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InnoPlanta-Forum 2022

Hunger und Green Deal nicht ohne moderne Pflanzenzüchtung zu stemmen

innoplanta-forum-2022
am Mittwoch, 27.04.2022 - 05:00 (15 Kommentare)

Beim InnoPlanta-Forum am 26. April 2022 in Berlin warnten Wissenschaftler angesichts globaler Krisen bei gleichzeitig hochgesteckten politischen Zielen davor, die neuen Züchtungstechnologien weiterhin abzulehnen.

Nichts getan hat sich in den letzten Jahren beim Genome Editing, stellte Uwe Schrader, Vorsitzender des Vereins InnoPlanta, bei der Eröffnung des Forums in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin fest.

Gewachsen sind dagegen die Herausforderungen zur globalen Ernährungssicherung sowie zur Umsetzung politischer Vorgaben, insbesondere des europäischen Green Deal. Welche Risiken in den gesetzlichen Rahmenbedingungen für die neuen Züchtungstechnologien liegen und weshalb die Forschung dafür kein Verständnis hat, diskutierten die Wissenschaftler Matin Qaim, Jens Boch und Ingo Potrykus beim InnoPlanta-Forum 2022.

Globale Unsicherheiten verschärfen Auswirkungen des GVO-Verbots

Matin Qaim beim InnoPlanta-Forum 2022

Dass sich die Getreideerträge in den letzten Jahrzehnten in den meisten Regionen verdreifacht haben, sei maßgeblich auf die Züchtung zurückzuführen, sagte Matin Qaim, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, zu Beginn seines Vortrags. Zwischen der Züchtung und dem Rückgang des Hungers gebe es einen ursächlichen Zusammenhang. Dennoch leide ein Viertel der Weltbevölkerung unter verschiedenen Formen der Unter- und Mangelernährung. Gegen die planetaren Grenzen und die Folgen des Klimawandels leiste das Genome Editing einen Beitrag zum Wohle der Menschen und des Planeten.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine habe das Ertragswachstum eine noch größere Bedeutung bekommen. Der erhebliche Anstieg der Weizenpreise in den letzten zwölf Monaten zeige, wie wichtig höhere Erträge in anderen Teilen der Welt für die Versorgung mit Weizen sind, so Qaim. Nicht nur der zu erwartende Ertragsausfall in der Ukraine, sondern auch die Abhängigkeiten von Russland verursachten große Unsicherheiten. Das Genome Editing sei ein Mittel, um den Problemen zu begegnen.

Überregulierung bei nicht nachgewiesenen Risiken des Genome Editing

Folie zu Genome Editing-Patenten

Qaim wies auf die bestehende künstliche Trennung zwischen „konventioneller Züchtung“ und „Gentechnik“ hin. Über 30 Jahre Forschung hätten keinen Unterschied bei den Risiken beider Formen feststellen können. Zu glauben, dass mehr Technologie mit Chemie, weniger Vielfalt, wachsenden Betriebsgrößen und Patenten auf dem Saatgutmarkt einhergeht, sei töricht, betonte der Agrarwissenschaftler. Außerdem müsse der Einsatz von Technologie nicht teuer sein, wenn er entsprechend reguliert wird.

Ein Ende der Überregulierung in der EU sei noch nicht in Sicht. Die strengen Regeln führten dazu, dass alle geneditierten Pflanzen nach europäischem Recht als GVO eingestuft werden. In der EU bestehe ein unwissenschaftliches De-facto-Verbot, das auch den internationalen Handel ausbremse, weil auch für Importe GVO-Zulassungen benötigt werden. Die aktuelle Situation führe laut Qaim zu einer Konzentration auf den Saatgutmärkten durch multinationale Unternehmen. Auch beim Saatgut selbst liege der Fokus auf wenige kommerzielle Pflanzen.

