Vier nationale Gesundheitsbehörden haben in dieser Woche ihre Bewertung des Wirkstoffs Glyphosat vorgelegt. Ihr Fazit: Der herbizide Wirkstoff erfüllt alle Voraussetzungen, um in der Europäischen Union zur Verwendung in Pflanzenschutzmitteln weiterhin zugelassen zu bleiben.
Für Hersteller und Profi-Anwender wie Landwirte war das eine gute Nachricht. Die EU-Institutionen haben derzeit kein sachliches Argument, den Wirkstoff trotz dieses 11.000 Seiten starken wissenschaftlichen Gutachtens zu verbieten.
Dennoch ist eine Verlängerung der Genehmigung über den 15. Dezember 2022 hinaus alles andere als sicher. Denn das Verfahren ist lang, kompliziert – und voller politischer Stolperfallen, wie ein Blick zurück in das Jahr 2017 zeigt.
Gutachter erhalten Morddrohungen von Glyphosat-Gegnern
Es war am 15. März 2017, als die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) beschied: Glyphosat ist nicht krebserregend. Damit schien damals der Weg frei für eine Verlängerung der Zulassung. Und tatsächlich schlug die EU-Kommission genau das vor. Doch statt der üblichen 15 Jahre sollte die Genehmigung nur fünf Jahre gültig sein. Das war ein Zugeständnis an die heillos zerstrittenen Mitgliedstaaten, ohne deren Zustimmung die Zulassung nicht in Kraft treten kann.
Auch in Deutschland wurde heftig gerungen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Umweltbundesamt (UBA) waren zu der Auffassung gelangt, dass Glyphosat als nicht krebserregend einzustufen sei. Nach Angaben der Bundesregierung erhielten zuständige Mitarbeiter des BfR daraufhin Morddrohungen.
Koalitionskrise inbegriffen

In der Koalition löste das Glyphosat-Dossier einen erbitterten Kleinkrieg zwischen SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks und CSU-Agrarminister Christian Schmidt aus. Hendricks war gegen die Zulassung, Schmidt dafür. Angeblich gab es eine Absprache in der Koalition, dass Deutschland sich daher in der Abstimmung auf EU-Ebene enthalten werde.
Doch dann kam der 27. November 2017 und der große Auftritt des Franken: Schmidt wies den deutschen Vertreter im zuständigen EU-Gremium eigenmächtig an, mit „Ja“ zu stimmen. Damit war die Zulassung durch. Ohne die Stimmen Deutschlands hätte der Vorschlag der EU-Kommission die nötige Mehrheit hingegen nicht erhalten.
Was folgte, war eine mittlere Krise der Koalition. Aus der SPD kam die Forderung, Kanzlerin Merkel solle Schmidt entlassen. Dieser sah sich Beleidigungen und Gewaltandrohungen ausgesetzt.
Die Ausgangslage ist nicht leichter geworden
Jetzt, nur vier Jahre später, steht das leidige Thema wieder vor der Tür. Die Bewertung von Glyphosat durch die nationalen Behörden in Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Ungarn ändert nichts an der bisherigen Beurteilung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Chemikalienagentur ECHA: Glyphosat ist bei korrekter Ausbringung ein sicheres Pflanzenschutzmittel.
Politisch ist die Lage aber nicht einfacher geworden. Nach wie vor machen zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) massiv Druck gegen Glyphosat. Das weltweit am meisten eingesetzte Herbizid ist der prominente Stellvertreter im Kampf der Umweltverbände gegen den chemischen Pflanzenschutz. Zudem wissen die NGO: Der Wirkstoff ist der Schlüssel zum Anbau der am meisten verbreiteten gentechnisch veränderten Kulturpflanzen. Und noch etwas kommt erschwerend hinzu: Tausende Haftungsklagen in den USA gegen den Bayer-Konzern als Rechtsnachfolger des Roundup-Vertreibers Monsanto sind eine schwere Hypothek für die Verteidiger von Glyphosat.
Eine Steilvorlage für die Pflanzenschutzgegner

Bei den nun anstehenden öffentlichen Konsultationen zum Bericht der sogenannten Glyphosat-Bewertungsgruppe (AGG) aus vier nationalen Behörden werden die Argumente der Pflanzenschutz-Gegner also erneut vorgetragen werden.
In der ersten Septemberwoche wollen EFSA und ECHA die Öffentlichkeitsbeteiligung starten. Die Schlussfolgerungen der beiden EU-Behörden sollen im Mai beziehungsweise Juni 2022 vorliegen.
Dann bleibt nicht mehr viel Zeit, um bis zum Ablauf der EU-Zulassung am 15. Dezember 2022 ein Votum der EU-Mitgliedstaaten herbeizuführen. Heftige politische Auseinandersetzungen können als gesichert gelten.
Man braucht auch kein Prophet zu sein, um zu ahnen, dass der agrarkritische EU-Kommissionsvize Frans Timmermans versuchen wird, in den Zulassungsprozess einzugreifen.
Stoppt der deutsche Glyphosat-Ausstiegsplan?
Sehr viel schneller wird sich womöglich zeigen, wie das jüngste Gutachten der europäischen Bewertergruppe die Diskussion in Deutschland beeinflusst. Am kommenden Freitag, dem 25. Juni, wird sich der Bundesrat mit dem nationalen Glyphosat-Ausstiegsplan beschäftigen.
Eine Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung (PflSchAnwV) sieht zunächst sofort greifende deutliche Einschränkungen für den Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel vor. Ein vollständiges Glyphosat-Anwendungsverbot soll ab 2024 greifen.
Ob dieser Ausstiegsplan vom Bundesrat beschlossen wird, obwohl der Wirkstoff gemäß dem wissenschaftlichen Gutachten über das Jahr 2022 hinaus genehmigt bleiben sollte, wird sich nächste Woche zeigen. In den Erläuterungen des Verordnungsentwurfs wird bereits darauf hingewiesen, dass das Datum des vollständigen Anwendungsverbots angepasst werden muss, falls die EU die Wirkstoffgenehmigung verlängert.
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