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Staatliches Tierwohlkennzeichen

Exklusiv: Bundesrechnungshof schießt Julia Klöckners Tierwohllabel ab

Bundesrechnungshof-Bonn-2019
am Sonntag, 28.03.2021 - 06:30 (3 Kommentare)

Der Bundesrechnungshof übt in einem neuen Bericht massive Kritik an den Plänen des Bundeslandwirtschaftsministeriums für dessen freiwilliges staatliches Tierwohllabel. agrarheute berichtet exklusiv vorab über die Inhalte.

Das Urteil der Rechnungsprüfer könnte kaum vernichtender sein: „Der Bundesrechnungshof hat empfohlen, die Einführung eines staatlichen freiwilligen Tierwohlkennzeichens vorerst nicht weiter voranzutreiben und insbesondere keine weiteren Kommunikationsmaßnahmen zu beauftragen.“ Zu diesem Ergebnis kommt die Behörde in einem noch unveröffentlichten Bericht zur Entwicklung und Markteinführung eines Tierwohlkennzeichens. Agrarheute hatte im Oktober 2019 berichtet, dass der Bundesrechnungshof die Ausgaben für das staatliche Tierwohllabel prüfen werde. Der Bericht ist das Ergebnis dieser Prüfung. Bei der Einführung der Kennzeichnung handelt es sich um eines der zentralen Vorhaben von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.

Hauptkritik: Keine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit

Die zentrale Kritik des Bundesrechnungshofes ist, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium zu keinem Zeitpunkt eine ausreichende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt habe. Dem widerspreche das Ministerium laut Rechnungshof nicht. Es weise zwar darauf hin, dass es sich um eine politische Entscheidung handele, für die keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung nötig sei. Dieses Argument lässt der Bundesrechnungshof aber nicht gelten: Politische Vorgaben würden nicht von der Beachtung haushaltsrechtlicher Regelungen freistellen. Auch die vollziehende Gewalt sei „an Recht und Gesetz gebunden“. Die Behörde verweist auf die Bundeshaushaltsordnung, die in § 7 Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Kosten- und Leistungsrechnung vorschreibe.

Alternativen zu freiwilligem Label nicht genug geprüft

Weiterhin mahnt der Rechnungshof an, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium die Alternativen zum freiwilligen Tierwohllabel - etwa ein verpflichtendes Kennzeichen oder eine Verschärfung gesetzlicher Standards - nicht ausreichend geprüft habe. Weder sei das Ministerium auf die Kritik des Deutschen Bauernverbandes eingegangen, dass das geplante Label „schwierig bis nicht massentauglich umsetzbar“ sei, noch habe es auf Warnungen von Tierschutzorganisationen geachtet, dass die geplanten Kriterien zu schwach seien.

Laut dem Bericht argumentiere das Agrarressort, dass ein freiwilliges Tierwohllabel ausreiche, um das Tierwohl in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Dem hält der Bundesrechnungshof entgegen: Entweder erfülle das aktuelle Tierschutzrecht bereits das Staatsziel Tierschutz – dann sei überhaupt kein Label nötig. Oder es erfülle es nicht – dann müssten die gesetzlichen Mindeststandards beim Tierschutz angehoben werden.

Kommunikationskonzept vor Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt

Der Bundesrechnungshof weist darauf hin, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Agentur mit der Ausarbeitung eines Kommunikationskonzepts inklusive einer Kosten-Nutzen-Rechnung beauftragt habe – für insgesamt rund 186.000 €. Allerdings sei dabei keine ausreichende Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt worden. Trotzdem habe das Ministerium bis März 2021 über 24.000 € der beauftragten Summe ausbezahlt und die Agentur mit der Ausarbeitung weiterer kommunikativer Maßnahmen betraut, ohne den notwendigen Kommunikationsaufwand zu kennen oder das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen zu haben.

Das Ministerium hält der Kritik laut Rechnungshof entgegen, dass es sich nur um ein „Grobkonzept“ handle, das im Laufe der Zeit weiter ausgearbeitet werde. Außerdem sei eine erste Kostenschätzung erstellt worden. Die Rechnungsprüfer entgegnen dem, dass es zwar Anhaltspunkte für eine Kostenplanung im Konzept gebe, diese die gesetzlichen Vorgaben für eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung aber nicht erfüllten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium habe eine Aussage der Agentur akzeptiert, dass eine konkrete Kostenplanung erst im Zuge einer Kampagne geklärt werden könne. Ohne verlässliche Kostenplanung dürften laut Rechnungshof aber keine Kommunikationsmaßnahmen beauftragt werden.

Auswirkungen auf Bundeshaushalt nicht dokumentiert

Völlig im Dunkeln tappe das Bundeslandwirtschaftsministerium laut dem Bundesrechnungshof bei den Kosten und Auswirkungen des Tierwohllabels auf den Bundeshaushalt. Die Rechnungsprüfer gehen – auf Grundlage von Untersuchungen des Thünen-Instituts – allein im Bereich Schwein von jährlichen Kosten zwischen 90 Millionen € und 165 Millionen € aus. Die tatsächlichen Kosten hingen zwar von der förderrechtlichen Umsetzung und kommunikativen Begleitung des Kennzeichens ab. Umso wichtiger sei es aber, die Kosten und Nutzen von Alternativen zu prüfen – was nicht geschehen sei.

Der Bericht verweist darauf, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium die Kalkulation des Bundesrechnungshofes als nicht nachvollziehbar bezeichnet habe. Eigene Rechnungen habe es allerdings nicht vorgelegt. Diese seien im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung aber unbedingt erforderlich.

Hoher zusätzlicher Verwaltungsaufwand

Ein weiterer Streitpunkt zwischen Bundeslandwirtschaftsministerium und Rechnungshof ist laut dem Bericht die Frage, inwieweit das freiwillige Tierwohllabel komplexen Verwaltungsaufwand mit sich bringe oder nicht. Der Bundesrechnungshof argumentiert, dass Strukturen geschaffen würden, „die mit einem zusätzlichen Kontroll- und Verwaltungsaufwand verbunden sein“. Das Landwirtschaftsressort bestreite hingegen, dass die Regelungen komplex seien. Der Rechnungshof mahnt, dass der Aufwand für Maßnahmen wie Zulassungs- und Kontrollverfahren, Überwachung sowie Verzeichnisführung in jedem Fall in eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einfließen müsste.

Rechnungshof: Notwendigkeit des Labels überprüfen

Abschließend wiederholt der Bundesrechnungshof seine Empfehlung an das Bundeslandwirtschaftsministerium, zunächst eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des freiwilligen Tierwohl-Labels durchzuführen. Geprüft werden sollte insbesondere „eine Verbesserung der Haltungsbedingungen durch Verschärfung der gesetzlichen Mindestanforderungen zum Tierschutz, für die keine Werbekampagne notwendig“ sei. Die Einschätzung des Agrarministeriums, dass das freiwillige staatliche Tierwohlkennzeichen einer seiner politischen Schwerpunkte sei und – als politische Entscheidung – keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung voraussetze, weist der Bundesrechnungshof zurück. Das Bundeslandwirtschaftsministerium müsse zunächst unbedingt alternative und möglicherweise wirtschaftlichere Handlungsoptionen prüfen.

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