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Kommentar

Joachim Rukwied wiedergewählt: Chance für den Deutschen Bauernverband?

Rukwied Bauerntag Erfurt 2020
am Freitag, 16.10.2020 - 14:34 (3 Kommentare)

Die Delegierten des Deutschen Bauernverbandes (DBV) haben Joachim Rukwied als Präsidenten nach einer äußerst selbstkritischen Rede im Amt bestätigt. Wie sollte es für den DBV jetzt weitergehen?

Der Deutsche Bauernverband (DBV) steckt in der Krise. Eine neue berufsständische Bewegung schafft es, die Bauern zu mobilisieren und erringt viel öffentliche Aufmerksamkeit. Ob die traditionelle Verbandsarbeit des DBV mit seinen Fachgremien noch zeitgemäß ist, wird in Landwirtskreisen bezweifelt. Die Unterstützung für den DBV-Präsidenten scheint im Sinkflug ...

Simon Michel-Berger

So war die Lage rund um den Milchstreik im Jahr 2008. Völlig anders ist sie heute nicht. Zwar heißt die neue Bewegung diesmal nicht Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, sondern Land schafft Verbindung (LsV), die Herausforderung ist aber ähnlich. Die Dimension ist allerdings breiter. Während die politische Aufregung 2008 vor allem die Milchbauern betraf, ist heute mit Düngeverordnung, Klimaschutz, Artenvielfalt und öffentlichem Bild die gesamte Landwirtschaft im Fokus. Hinzu kommen die digitalen Medien, der Schlüssel für den Erfolg von LsV. Geschlossene Gruppen auf WhatsApp oder Facebook erfüllen den Wunsch vieler Bauern nach einem Austausch mit Gleichgesinnten, so wie es früher die Stammtische in den Dorfwirtshäusern taten. Hier nimmt die Mobilisierung ihren Anfang.

Den Schwung der Basis aufnehmen

Deutsche Bauern sind vielerorts in Bewegung. Das führte im Vorfeld des Bauerntages auch zu Aufrufen zum Wahlboykott gegenüber Rukwied per WhatsApp, inklusive unerträglicher Verunglimpfung als „Henker des Deutschen Bauernverbandes“. Dabei fordern nur wenige Landwirte, dass der DBV komplett abgeschafft werden soll. Vielmehr wünscht man sich einen schlagkräftigeren Verband, der sich erfolgreicher für die eigenen Belange einsetzen soll. Die Frage, wie die Landwirtschaft künftig effektive Verbandsarbeit leisten soll, wird zur Schicksalsfrage nicht nur dieser Rukwied-Präsidentschaft, sondern für den DBV als Ganzes. Es ist eine Herausforderung, die viele angestammte Verbände teilen. 

Gelöst werden kann die Herausforderung nur, wenn der Verband den Schwung an seiner Basis aufnimmt und nutzt. Er muss anbieten können, diese Energie in sinnvollere Kanäle lenken zu können als andere Interessenvertreter. Dazu muss der Verband in seiner internen Diskussion schneller werden. Das geht vor allem auf digitalem Wege. Die Struktur der Fachausschüsse gibt dem Verband Kompetenz und Legitimität, aber sie ist zeitaufwendig und muss effizienter werden. Veranstaltungen mit Präsenzpflicht binden im Zeitalter von Videokonferenzen Ressourcen mit Reisezeiten. Der Facebook-Seite des DBV, „Die deutschen Bauern“, folgen zwar viele Personen, sie hat aber keine eigene geschlossene Gruppe. Das machen andere besser.

Kampagnenfähigkeit ausbauen

Moderne Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen werden oftmals von kleinen Gruppen von Aktivisten mit viel Herzblut durchgeführt. Solche Gruppen sollte der Verband an seiner Basis zusammenführen und aufbauen. Aktive Einzelpersonen gibt es bereits, sie sind untereinander häufig schon vernetzt. Der DBV sollte auf sie zugehen und sie unterstützen, auch wenn das heißt, dass nicht mehr alle Diskussionen nur in einem Fachausschuss geführt werden. 

Auch die klassischen Verbündeten der Landwirte werden immer weniger. Der Verband muss neue Partner suchen, sowohl in der Landwirtschaft als auch außerhalb. Eine Situation wie vor der ersten Sitzung der Zukunftskommission Landwirtschaft, wo jede bäuerliche Organisation mehr oder weniger ohne Koordination mit anderen landwirtschaftlichen Gruppen teilnahm, darf es nicht mehr geben. Die Bauern sind zu wenige, um sich Zersplitterung leisten zu können. Wenn man auch nicht bei jedem Thema alle Landwirte an Bord haben kann, so sollte es doch zu den ganz großen Herausforderungen wie dem Klimawandel gemeinsame Positionen geben. Dadurch kann es der Landwirtschaft auch gelingen, neue Partner zu finden. Diese braucht es sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene unbedingt. Die Herausforderung des DBV ist dabei kein rein deutsches Problem. Große Bauernproteste gibt es auch in anderen Ländern. 

Stärken weiterentwickeln

In jedem Fall muss der Verband sich kritisch hinterfragen, wenn er weiter stark und relevant bleiben will. Hier hat man als Außenstehender nicht den Eindruck, dass vor dem Bauerntag in Erfurt viel geschehen ist. Ein Beispiel wie das funktionieren könnte, sind regelmäßige Mitgliederbefragungen an der Basis. Ein solches Modell fährt der Südtiroler Bauernbund seit Jahren mit gutem Erfolg. Mitsprache erfordert aber auch Mitgestaltung, wenn sie ernst genommen werden soll. Auch hierfür muss der Verband Räume schaffen.

Das alles heißt nicht, dass der DBV ein radikal anderer Verband werden sollte. Eine reine Protestorganisation kann er nicht werden, ohne seine Stärke der Fachlichkeit aufzugeben. Eine noch stärker fachliche Organisation kann er nicht werden, ohne die emotionale Bindung seiner Basis zu riskieren. Er muss für alle Landwirte da sein, egal ob Haupt- oder Nebenerwerb, konventionell oder ökologisch, politisch „laut“ oder „leise“. Er muss einen Mittelweg gehen, der ihn nicht nur formal, sondern de facto erst in die Mitte der Landwirtschaft und dann in die Mitte der Gesellschaft zurückbringt. Mit seinen sehr offenen Aussagen beim Deutschen Bauerntag in Erfurt ("Ich bin wie ich bin und das ist keine One-Man-Show. Ich habe die Kritik aufgenommen.") hat Rukwied einen richtigen Schritt gemacht. Jetzt muss noch mehr geschehen und das schnell. Denn schöne Worte alleine reichen nicht.

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