Die Ankündigungen von Edeka, Netto, Lidl und Aldi von dieser Woche bedeuten aktuell nicht das unmittelbare Ende der ganzjährigen Anbindehaltung beziehungsweise der Kombinationshaltung. Zwar ist mit der Ankündigung von Aldi, spätestens 2030 keine Milch aus ganz- oder unterjähriger Anbindehaltung in den Eigenmarken bei Trinkmilch verwenden zu wollen, unmissverständlich klar geworden, dass die Zukunftsperspektive sogar für das bayerische Projekt der Kombinationshaltung beerdigt ist – auch für die bayerischen Biobetriebe. Doch das ist nicht die ganze Geschichte.
Wie kalkuliert der Lebensmittelhandel bei mehr Tierwohl?
Das Kalkül des Lebensmittelhandels dürfte sein, dass die Milch aus Anbindehaltung noch einige Jahre produziert werden wird. Diese Landwirte werden nun mit immer höheren Abschlägen auf ihr Milchgeld bedacht. Es hat aber einen Grund, warum die Handelsketten nur immer von Trinkmilch oder Konsummilch sprechen. Die verbleibende Milch aus Anbindehaltung wird in Nutzungsformen und Absatzmärkte gehen, in denen die Haltungsform keine Rolle spielt: Eigenmarken-Pizzakäse, Milchpulver und so weiter. Oder sie geht in Exportländer und -regionen wie Italien, Osteuropa und Nordafrika.
Wie die schwächsten Tierhalter den Umbau der Tierhaltung bezahlen
Wenn die Rohstoffkosten der Molkereien für Produkte mit Milch aus Anbindehaltung sinken, wird der Lebensmittelhandel wegen der günstigeren Herstellung niedrigere Preise bezahlen. Damit steigt die Gewinnspanne der Supermarktketten. Ein Teil des Gewinns wird in Form von etwas höheren Preisen für mehr Tierwohl öffentlichkeitswirksam an Landwirte ausbezahlt werden. Allerdings wird es nicht genug sein, um alle Bauern in die Zukunft mitzunehmen und ihnen zum Beispiel die Investitionen in neue Ställe ausreichend attraktiv zu machen. Zudem fließen die Gelder nur bestenfalls so lange, bis neue Produkte entwickelt werden und die jetzt noch akzeptierte Milch in Haltungsform 3 das Schicksal der Milch aus Anbindehaltung erleidet. Künstliche „Milch“ aus dem Reagenzglas, die nie eine Kuh berührt hat, wird dann vielleicht „Haltungsstufe 5“ und genauso sicher kommen wie das Laborfleisch, das schon in den Supermarktregalen steht..
Warum das Schicksal der Kombinationshaltung ein warnendes Beispiel ist
Auf diese Weise bezahlen die Schwächsten der Kette, die Anbindehalter beziehungsweise diejenigen mit Kombinationshaltung, das Mehr an - bis jetzt noch akzeptiertem - Tierwohl in anderen Ställen mit. Die Agrarpolitik schaut derweilen zu, drischt wohlfeile Phrasen aber vermag es nicht, den notwendigen Rückhalt für selbst entwickelte Konzepte aufzubauen, damit diese mehr werden, als Illusionen. Das Schicksal, das den Kombinationshaltern bevorsteht, ist das beste Beispiel dafür: 2019 wurde von Bauernverbänden und Politik die Kombinationshaltung als rettendes Ufer vorgestellt, dann von der Politik zunehmend vergessen und schließlich diese Woche kläglich mit einer Ankündigung von Aldi weggespült.
Was können die Bauern dagegen tun?
Die einzige Lösung gegen die Marktmacht der Supermärkte liegt in der Zusammenarbeit der Landwirte. Sei es bei der Entwicklung neuer Produkte oder Formen betrieblicher Zusammenarbeit, sei es im öffentlichen Eintreten für den Berufsstand, im Finden neuer Perspektiven oder im Auftreten gegenüber dem Handel. Je zersplitterter und uneiniger die Bauern sind, desto leichter wird es für andere Interessensgruppen, sie gegeneinander auszuspielen und ihnen die Dinge wegzunehmen, die sie noch haben.
Was kann die Politik tun?
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat in seiner Rede am 14. Januar im Bundestag gesagt, dass die Bauern es im Portemonnaie merken müssen, wenn es dem Tier besser geht. Dieses Ziel wird bei der Anbindehaltung nach aktuellem Stand erreicht werden. Aber anders, als Özdemir meint: Die betroffenen Bäuerinnen und Bauern werden spüren, dass mehr Tierwohl für sie weniger Geld in ihren Geldbeuteln bedeutet. Wenn es Özdemir ernst ist mit seiner Forderung "Asymmetrien zu Lasten der Erzeuger" zu beenden, hat er hier eine Chance sich zu beweisen. Das Schicksal der über 15.000 bäuerlichen Familien auf Betrieben mit Anbindehaltung bzw. Kombinationshaltung ist keine rein süddeutsche Frage. Wenn es für sie keine Lösung gibt, werden Bäuerinnen und Bauern überall in Deutschland, die aus den verschiedensten Gründen nicht in mehr Tierwohl investieren können, in den kommenden Jahren ansonsten das gleiche Schicksal erleiden.
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