Produzieren Sie mehr als 434.500 Tonnen Nahrungsmittel im Jahr? Wenn nicht, dann sind Sie auch keine kritische Infrastruktur. So ist es in der Verordnung zur Bestimmung kritischer Infrastruktur geregelt, die sich auf die sogenannte KRITIS-Verordnung, die „Nationale Strategie zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen“ von 2009 bezieht. Der einzelne landwirtschaftliche Betrieb ist damit so gut wie nie systemrelevant.
Was hat das Bundeskabinett beschlossen?
Was ist dann in der Sitzung des Bundeskabinetts vom 25. März passiert, nach der das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) in einer Pressemitteilung verkündete: „Land- und Ernährungswirtschaft werden als systemrelevante Infrastruktur anerkannt“? Auf Nachfrage gab das BMEL zu, dass es einen konkreten schriftlichen Kabinettsbeschluss mit dieser Aussage nicht gibt. Vielmehr war sich, laut dem Ministerium „das Kabinett einig, dass die gesamte Land- und Ernährungswirtschaft zur Kritischen Infrastruktur zählt. Diese Einschätzung lag dem Corona-Paket, das an diesem Tag beschlossen wurde, zugrunde.“ Soll heißen: Weil das Corona-Paket beschlossen wurde und keiner gesagt hat, dass Land- und Ernährungswirtschaft nicht kritische Infrastruktur sind, sind sie es. Konkrete Folgen hat das erst einmal keine.
Was sollte Systemrelevanz bedeuten?
Wenn die Systemrelevanz der Landwirtschaft mehr als eine Beschwörungsformel sein soll, muss sie gesetzlich festgeschrieben werden. Am besten wäre es, wenn die Sicherung der Versorgung mit gesunden Lebensmitteln auch im Grundgesetz stehen würde. Doch so weit ist eine Mehrheit unserer Abgeordneten im Bundestag wahrscheinlich noch nicht. Wie wäre es als erster Schritt das Landwirtschaftsgesetz von 1955, das derzeit im Dornröschenschlaf liegt, aufzuwecken? Dieses Gesetz ist im Augenblick vor allem die Grundlage für den „Bericht zur Landwirtschaft“ des Bundes. Doch es steht darin auch die Aufgabe der Branche, „der Bevölkerung die bestmögliche Versorgung mit Ernährungsgütern zu sichern“. Hier gäbe es aus Spielraum für Ergänzungen.
Globale und persönliche Gesundheitskrisen ähneln sich
Eine Gesetzesänderung kann nicht das Ende vom Lied sein. Man müsste daraus Konsequenzen ableiten, zum Beispiel für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik, den Agrarhaushalt und die gemeinsame Handelspolitik. Denn Corona zeigt uns im globalen, was mancher junge Betriebsleiter schon am eigenen Leib hat erfahren müssen: Wenn man sich übernimmt und die eigene Gesundheit deswegen nicht mehr mitspielt, dann verwandeln sich die am sichersten geglaubten Fundamente auf einen Schlag in wackelige Kartenhäuser. Die beständige Kostenoptimierung – ob vom eigenen Betrieb oder der Weltwirtschaft – geht auf Kosten von Sicherheitsnetzen. Und wenn der Motor des beständigen Wachstums ein paar Monate nicht mehr läuft, dann kann sich die Stabilität des ganzen Systems als Illusion erweisen.
Auch regionale Landwirtschaft ist systemrelevant
Schon lange bevor die heimische Landwirtschaft als Ganzes durch den preislichen Wettbewerb verloren geht, wird es Auswirkungen auf die regionale Versorgungssicherheit geben. Allen Bemühungen von Politik und Bauernverbänden zum Trotz ist noch immer nicht sicher, wieviel Spargel, Erdbeeren und sonstiges Obst und Gemüse aus kleinen Familienbetrieben es nach Corona noch geben wird. Nun kann der Mensch sicher auch ohne diese Produkte leben. Aber was kommt als nächstes? Milch aus benachteiligten Regionen? In der Milchwirtschaft stehen die Zeichen auch schon auf „Krise“.
Es braucht einen breiten Schulterschluss
Damit wir uns richtig verstehen: Die Antwort für diese Herausforderungen kann nicht nur von der Politik kommen. Planwirtschaft ist keine Lösung. Es braucht das unternehmerische Denken der Betriebsleiter, die stabilen Rahmenbedingungen von der Politik und den Schulterschluss mit den Verbrauchern. Nur dann kann es gelingen, dass die Systemrelevanz der Landwirtschaft mehr ist als Honig, den man Betrieben in schwieriger Situation um den Mund schmiert.
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