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Anhörung im Umweltausschuss

Experten zum Wolf: Guter Erhaltungszustand erreicht – Jagd möglich

Zwei Wölfe im Wald
am Dienstag, 24.01.2023 - 11:00 (1 Kommentar)

Aktives Bestandsmanagement beim Wolf ist nach Auffassung von Sachverständigen auch in Deutschland möglich. Was die Regierung machen sollte, von Bejagung über Entnahme bis Kosten für Herdenschutz.

Herdenschutzmaßnahmen alleine werden künftig nicht mehr ausreichen, um den Wolf in Deutschland in Schach zu halten. Weitere Maßnahmen wie eine rechtssichere und schnelle Entnahme mindestens von Problemwölfen sei nötig.

Diesen Schluss zog eine überwiegende Mehrheit der elf Sachverständigen bei der Anhörung im Umweltausschuss in Berlin. Grund für die Anhörung war der Antrag von CDU/CSU, die Ampelregierung soll unverzüglich den guten Erhaltungszustand des Wolfes erklären, um dessen Bejagung im Bestandsmanagement zu ermöglichen.

An einer rechtssicheren Lösung und einfacherem Entschädigungsmanagement seien auch die Kommunen interessiert, machte Alexander Kramer von der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände klar. 

Von wolfsfreien Zonen hält Kramer indes wenig: „Diese sind nicht problematisch und rechtlich schwierig umzusetzen.“ Das zeigen auch Beispiele in Bayern, nachdem das Land erste wolfsfreie Zonen festgelegt hatte. Für viele Tierhalter sind die Abgrenzung so nicht nachvollziehbar.

Entnahmebescheide: Behörden fürchten zu sehr Klagen

Aus Sicht von Prof. Dr. Michael Brenner, Rechtswissenschaftler an der Uni Jena, lässt das aktuelle EU-Recht die planmäßige Entnahme durchaus zu, allerdings sei dies an bestimmte Vorgaben geknüpft.

Dagegen erlaubt §45 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) nur eine nicht zufällige Entnahme von Problemwölfen. Diese sei in der Praxis aber oft schwer durchzusetzen, berichtete Andreas Schenk vom Bundesverband der Berufsschäfer. Viele Behörden haben aus seiner Sicht Angst vor Klagen und Urteilen. Daher würden sie in der Regel nach Auswegen und Gründen suchen, um keine Entnahmebescheide zu erlassen.

Meist würden sie mit unzureichenden oder fehlerhaften Herdenschutzmaßnahmen der Tierhalter argumentieren, um Zeit zu gewinnen. „Der Problemwolf kann so aber weitere Schäden auch bei anderen Tierhaltern anrichten, bis es zu einem Entnahmebescheid kommt“, beklagt Schenk die gängige Behördenpraxis.

Guter Erhaltungszustand der Wolfspopulation erreicht

Laut Brenner muss Deutschland für ein Bestandsmanagement zunächst den guten Erhaltungszustand erklären. Bisher meldete Deutschland allerdings einen „ungünstigen bis schlechten“ Erhaltungszustand nach Brüssel. Dies hatte kürzlich EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius schriftlich gegenüber dem deutschen EU-Parlamentarier David McAllister bestätigt.

Prof. Dr. Dr. Sven Herzog, TU Dresden, betonte, dass man aus biologischer Sicht den guten Erhaltungszustand der Wolfspopulation nicht auf Deutschland, sondern überregional beziehen müsse. Schließlich dehne sich die osteuropäische Wolfspopulation gen Westen aus. Diese umfasse rund 19.000 Wölfe, so Herzog. „Auf Basis der FFH-Richtlinie ist damit ein guter Erhaltungszustand auf jeden Fall erreicht“, meinte der Wissenschaftler. In Deutschland sei dagegen bisher keine eigene Population nachgewiesen. Somit müsse man hier auch keinen guten Erhaltungszustand festlegen.

So lässt sich das Bejagen regeln

Neben dem Festlegen des guten Erhaltungszustands muss Deutschland zudem festlegen, dass Entnahmen diesen nicht gefährden, führte Jurist Brenner die weiteren Vorgaben des EU-Rechts aus. Ebenso sei zu definieren, welche Tiere, in welcher Zeit an welchen Orten entnommen werden können.

