

Bevor der Brexit nicht geklärt ist, kann es keinen MFR geben. Man muss wissen, ob künftig 10 bis 12 Mrd. Euro fehlen oder nicht.

Geldscheine im Acker

Die Haltung der deutschen Regierung, die Lücke zu stopfen, scheint sich zu verhärten. Wie wirkt sich das aus?

Das müssen wir schauen. Die finnische Präsidentschaft bemüht sich sehr ernsthaft um einen Kompromiss. Aber ich glaube, wir sind noch nicht so nah an einer Lösung.

Also läuft es auf die deutsche Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 zu?

Das wäre ein bisschen spät. Wir hätten den MFR gern dieses Jahr. Vielleicht gibt es in den letzten Wochen des Jahres ein Fenster für eine Einigung. Ich bin inzwischen zwar etwas skeptisch, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die finnische Präsidentschaft einen Kompromiss erreicht. Falls das nicht gelingt ...

... würde sich auch die Agrarreform verschieben?

Niemand geht mehr davon aus, dass die Reform 2021 in Kraft ist. Die Mitgliedstaaten müssen die neuen Regeln auch umsetzen können.

Wird das EU-Parlament das Mercosur-Abkommen billigen?

Mein Eindruck ist, es wird noch einige Zeit brauchen, bis es überhaupt auf den Tisch kommt.

Warum?

Ich war einigermaßen überrascht, wie man mit dem Thema umgegangen ist. Es wurde über Jahrzehnte verhandelt, und plötzlich wird in einer Pressemitteilung an einem Sonntag verkündet, man habe sich geeinigt. Da darf man sich nicht wundern, wenn im Parlament Widerstand entsteht. Wenn das Abkommen eine Mehrheit finden soll, muss man das Parlament mitnehmen. Mir ist schleierhaft, wie es dafür in der jetzigen Situation eine Mehrheit geben sollte. Selbst in der EVP-Fraktion, die für einen freien und fairen Handel eintritt, gibt es viele, die Mercosur mit Blick auf die Folgen für die europäische Landwirtschaft nicht wollen.

Rind in Brasilien

Welche Folgen erwarten Sie?

Die Südamerikaner werden nicht plötzlich große Mengen an Wein und Käse aus Europa kaufen. Umgekehrt ist Rindfleisch für uns ein Problem. Wir haben selbst schon zu viel davon und der Verbrauch wird nach unten gehen. Es ist relativ klar, dass die europäische Landwirtschaft in Vorleistung gehen soll, um das Abkommen über die Bühne zu bekommen. Das ist kein guter Ausgangspunkt.

Können über das Abkommen die höheren EU-Produktionsstandards abgesichert werden?

Teilweise sicher. Wir werden kein geklontes Fleisch aus Südamerika importieren. Aber wer glaubt, wir könnten den Südamerikanern vorschreiben, welche Pflanzenschutzmittel sie einsetzen, der irrt. Und man muss sich auch bewusst sein, dass wir den Mercosur-Ländern zum Beispiel in der Fleischrinderhaltung beim Tierwohl nicht voraus sind.

Themenwechsel: Wird das Parlament Konsequenzen aus dem Crispr/Cas-Urteil des EuGH ziehen und das Gentechnikrecht überarbeiten?

Das EU-Gentechnikrecht stammt aus einer Zeit, als es die neuen Züchtungsverfahren noch nicht gab. Es ist im Grunde wahnsinnig, dass wir in einem Bereich, der sich so schnell entwickelt, eine 25 Jahre alte Rechtsgrundlage haben. Da müssen wir schon ran als Gesetzgeber. Aber das wird ein heißes Eisen und sicher alles andere als eine wissenschaftliche Debatte.

Herbert Dorfmann, EVP

Müsste auch das Pflanzenschutzrecht überarbeitet werden, siehe Glyphosat?

Mir fällt keine bessere Methode ein, als nach wissenschaftlicher Erkenntnis über die Zulassungen zu entscheiden, und das sieht das gegenwärtige Verfahren vor.

Leider ist der Pflanzenschutz zum Kampfobjekt bestimmter Parteien geworden. Das hat zu einer Verpolitisierung der Wissenschaft geführt. Eine politische Zulassung kann aber nicht funktionieren.

Brauchen wir einen EU-weiten CO2-Emissionspreis?

Wenn man so etwas macht, muss man auch sagen, was mit den Einnahmen geschieht. Folgerichtig wäre, dass ein Waldbesitzer, der klimafreundlich wirtschaftet und Kohlenstoff in Holz festlegt, vom Topf etwas abbekommt. Das gilt ebenso für die landwirtschaftliche Produktion, die wir hinsichtlich ihrer Klimawirkung bewerten müssen. Mir ist durchaus bewusst, dass die Landwirtschaft hinsichtlich der Treibhausgasemissionen auch ein Problem ist. Ein schönes Maisfeld ist gegen den Klimawandel aber super. Je mehr Pflanzen wachsen, je mehr Photosynthese sie betreiben, desto mehr CO2 nehmen sie auf.

Schlussfrage: Sehen Sie eine Chance für ein europäisches Tierwohllabel?

Ich hielte das für unsinnig. Bevor wir über neue Kennzeichen nachdenken, sollten wir dafür Sorge tragen, dass die geltenden Regeln überall eingehalten werden.

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