Dass die Opposition kein gutes Haar an dem grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir lässt, überrascht nicht. Nach einem Jahr Özdemir im Ministeramt fällt ihre Bilanz eher schlecht aus. Vor genau einem Jahr, am 8. Dezember 2021, wurde Cem Özdemir zum Bundesagrarminister ernannt.
Überraschend ist aber, dass sogar Umweltorganisationen, die den Grünen nahe stehen, oder auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine eher maue Bilanz ziehen. „Mutlos, zu wenig, zu langsam, zu viele Zugeständnisse gegenüber der Agrarindustrie und der Bauernverbandsspitze“, so fasst AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janßen das erste Jahr Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter der neuen grünen Hausleitung zusammen.
Viele Chancen für bäuerliche Betriebe verpasst
Gelegenheiten, die längst überfälligen Veränderungen in der Agrarpolitik und Landwirtschaft einzuleiten, hätte es aus Sicht der AbL-Bundesvorsitzenden Elisabeth Fresen durchaus gegeben. Ihrer Meinung nach hatte Özdemir die große Chance, die Versäumnisse der Vorgängerregierung bei der Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) zu korrigieren. Er habe sie ohne erkennbare Haltung und nennenswerte Verbesserungen einfach ziehen lassen, kritisiert Fresen. Aktuell profitieren laut Fresen von der GAP einmal mehr vor allem industrialisierte Großbetriebe, nicht die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren „wertvollen Leistungen für lebendige ländliche Räume.“
Unzufrieden ist die AbL auch mit dem Umbau der Tierhaltung. „Mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission lag bei Amtsantritt des Ministers ein schlüssiges und breit getragenes Gesamtkonzept für einen gesellschaftlich akzeptierten Umbau der Tierhaltung samt Kennzeichnung vor“, so AbL-Vorsitzender Martin Schulz. Anstatt dieses umzusetzen, habe die Hausleitung des BMEL sich dafür entschieden Klientelpolitik für wenige zu machen. Ganz nach dem Vorbild der Vorgängerregierung, nur in Grün. Gleichzeitig nehme Özdemir billigend in Kauf, dass eine durchaus nötige Reduktion von Tierzahlen durch die massenhafte Aufgabe bäuerlicher Betriebe vonstatten gehe, so Schulz.
Greenpeace: „Starke Worte- schwache Taten“
Nicht viel besser fällt die Bilanz von Greenpeace aus. Sie betitelt ihr Bilanz mit „Starke Worte -Schwache Taten“. Tierwohl, Höfesterben, Klimaschäden durch Anbau und Tierhaltung – bei seinem Antritt als Bundeslandwirtschaftsminister versprach Cem Özdemir im Dezember 2021, die dringenden Probleme der Landwirtschaft anzupacken und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Nach Auffassung der Umweltorganisation gab es kaum konkrete politische Umsetzungen, dazu nur wenig Bereitschaft zur Konfrontation, innerhalb der Koalition als auch im Umgang mit Verbrauchern und Landwirten.
Nabu sieht Licht und Schatten
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht neben viel Schatten auch etwas Licht in der einjährigen Tätigkeit des zweiten grünen Agrarministers Deutschlands. Verbandspräsident Jörg-Andreas Krüger lobt das vorgelegte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz mit seinem 4 Mrd. Euro-Budget für das Wiederherstellen von Mooren, Meeren und Wäldern. Positiv sieht er auch das Bemühen der Regierung, mit Artenhilfsprogrammen besondere Auswirkungen der Energiewende auf sensible Tierarten zu kompensieren.
Demgegenüber bekräftigt der Nabu-Präsident seine Kritik an der beschlossenen Ausnahmeregelung, im Jahr 2023 auf obligatorischen Stilllegungsflächen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anbau einiger landwirtschaftlicher Kulturen zu ermöglichen. Er wirft der Bundesregierung vor, „unter Druck der Ernährungs- und Agrarindustrie die wenigen Fortschritte der jüngsten EU-Agrarreform in letzter Minute zurückgedreht“ zu haben.
BMEL-Bilanz: 20 Verfahren durchgebracht
Indes fällt Özdemirs Bilanz ganz anders aus. Den Einstieg in dem Umbau der Tierhaltung, den Beginn des neuen Förderprogramms „Klimaangepasstes Waldmanagement“, die Einreichen des Nationalen Strategieplans zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sowie die 180 Mio. €-Krisenhilfe zählt er den Kernpunkten. Insgesamt habe das Bundeslandwirtschaftsministerium unter seiner Leitung in einem Jahr bislang 20 Rechtssetzungsverfahren durch den Bundesrat gebracht, darunter den Entwurf für ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und zwei weitere Vorlagen sowie 15 Verordnungen und zwei Allgemeine Verwaltungsvorschriften, unter anderem zur Düngeverordnung.
Özdemit sieht es als Erfolg, drohende EU-Strafzahlungen von über 800 000 € täglich wegen der Nichtumsetzung der EU-Nitratrichtlinie „endgültig“ verhindert zu haben. Doch die EU-Kommission muss erst noch die aktuellen Gebietsausweisungen der Bundesländer prüfen und akzeptieren. Für Özdemir ist das kein Problem. Der Bund habe richtig mit Brüssel verhandelt, die Länder müssen die Vorgaben jetzt aber richtig umsetzen. Sollte Brüssel bei der Düngeverordnung was auszusetzen haben, sieht der grüne Özdemir den Schwarzen Peter damit bei den Ländern.
Das BMEL hebt zudem die Hilfen für die Ukraine hevor. Die Liste reicht hierbei von den Initiativen beim G7-Gipfel unter anderem für offene Märkte und die Unterstützung der Ukraine bei Agrarexporten. Zudem habe sein Haus den Transport von Lebensmittelspenden deutscher Unternehmen und Organisationen organisiert und zusätzlich 5 Mio. € über das Maßnahmenpakets „Agriculture für Peace“ bereitgestellt.
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