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Bundestagswahl 2021

Gentechnik und Tierwohl sind Konfliktstoff für die Ampel-Koalition

Ampel Koalition Tierwohl
am Freitag, 29.10.2021 - 11:56 (1 Kommentar)

Die angehenden Koalitionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben ihre Verhandlungen in Facharbeitsgruppen aufgenommen. Knifflige Kompromisse sind für den nächsten Koalitionsvertrag zu finden.

Rund einen Monat nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP in dieser Woche die Verhandlungen über die konkreten Details ihrer geplanten gemeinsamen Regierungsarbeit aufgenommen. Dazu kamen in Berlin die ersten von 22 Arbeitsgruppen zusammen. In diesen Gruppen arbeiten rund 300 Politiker an Entwürfen für die einzelnen Kapitel des Koalitionsvertrages.

Die Agrar- und Umweltpolitik bergen dabei einigen Zündstoff für die Unterhändler. Bei der Gentechnik, beim Tierwohl und dem Subventionsabbau liegen die drei Parteien teilweise deutlich auseinander – bisher. Doch der Zeitplan ist eng, Kompromisse müssen her, und zwar schnell.

So sieht der Zeitplan aus

Die Bausteine für den neuen Koalitionsvertrag sollen nämlich schon bis 10. November vorliegen. Gegebenenfalls offene Konflikte in den Fachgruppen sollen die Hauptverhandler rund um die Parteispitzen sozusagen auf höherer Ebene lösen. Bis Ende November soll der Koalitionsvertrag ingesamt stehen.

In der Woche ab dem 6. Dezember sollen Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanzler gewählt und die Regierung gebildet werden. Etwa zwei bis drei Wochen später dürften sich dann die Fachausschüsse des Bundestages konstituieren. Doch bis der Gesetzgeber die 20. Legislaturperiode der Bundesrepublik in Angriff nehmen kann, müssen die Arbeitsgruppen von SPD, Grünen und FDP fleißig Kompromisse schmieden, damit ihre Ampel-Koalition im Bundestag funktioniert.

Wie soll mehr Tierwohl in den Ställen finanziert werden?

In der Fachgruppe „Landwirtschaft und Ernährung“ werden die Verhandlungen bekanntlich von Till Backhaus (SPD), Renate Künast (Grüne) und Carina Konrad (FDP) geleitet. Ein zentrales Konfliktthema dürfte die Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung zu mehr Tierwohl sein. Die Parteien wollen zwar die Empfehlungen der Borchert-Kommission für mehr Tierwohl in den Ställen umsetzen. Doch während die Grünen eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer befürworten, lehnte die FDP eine steuerfinanzierte Lösung vor der Bundestagswahl stets ab.

Auch bei der Nutzung moderner Züchtungsverfahren liegen Grüne und FDP traditionell weit auseinander. Ohne moderne Biotechnologie wird eine Verringerung des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln aber schwierig zu erreichen sein, wenn beträchtliche Ertragseinbußen vermieden werden sollen.

Am Wolf scheiden sich die Geister

Eine weitere Fachgruppe der drei Parteien SPD, Grüne und FDP muss die Stolpersteine im Bereich „Umwelt- und Naturschutz“ aus dem Weg räumen. Die Verhandlungen werden von Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), bisher Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, von der grünen Abgeordneten Steffi Lemke und von Stefan Birkner, dem Landesvorsitzenden der FDP in Niedersachsen, geführt. Ein Reizthema für diese Gruppe dürfte der Umgang mit dem Wolf sein. Gerade in Niedersachsen, Birkners Heimat, ist der Wolf zu einer Bedrohung für die Weidetierhaltung geworden. Die FDP will den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen, SPD und Grüne nicht.

Beim Insekten- und Artenschutz befürworten SPD und Grüne strengere Auflagen, während die Liberalen sich für einen kooperativen Ansatz zwischen Landwirtschaft und Naturschutz ausgesprochen haben. Der Green Deal der EU-Kommission mit seinen ambitionierten Reduktionszielen für Düngung und Pflanzenschutz zwingt die Parteien, sich für die Zukunft auf einen gemeinsamen Weg zu einigen.

Umweltbundesamt gibt Hinweise zum Subventionsabbau

Ein konfliktträchtiges Thema für die Koalitionsgespräche wird der Abbau umweltschädlicher Subventionen sein. Hier hat das Umweltbundesamt (UBA) gestern (28.10.) umfangreiche Empfehlungen vorgelegt. Unter anderem rät das UBA zum Abbau der Agrardiesel-Vergütung und zur Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Die Empfehlungen kommen den Ampel-Koalitionären gelegen, denn sie brauchen zur Umsetzung ihrer Investitionsvorhaben alternative Geldquellen, wenn es keine neuen Substanzsteuern und keine Anhebung der Einkommen- und Mehrwertsteuer geben soll.

Grüne wollen klimaschädliche Subventionen abbauen

Sven-Christian Kindler

Der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler fing den Ball bereits auf und sprach sich für einen schrittweisen Abbau klimaschädlicher Subventionen aus. Kindler sagte der Deutschen Presse-Agentur, ein solcher Abbau bringe eine dreifache Rendite: "Er ist gut für das Klima, er eröffnet Haushaltsspielräume und sorgt für fairen Wettbewerb. Darin liegt eine Chance für eine neue, fortschrittliche Regierung." Kindler ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Finanzen und Haushalt“ bei den Koalitionsverhandlungen.

Bereits in ihrem Sondierungspapier hatten die drei Parteien angekündigt, den Haushalt auf „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben“ zu überprüfen, um zusätzliche Haushaltsspielräume zu gewinnen.

Konfliktstoff auch beim Klimaschutz

Auch beim Thema Klima, für das es eine eigene Arbeitsgruppe gibt, gelten Konflikte ungeachtet der Ankündigungen von Scholz, Baerbock und Lindner als wahrscheinlich. Allzu viele staatliche Vorgaben will die FDP verhindern. Es geht aber auch um einen wirksamen Ausgleich für die steigenden Energie- und Spritpreise. Die Abschaffung der EEG-Umlage dürfte allein nicht reichen, um explodierende Kosten für Verbraucher zu verhindern.

Eine wegweisende Entscheidung deutet sich beim Thema Mobilität an: das Aus für den Verbrennungsmotor mit fossilem Kraftstoff. Im Sondierungspapier wird auf EU-Pläne verwiesen, dass alle Neuwagen ab 2035 emissionsfrei sein sollen. In Deutschland könnte das Aus für den fossilen Verbrenner sogar früher kommen. Was das für Traktoren und andere Nutzfahrzeuge bedeuten wird, ist eine offene Frage.

Söder rechnet fest mit der Ampel

Auch wenn die Ampel-Koalitionäre also noch einige Knoten durchschlagen müssen, wenn sie zusammen regieren wollen, glaubt CSU-Chef Markus Söder nicht mehr an ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP in Berlin.

„Ich gehe fest davon aus, dass wir jetzt eine Ampel bekommen“, sagte der bayerische Ministerpräsident diese Woche in München. Das Wahlergebnis und den Wunsch nach einer neuen Ausrichtung der Politik im Bund müsse man respektieren. Letztlich sei die Niederlage der Union bei der Bundestagswahl Ende September nicht unerwartet gekommen. „Das hat sich abgezeichnet.“

Mit Material von dpa
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