Jens Boch, Professor am Institut für Pflanzengenetik an der Leibniz Universität Hannover, stellte darüber hinaus die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Züchtungsunternehmen in Frage und machte auf die Innovationsblockade für die Forschung aufmerksam. Zudem seien in Europa qualitativ schlechtere Nahrungsmittel zu befürchten, weil mehr Pestizide eingesetzt werden müssten und es zu höheren Ertragsausfällen kommen könne.

Bei den Patenten für das Genome Editing habe sich China auf dem globalen Markt inzwischen deutlich abgesetzt; Europa liege weit hinten. In den USA hätten Milliardäre laut Boch inzwischen Institute geschafften, die die Forschung auf dem Gebiet vorantreiben. Qaim wies darauf hin, dass in Europa zunächst Akzeptanz geschaffen werden muss, bevor Investitionen sich lohnen.

Green Deal-Vorgaben beunruhigen die Wissenschaft

Jens Boch beim InnoPlanta-Forum 2022

Nach Qaims Auffassung sind die neuen Züchtungstechnologien zwar kein Allheilmittel, doch einen erheblichen Beitrag zur globalen Ernährungssicherung können sie durchaus leisten, fasste er zusammen. Die Regulierung der gentechnisch veränderten Pflanzen solle nicht abgeschafft, aber reformiert werden.

Der europäische Green Deal, der eine 50-prozentige Reduzierung von Pflanzenschutz- und eine 20-prozentige Reduzierung von Düngemitteln vorsieht, sei wichtig, sagte Qaim. Genauso bedeutsam sei die gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft. Für die Reduktionsziele des Green Deal brauche es aber nachhaltige Lösungen, die die Züchtungstechnologien böten. Auf die Kritik des Professors zur Einstellung der SPD zum Thema reagierte die anwesende Bundestagsabgeordnete Franziska Kersten (SPD) mit einem Verweis auf Mecklenburg-Vorpommern, wo der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Till Backhaus für die Aufnahme der neuen Züchtungsmethoden in den Koalitionsvertrag sorgte.

Jens Boch sah außerdem die Ausweitung des Ökolandbaus, die der Green Deal ebenfalls vorsieht, skeptisch. Für den fehlenden Ertrag an Nahrungsmitteln gebe es keine Lösung von der Politik. „Wenn Menschen Hunger haben, stehen alle anderen ethischen Ansprüche hinten an“, so Boch. Mit Blick auf den Goldenen Reis, der in den Philippinen seit etwa einem Jahr zur Bekämpfung des Vitamin A-Mangels angebaut werden kann, ist es hierzulande nach Auffassung von Boch unbegreiflich, dass Politiker über die Erkenntnisse von Nobelpreisträgern hinwegsehen.

Auch Goldener Reis muss sich noch durchsetzen

Ingo Potrykus bei seiner digitalen Teilnahme am InnoPlanta-Forum 2022

Digital an der Veranstaltung teil nahm Ingo Potrykus, der sich seit Jahrzehnten mit den neuen Züchtungstechnologien befasst und als einer der Väter des Goldenen Reises gilt. Die Regierungen in Bangladesch und Indien – Länder, in denen der Vitamin A-Mangel bei Tausenden Kindern jährlich zur Erblindung und zum Tod führt – haben den Goldenen Reis noch nicht zugelassen, berichtet Potrykus. Wann China den Goldenen Reis nutzen wird, sei ebenfalls noch nicht absehbar.

In seinem Berufsleben habe es viele Momente gegeben, in denen der Biologe am Weitermachen zweifelte. Nicht aufgegeben habe er wegen seines Ziels, der ärmeren Bevölkerung auf der Welt zu helfen. Nun liege die wichtigste Arbeit aber nicht mehr bei der Wissenschaft, sondern bei den Regierungen der von Vitamin A-Mangel betroffenen Länder. In seiner Karriere sei Potrykus immer wieder als Weltverbesserer beschimpft worden – was für ihn nie eine Beleidung gewesen sei.

Horst Rehberger, Vorsitzender des InnoPlanta-Beirates, appellierte in seinem Schlusswort an das europäische Parlament und den Bundestag, die rechtlichen Grundlagen in absehbarer Zeit anzupassen.

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