Drei Schlussfolgerungen präsentierte der französische Landwirtschaftsminister Julien Denormandie als amtierender Vorsitzender des EU-Agrarrates nach der Krisensitzung:
- Das Produktionspotenzial der europäischen Landwirtschaft soll freigesetzt werden. Um die Versorgung mit Futtermitteln kurzfristig zu verbessern, fordern die Minister, kurzfristig den Anbau von Öl- und Eiweißpflanzen auf stillgelegten Flächen zu erlauben.
- Die EU-Kommission soll außerordentliche Marktmaßnahmen vorschlagen. Konkret geht es vor allem um die private Lagerhaltung von Schweinefleisch und die Aktivierung der Krisenreserve.
- Hochrangige Expertengruppen sollen kurzfristig weitere Maßnahmen erarbeiten.
Wojciechowski will Green Deal überprüfen

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski stimmte den Forderungen der EU-Agrarminister in allen Punkten zu. Der Pole sprach von einer beispiellosen Aggression Russlands gegenüber der Ukraine. In dieser Situation dürfe die Ernährungssicherheit Europas nicht gefährdet werden.
Wojciechowski verwies darauf, dass die Ukraine für die EU als wichtiger Lieferant von Mais, Weizen und Ölsaaten kurzfristig ausfalle. Das werde sich auf die Tierhaltung in Europa negativ auswirken, vor allem auf die Schweinehaltung. Wojciechowski, der sich in den vergangenen Monaten mehrfach gegen die Einführung von Beihilfen für die private Lagerhaltung von Schweinefleisch ausgesprochen hatte, schließt diesen Schritt nicht mehr aus.
Über kurzfristige Markteingriffe hinaus will Wojciechowski auch die Farm-to-Fork-Strategie und den Green Deal überprüfen. Es gehe nicht darum, diese Strategien aufzugeben, betonte der Pole. Es müsse aber genau analysiert werden, dass durch die Maßnahmen des Green Deals die Ernährungssicherheit Europas nicht gefährdet werde. Die EU-Kommission werde das auch bei der Beurteilung der nationalen Strategiepläne zur Umsetzung der EU-Agrarreform in den Mitgliedstaaten im Blick haben.
Özdemir gegen Abkehr von umweltschonender Landwirtschaft
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sieht die Versorgung in der EU und Deutschland mit Weizen nicht gefährdet. „Trotzdem halten wir die Auswirkungen auf die Agrarmärkte genau im Blick. Weltweit ist nicht zuletzt wegen der stark gestiegenen Energiekosten mit Preissteigerungen bei Agrarrohstoffen und bei Düngemitteln zu rechnen“, so Özdemir.
In der Konsequenz sei nicht auszuschließen, dass das bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern an der Supermarktkasse ankomme.
Zugleich warnte der grüne Agrarminister, wer in dieser Situation fordere, „erste Schritte“ der europäischen Agrarpolitik hin zur Förderung einer klima- und umweltschonenden Landwirtschaft zurückzudrehen, dem wolle er ganz deutlich machen, dass er hier auf dem Holzweg sei.
So sieht der weitere Zeitplan aus
Der weitere Zeitplan der EU sieht vor, dass der Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) bereits am kommenden Montag (7.3.) über die Umsetzung der vereinbarten Schlussfolgerungen beraten soll. Am Dienstag (8.3.) will die Kommission ein Paket von Maßnahmen für die Energiemärkte, aber auch für landwirtschaftliche Betriebsmittel wie Dünger vorlegen, die sich extrem verteuert haben.
Ein ursprünglich für diese Woche geplanter Bericht der Kommission zur Lage an den Düngermärkten wurde wegen der dramatisch veränderten Ausgangslage auf den 8. März verschoben.
Denormandie sagte, die EU-Agrarminister erwarteten bei ihrem nächsten Treffen am 21. März von der EU-Kommission beschlussfähige Entscheidungsvorlagen. Zum Auftakt ihrer Sondersitzung hatten die Landwirtschaftsminister ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck ausgebracht. Sie sprachen sich dafür aus, kurzfristig Lebensmittelhilfen für die Ukraine zu organisieren.
Warnung vor Versorungsengpässen in Importländern
Verschiedene Hilfsorganisationen und Verbände haben bereits vor den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine für die Lebensmittelproduktion gewarnt. Während für die EU derzeit vor allem steigende Kosten erwartet werden, könnten die Auswirkungen für Länder südlich der Union weitaus dramatischer werden. Denn mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) in Krisenregionen verteilt, stammt eigenen Angaben zufolge aus der Ukraine.
„Putins Krieg überzieht nicht nur die Ukraine mit unermesslichem Leid. Die Auswirkungen werden weit über die Grenzen der Region zu spüren sein“, sagte der Direktor des WFP in Deutschland, Martin Frick.
Die Getreidelager in Europa sind weitgehend leer

Für Länder in Afrika und Westasien hat der Weizenimport eine große Bedeutung. So waren die Kosten für Lebensmittel etwa ein wichtiger Faktor im sogenannten Arabischen Frühling, eine Serie von Massenprotesten. Ägypten - mit mehr als 100 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt - importiert einen großen Teil seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Gleiches gilt für Tunesien. Dort sind vor allem arme Menschen dringend auf Brot angewiesen.
Experten in Tunesien warnen bereits vor heftigen Preissteigerungen wegen des Krieges. Künftig könnte zwar Getreide etwa aus Argentinien oder Rumänien kommen - aber ob das reicht, ist unklar. Andere Staaten in Westasien stehen vor ähnlichen Problemen.
Die Türkei kaufte 2020 rund 65 Prozent ihres Weizens aus Russland. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau könnte die Einfuhren verteuern. Wenn nun etwa erneut die Brotpreise steigen - die Türkei leidet gerade unter einer besonders hohen Inflation - könnte das auch den Ärger gegen die Regierung des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weiter befeuern.
Martin Banse vom Thünen-Institut für Marktanalyse geht davon aus, dass die EU eine mögliche Versorgungslücke in der Türkei und Nordafrika kurzfristig nicht schließen kann. Die EU sei zwar lange ein wichtiger Lieferant von Weizen für diese Länder gewesen, aber dann von der Ukraine und Russland aus dem Markt gedrängt worden. Zudem seien die Speicher in der EU nicht besonders gut gefüllt. „Die Lager sind zurzeit, ich will nicht sagen leer, aber ziemlich leer, so dass hier Europa kurzfristig nicht so schnell in die Bresche springen kann“, betont Banse.
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