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Interview

Exklusiv: Chef der Zukunftskommission Landwirtschaft im Gespräch

Peter-Strohschneider
am Mittwoch, 10.03.2021 - 08:00 (2 Kommentare)

Prof. Peter Strohschneider leitet die vor rund einem halben Jahr gegründete Zukunftskommission Landwirtschaft. Im Interview mit agrarheute betont er: Es braucht in der Gesellschaft ein neues Verständnis für Landwirtschaft.

agrarheute: Zwischen Landwirten und Aktivisten für Umwelt und Tierschutz gibt es immer wieder große Spannungen. Was kann die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) hier tun?
Strohschneider: Es gibt in der Agrarpolitik zahlreiche Bewertungsschemata, die emotional hochgradig aufgeladen sind: groß gegen klein, konventionell gegen ökologisch, bäuerlichen gegen industriell, global gegen regional. So einfach sind die Dinge allerdings selten, und wenn man sie so vereinfacht, dann erschwert das eine offene Diskussion.
agrarheute: Warum?
Strohschneider: Weil die Beteiligten rote Linien dann zu eng ziehen. An jedem technischen Detail wird dann stets sogleich das gesamte Waffenarsenal ausgepackt. Es geht schnell um den Untergang der heimischen Nahrungsproduktion oder um das Ende der Welt im Klimakollaps. Beides müssen wir aber verhindern. Und dazu bedarf es einer sehr differenzierten, vielfältigen Landwirtschaft. Die ist resilienter, also auch ökonomisch widerstandsfähiger und ökologisch nachhaltiger.

Was kann eine ohnmächtige Politik tun?

agrarheute: Wie kann die Politik hier das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen? Die Entscheidungsträger werden doch bereits von anderen getrieben - etwa von Gerichten bei der Düngeverordnung. Wenn manche Landwirte die Politik als ohnmächtig sehen, dann doch deshalb, weil sie ohnmächtig ist.
Strohschneider: Es gibt in unserer Demokratie Tendenzen einer gewissen Entparlamentarisierung: Talkshows scheinen zuweilen wichtiger als Parlamentsdebatten, Politik delegiert ihre Entscheidungen nicht selten an Expertenrunden, erstaunlich viele politische Fragen wandern bis vor die höchsten Gerichte. Doch bleibt es die Verantwortung der Politik, nicht nur zu allgemein verbindlichen Entscheidungen zu kommen, sondern auch eine gewisse Schlüssigkeit staatlichen Handelns zu gewährleisten. Und da kann man jedenfalls besser werden.
agrarheute: Wie meinen Sie das?
Strohschneider: Grob vereinfacht gesagt sind viele Förderinstrumentarien noch immer sehr stark auf Standardisierung der Agrarproduktion ausgerichtet und triggern damit auch Größenwachstum, während das Ordnungsrecht demgegenüber eher auf Begrenzungen setzt, auf die betriebswirtschaftlich unter anderem mit Diversifizierung reagiert werden kann.

Zukunftskommission muss gegenseitiges Vertrauen schaffen

agrarheute: Wie kommen wir hier heraus? Verantwortliche Politiker können sich leicht darauf herausreden, dass sie vieles nicht entscheiden können – und zwischen Brüssel, Berlin, den Ländern und Kommunen versickert jede Reform.
Strohschneider: Diese politischen Ebenen sind aber eng verflochten und sie beeinflussen sich gegenseitig. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Agrar- und Umweltseite sich auf einen gemeinsamen anerkannten politischen Handlungs- und Entwicklungsrahmen verlassen könnten. Einen solchen Rahmen versucht die ZKL zu beschreiben.
agrarheute: Das kann nur funktionieren, wenn man weiter denkt als bis zur nächsten Wahl.
Strohschneider: Darum hat sich die ZKL bisher auch nicht öffentlich zum Insektenschutzgesetz oder zur nationalen GAP-Umsetzung geäußert. Wir denken mittelfristig, in zwei bis drei Legislaturperioden.

Wo kann die Landwirtschaft gewinnen?

agrarheute: Welches Ziel können Sie sich hier vorstellen?
Strohschneider: Im Grundsatz ist jedenfalls unstrittig, dass das Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Ernährungssystem sich in einem systematischen Transformationsprozess befindet. Und der muss politisch mitgestaltet werden. Das verlangt ein Neubedenken der Finanzierungsgrundlagen – national wie europäisch, des Ordnungsrahmens sowie auch der Leitbilder und des kategorialen Rahmens der Agrarpolitik. Je länger man damit wartet, umso teurer wird die Transformation – und umso weniger kann sie von den Landwirten selbst mitgestaltet werden.
agrarheute: Was kann die Landwirtschaft in so einem Prozess erreichen? Müssen sie alle ihre roten Linien aufgeben und bekommen dafür nur etwas länger Zeit?
Strohschneider: Wenn die ZKL erfolgreich sein will, müssen jedenfalls alle ihre Mitglieder Kompromisse eingehen. Wir müssen verbindliche und möglichst konkrete Entwicklungsperspektiven formulieren, die sich die Landwirte auch zu eigen machen können.

Was könnte die Zukunftskommission für Landwirte erreichen?

agrarheute: Wohin könnte hier die Reise gehen?
Strohschneider: Das werden wir sehen. Ich denke freilich, dass wir für die nachhaltigere Qualität landwirtschaftlicher Prozesse und Produkte künftig mehr Geld ausgeben werden. Ich vermute, dass ein gewisser Außenschutz des europäischen Handels mit Lebens- und Futtermitteln dazugehört.
agrarheute: Die meisten Landwirte glauben aber an die Marktwirtschaft und sehen politische Eingriffe skeptisch.
Strohschneider: Der Grad der Skepsis hängt sehr von der Art der Eingriffe ab. Es gibt ja Landwirte, die an das freie Unternehmertum glauben und zugleich eine sehr interventionistische europäische Förderpolitik verteidigen. So wie es auch Bürger gibt, die höchste Nachhaltigkeitsstandards einfordern, aber nur Discounterpreise zu zahlen bereit sind.
agrarheute: Wie kann dann ein Kompromiss gefunden werden?

Strohschneider: Wir arbeiten jedenfalls alle ziemlich viel und sehr engagiert. Das Mandat der ZKL geht dahin, dass Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander ausgespielt werden, weder im Hinblick auf sachliche Verbindlichkeit noch auf der Zeitschiene. Wir sind uns allesamt einig darin, dass Landwirtschaft und Ernährung im Verhältnis zu anderen Sektoren der Volkswirtschaft wieder an Bedeutung – und an Wertschätzung – gewinnen muss.

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