Auch muss die Regierung eine funktionierende Kontrolle gegenüber Brüssel nachweisen können. Der Experte riet zudem, einen Akzeptanzbestand als Orientierungsgröße festzulegen, dieser würde wohl über dem guten Erhaltungszustand und einer für Tierhalter vertretbaren Populationsgröße liegen. Konkrete Zahlenangaben seien aber kaum möglich.

Volle Übernahme der Kosten für Herdenschutz

Neben der geregelten Entnahme haben die Experten auch die Herdenschutzmaßnahmen gegenüber den Abgeordneten thematisiert. Konsens war, dass auch ein Bejagen des Wolfes diese weiterhin nötig machen.

Dr. Stefan Völl von der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände machte klar, dass die Länder die Kosten für den Herdenschutz komplett übernehmen müssten. Für die wirtschaftlich angeschlagenen Schaf- und Ziegenhalter sei dies sonst wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Allerdings seien Herdenschutzmaßnahmen nicht überall möglich.

Ernüchternde Bilanz from Tiroler Jägerverband

Das bestätigte Anton Larcher vom Tiroler Jägerverband. „Bei uns ist der Herdenschutz gescheitert“, sagte er deutlich in die Runde. Es gebe zu wenige Herdenschutzhunde, zudem sei der Untergrund zu felsig für untergrabsichere Zäune. Bisher seien auch alle Entnahmebescheide vor Gericht wieder gekippt worden. „Kein einziger Problemwolf wurde in Tirol bisher entnommen“, beklagte er die für Weidetierhalter unbefriedigende Situation. Er forderte zudem eine EU-weite Datenbank für Problemwölfe, damit diese nicht jedes Land neu erfasse. Zudem seien die Gen-Analysen zu EU-weit zu standardisieren.

Länderübergreifende Genehmigungen für Wolfentnahme gefordert

Für bessere Absprachen zwischen den Bundesländern und weniger Bürokratie plädierte Frank Hahnel vom brandenburgischen Schafzuchtverband. Abschussgenehmigungen müssten länderübergreifend gelten, sonst könnte sich Wölfe schnell der Entnahme entziehen. Kein Verständnis hat er für 13-seitige Anträge für die Förderung von Präventionsmaßnahmen. Dabei gelte Brandenburg als Wolfsland Nr. 1 in Deutschland.

Auch müsse er für seine Herdenschutzhunde jede Tierfutterquittung den Behörden vorlegen, damit diese aufwändig geprüft werden könne. „Hier wäre besser, wenn sich die Länder besser absprechen und einfache Regeln von anderen übernehmen“, so Hahnel.

Wolfsforscherin nennt "viele positive Erfahrungen" beim Herdenschutz

Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Bejagung äußerte indes Ilka Reinhardt, Lupus Institut für Wolfsforschung. „Trotz Bejagung in Schweden und Norwegen sind die Konflikte mit dem Wolf nicht gelöst“, so ihr Argument.

Aus ihrer Sicht ist Herdenschutz die beste Maßnahme, wenn die Zäune funktionsfähig sind. Dazu gebe es viele positive Erfahrungen, über die Medien berichten sollten, nicht nur über Negativfälle.

Negative Folgen für Biodiversität möglich

Dr. Carsten Nowak vom Senckenberg Forschungsinstitut bestätigte teilweise Reinhardt Einschätzung. So würden in Norwegen trotz Bejagung immer noch große Schäden an Weidetieren auftreten, weil keine Herdenschutzmaßnahmen ergriffen würden.

Er vermisste zudem eine gute wissenschaftliche Grundlage, woran es in der Praxis scheitere, dass Herdenschutzmaßnahmen angewandt würden. Zudem forderte er auch eine bessere Datengrundlage über die Ausbreitung der Wolfspopulation und Folgen für die Biodiversität.

Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung

Beim letzten Punkt gab Marcel Züger aus der Schweiz einen kleinen Einblick. Er betreibt als Landwirt das Landschaftspflegeunternehmen Pro Valladas. Seiner Meinung nach ist eine Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung nicht möglich.

Hohe Zäune unter Strom stellen nicht nur ein Wanderhindernis für andere Arten dar, sondern töten auch viele Amphibien wie Frösche“ so der Schweizer. Dabei wolle man diese gerade besonders schützen. „Das ist schizophren“. Er plädiert daher für ein „restriktives Wolfsmanagement“.

Praxisfall beweist: Warum ein 2,50 Meter hoher Zaun keinen Wolf stoppt

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