Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Agrarpolitik

Green Deal, Stilllegung, Ökolandbau: Was ändert der Krieg?

Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln mit Gebirge im Hintergrund
am Donnerstag, 10.03.2022 - 15:06 (6 Kommentare)

Drohende weltweite Hungerkrisen nach Russlands Überfall auf die Ukraine rütteln an der Geschlossenheit der Ampelkoalition. Die langfristige Ökologisierung der Landwirtschaft steht im Konflikt mit schnellen Anpassungen an die aktuellen Entwicklungen.

Das hat die gestrige (09.03.) Sondersitzung des Ernährungsausschusses im Bundestag deutlich gemacht, die auf Antrag der Unionsfraktion einberufen wurde. Im Mittelpunkt standen die Ernährungsversorgung in der Ukraine und in Deutschland sowie die Situation auf den nationalen und internationalen Agrarmärkten. Der von der Union geforderte Bericht der Bundesregierung zu diesen neuen Herausforderungen stellte sowohl die nationalen und europäischen Ziele der Agrarpolitik als auch den Zusammenhalt innerhalb der Ampelkoalition in Frage.

So sollte nach den Ereignissen in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 der agrarpolitische Kurs nach Ansicht der FDP neu bewertet werden. SPD und Grüne wollen an den gesetzten Zielen festhalten.

Kritische Versorgungslage in der Ukraine seit Kriegsbeginn 2014

Manuela Rottmann (Grüne), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), erinnerte an die Engpässe in der Lebensmittelversorgung in Teilen der Ukraine, die dort seit Beginn des Kriegs vor acht Jahren bestehen. Etwa eine Million Binnenflüchtlinge seien seit Jahren auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Momentan stimme sich das BMEL eng mit dem ukrainischen Landwirtschaftsministerium ab. Außerdem habe es eine Koordinierungsstelle eingerichtet. Dadurch werde die Leistung der hauptamtlichen Hilfsorganisationen aber nur ergänzt.

Auf das morgige (11.03.) Treffen der G7-Agrarminister zum Krieg in der Ukraine wies die Grünen-Fraktion hin. In der Sondersitzung sollen sich die Minister gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme) auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Die SPD unterstrich die Bedeutsamkeit von internationalen Hilfsmaßnahmen. Für landwirtschaftliche Betriebe müsse zudem geklärt werden, welche Maßnahmen sie jetzt ergreifen müssen. Nicht wiederholen dürften sich Fehler aus der Weizenkrise 2008/2009.

Über ein weiteres Verfolgen des Kurses in der Agrarpolitik sind sich die SPD-Politikerin Susanne Mittag und Grünen-Politikerin Renate Künast einig. So bleiben laut Mittag der Umbau der Tierhaltung, die Umsetzung der Nitratrichtlinie oder die regenerativen Energien aus der Landwirtschaft richtig und notwendig. Für Künast ergibt sich aus der aktuellen Lage die Notwendigkeit, „dass wir dringend die Widerstandsfähigkeit unseres Ernährungssystems erhöhen müssen“.

FDP will Agrarproduktion hochfahren

Ingo Bodtke bei einer Rede im Deutschen Bundestag

Anders als die Koalitionspartner sprachen sich die FDP-Mitglieder in der Sondersitzung für ein Hochfahren der Agrarproduktion in Europa aus. Darüber hinaus müsse es gezielte Einkäufe von strategisch wichtigen Grundstoffen und Lebensmitteln geben, um die Reserven aufzufüllen.

In einem Positionspapier der FDP-Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Bundestag, das agrarheute vorliegt, heißt es, dass die Ernährungssicherung neben den ökologischen Zielen fester Bestandteil der EU-Agrarpolitik werden müsse. Die Regelung zur Stilllegung von vier Prozent der Fläche solle aus Sicht der Liberalen „grundlegend ausgesetzt werden“. Europas Produktionskapazität müsse kurzfristig in diesem Jahr gesteigert werden, um auf die angespannte Situation der globalen Agrarmärkte reagieren zu können. Auch Markteingriffe und Lagerhaltung könnten zur Stabilisierung notwendig sein.

Produktionseinschränkungen auf den ertragreichen Flächen Mitteleuropas lehnt die FDP ab. Stattdessen müsse die Produktion ökologisch intensiviert werden. „Jedoch sind die auf EU-Ebene diskutierten Maßnahmen, wie weitgehende Extensivierungen durch eine Ausweitung des Ökolandbaus, eine pauschale Reduzierung des Einsatzes von chemischem Pflanzenschutz sowie Düngemitteln der falsche Weg“, schreibt die FDP-Arbeitsgruppe im Papier und weist auf die besondere ethische Verantwortung der Europäer hin.

Agrarpolitiker Ingo Bodtke (FDP) erklärt: „Die aktuelle Situation zwingt uns dazu, die EU-Agrarpolitik in puncto Ernährungssicherung schleunigst anzupassen. Nur so können Hungersnöte im Nahen Osten und Nordafrika sowie neue Fluchtbewegungen vermieden werden. Wenn anderswo Exporte fehlen, müssen mehr Nahrungsmittel auf begrenzter Fläche produziert werden.“

Auch Union fordert Maßnahmen zur Ernährungssicherung

Albert Stegemann bei einer Rede auf einer Demo

Von der Regierung forderten CDU und CSU in der Sitzung, einen Krisenstab zur Versorgungssicherheit in Deutschland einzurichten, der sich gleichzeitig mit der Versorgung der ukrainischen Bevölkerung vor Ort und auf der Flucht beschäftigen soll.

Weiter warnte die Union vor einem Ernteausfall in der Ukraine, von dem besonders Nordafrika, die Sahelzone und der Nahe Osten durch massive Preiserhöhungen für Weizen betroffen wären.

„Die Bundesregierung scheint die globalen Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine, die auf den internationalen Agrarmärkten bereits deutlich abzusehen sind, noch nicht verstanden zu haben. […] Viele Tierhalter können sich Futtermittel, Düngemittel und andere Betriebsmittel kaum mehr leisten, wenn diese überhaupt verfügbar sind“, erklärt der CDU-Politiker Albert Stegemann und zeigt sich enttäuscht darüber, dass die Sondersitzung weitestgehend ergebnislos geblieben sei.

Der CSU-Abgeordnete Max Straubinger rät zum Fortführen der aktuellen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2027. Unter vernünftigen Bedingungen müssen die deutschen Bauern Lebensmittel produzieren können, auch um einen Teil der Erzeugung im Kriegsgebiet auszugleichen und Schwellen- und Entwicklungsländer zu versorgen. Straubinger unterstützt die Ankündigung von EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, den Green Deal zu überprüfen. „Am Beispiel der geplanten pauschalen Flächenstilllegung von vier Prozent ab 2023 wird deutlich, dass der Green Deal in der vorliegenden Form weder politisch noch fachlich erklärbar ist. Er würde den Hunger in der Welt zusätzlich verschärfen“, so Straubinger.

Kommentare

agrarheute.comKommentare werden geladen. Bitte kurz warten...