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EU-Kommission stellt Abschuss von Problem-Wölfen in Frage

Wolf frisst Schaf
am Mittwoch, 07.10.2020 - 12:22 (3 Kommentare)

Der EU-Kommission sind die Regeln für die Entnahme einzelner Problem-Wölfe in Deutschland nicht streng genug.

Das hat nicht lange gedauert: Im Februar erst stimmte der Bundesrat einer Änderung des Naturschutzgesetzes zu. Nach dem neuen § 45a dürfen einzelne Wölfe in Deutschland unter strengen Auflagen geschossen werden, wenn sie ernste Schäden verursachen. Nur kurze Zeit später flatterte der Bundesregierung eine Rüge aus Brüssel ins Haus: Die EU-Generaldirektion Umwelt bezweifelt, dass der Wolf in Deutschland noch ausreichend geschützt ist. Sie verlangt detaillierte Auskünfte und die Meldung aller erteilten Ausnahmegenehmigungen.

Die Brüsseler Beamten reagieren mit ihrem Schreiben nach eigenen Angaben auf „zahlreiche Beschwerden“ zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes.

Der Fragenkatalog aus Brüssel, der einem Vertragsverletzungsverfahren vorausgeht, und die Reaktion der Bundesregierung darauf liegen der Redaktion agrarheute exklusiv vor.

EU befürchtet geringeres Schutzniveau

Im geänderten Naturschutzgesetz ist beispielsweise vorgeschrieben, dass zunächst „zumutbare Herdenschutzmaßnahmen“ getroffen werden müssen, ehe ein Wolf wegen drohender Schäden an nicht landwirtschaftlich gehaltenen Weidetiere geschossen werden darf. Die Generaldirektion Umwelt fürchtet, dass durch eine unklare Formulierung der Schutzstandard verringert werde.

Die Bundesregierung soll außerdem erklären, warum zum Schutz von großen Huftieren wie Kühen keine stromführenden Wolfsschutzzäune und Herdenschutzhunde vorgeschrieben werden.

Bundesregierung soll regelmäßig über Ausnahmegenehmigungen berichten

Die EU-Beamten fragen ferner nach, ob es eine Pflicht gebe, den Problemwolf zu bestimmen, bevor eine Ausnahmegenehmigung zum Abschuss erteilt werde. Die Kommission will wissen

  • was der Wortlaut „in engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen“ konkret bedeute, die Voraussetzung für eine Abschussgenehmigung ist,
  • warum „ernste Schäden“ statt „erhebliche Schäden“ drohen müssen,
  • wie lange eine Abschussgenehmigung gilt,
  • und ob es zusätzliche Leitfäden für die Anwendung des Gesetzes geben wird.

Abschließend fordert die EU-Kommission die Bundesregierung auf, die erteilten Ausnahmegenehmigungen für die nächsten zwei Jahre jährlich zu melden.

Fast 3.000 Übergriffe, Tendenz stark steigend

Nutztierschäden durch den Wolf in Deutschland

Die Bundesregierung hat die Fragen der EU-Generaldirektion inzwischen alle in einem ausführlichen 29-seitigen Schreiben beantwortet. Darin weist sie die Kritikpunkte im Einzelnen detailliert zurück.

Die Regierung geht ausdrücklich auf den Wunsch zur regelmäßigen Berichterstattung über die erteilten Ausnahmegenehmigungen ein. Im letzten Jahr vor Inkrafttreten der Neuregelung im Naturschutzgesetz wurden nach Angaben des Bundes drei Ausnahmegenehmigungen im Rahmen des Wolfsmanagements erteilt. Sie betrafen Wölfe in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Keines der drei Tiere wurde bislang geschossen. In Niedersachsen wurde der identifizierte Wolfsrüde nicht wieder angetroffen. In Schleswig-Holstein wurde der aus Dänemark eingewanderte Wolf überfahren und in Thüringen wurde die Genehmigung bis 16. Oktober 2020 ausgesetzt, weil die Wölfin ihre Nachkommen säugt.

Zusammen wurden für diese drei Individuen 47 verletzte oder getötete Weidetiere nachgewiesen, teilweise trotz elektrischer Schutzzäune von mehr als 1 Meter Höhe. Insgesamt wurden zwischen 2000 und 2019 nach Zahlen der Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf (DBBW) 2.973 Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere registriert. Bei einem Wolfsangriff werden häufig mehrere Nutztiere getötet. Im vorigen Jahr waren es in Deutschland durchschnittlich 3,6 Nutztiere pro Übergriff nach Angaben der DBBW.

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