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Tierwohl

Isermeyer: Klarheit für Tierhalter schaffen

am Dienstag, 24.09.2019 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Die Agrarpolitik muss den deutschen Tierhaltern klare Ziele nennen, wie künftig Tierwohl aussehen soll. Ebenso ist eine Tierwohlprämie nötig.

Schweinehalter Benny Hecht

Die Chancen einer grundlegenden Neuausrichtung der Tierhaltung für die hiesigen Landwirte betont der Präsident des Thünen-Instituts (TI), Prof. Folkhard Isermeyer. „Immer mehr Tierhalter kommen zu der Einschätzung, dass das Drehen kleiner Schrauben nicht mehr weiterhilft“, sagt Isermeyer im Interview mit Nachrichtendienst Agra-Europe.

Nach seiner Überzeugung wird die Nutztierbranche nur dann aus ihrer „zermürbenden Dauer-Defensive“ herauskommen, wenn es ihr gelingt, einen Gesellschaftsvertrag mit überzeugenden Zielbildern und einem verlässlichen Finanzierungskonzept über eine Tierwohlprämie abzuschließen.

Klare Entscheidungen statt Durchwursteln

Prof. Folkhard Isermeyer

Der Wissenschaftler sieht in erster Linie die Politik gefordert: Sie müsse klar entscheiden, ob sie eine grundlegende Umgestaltung der Nutztierbranche erreichen wolle, anstatt sich weiter „irgendwie durchzuwursteln“. Im nächsten Schritt müssten Zielbilder für eine gesellschaftlich
akzeptierte Nutztierhaltung konkretisiert und mit der Investitionsförderung sowie einer Tierwohlprämie die notwendigen Finanzierungsinstrumente eingerichtet werden.

Parallel dazu müsse das Bau- und Umweltrecht auf diese neue Linie ausgerichtet werden. „Nur dieses Gesamtpaket schafft die erforderliche Planungssicherheit für die Landwirte“, betont der Thünen-Präsident. Den Zeitraum für den Umbau der Tierhaltung veranschlagt Isermeyer auf 20 Jahre.

Rund 30 Prozent Mehrkosten

Eine Tierwohlprämie erzeuge Planungssicherheit für die Investoren, so der Experte Eine grundlegende Umgestaltung der Nutztierhaltung werde ja nur dann zustande kommen, wenn zigtausende von Landwirten ihre Ställe neu bauen oder umbauen, zum Beispiel zu Offenfrontställen. Mit diesen Baumaßnahmen schaffen sie Haltungssysteme, in denen sie wesentlich mehr Arbeit einsetzen müssen als bisher.

Isermeyer schätzt dafür rund 30 Prozent Mehrkosten im Vergleich zu den bisherigen Haltungssystemen. Und wenn die Landwirte Pech haben, laufen sie mit ihren Tierwohlinvestitionen auch noch in zusätzliche umweltpolitische oder tierseuchenhygienische Risiken hinein.
 

Höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch ist sinnvoll

Den gegenwärtigen politischen Streit um ein staatliches Tierwohllabel hält der Agrarökonom für einen Nebenkriegsschauplatz, der weder für den Tierschutz noch für die Landwirten spürbare Vorteile bringe. Demgegenüber schaffe eine Tierwohlprämie Planungssicherheit
für die Investoren. Die Prämienhöhe müsse dabei so bemessen sein, dass sie die Kostendifferenz zwischen dem gesetzlichen Standard und einem angestrebten Ziel-Standard ausgleiche.

„Selbst wenn der Erzeugerpreis für Milch und Fleisch weiterhin auf dem normalen EU-Niveau bleibt, ist die Umstellung auf Tierwohlproduktion für die Landwirte einkommensneutral“, erläutert Isermeyer. Er verweist auf ein ausführliches Papier, das er zu dem Thema veröffentlicht hat (Dokumentation). Zur Finanzierung setzt er auf eine steuer- oder abgabenfinanzierte Lösung, für die sich nach seiner Einschätzung politische Mehrheiten finden ließen.

Gute Beispiele für verlässliche Finanzzusagen des Bundes

Am erfolgversprechendsten ist für den Thünen-Präsidenten ein Verzicht auf die Mehrwertsteuerermäßigung für Milch- und Fleischerzeugnisse. Zweifeln an der Verlässlichkeit einer solchen Finanzierung begegnet der Wissenschaftler mit dem Hinweis auf die Biogasförderung, die Agrarsozialpolitik und den EU-Direktzahlungen.
Zwar seien die Zahlungen auch dort nicht auf ewig garantiert. Die Verlässlichkeit für die Dauer einer Abschreibungsperiode sei aber durchweg erreicht worden.

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Tierwohllabel bringt keine umfassende Neuausrichtung

Ob das staatliche Tierwohllabel verpflichtend oder freiwillig sei, spielt laut Isermeyer für den Umbau der Tierhaltung keine Rolle.

In beiden Systemen werde sich der Großteil des Marktes nur auf einem Tierwohlniveau einrichten, das knapp oberhalb des gesetzlichen Standards liege, so der Experte. Gleichzeitig werden viele Betriebe weiterhin nur auf dem gesetzlichen Standard verbleiben. "Das Ziel einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung wird also in beiden Fällen nicht erreicht," sagt der Thünen-Wissenschaftler.

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