Das Kabinett hat heute das Insektenschutzpaket beschlossen. Das Paket besteht aus zwei Teilen: einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes unter Federführung des Umweltministeriums und einer überarbeiteten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung unter der Regie des Landwirtschaftsministeriums.
Wie agrarheute bereits vorab berichtete, haben sich Agrar- und Umweltministerium erst über das Wochenende auf Druck von Kanzlerin Angela Merkel auch bei den letzten umstrittenen Fragen geeinigt. Wesentliche Eckpunkte sind jetzt:
- Biozide sollen in Naturschutzgebieten, Nationalparken, nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung sowie in gesetzlich geschützten Biotopen verboten werden.
- Außerdem soll in diesen Gebieten der Einsatz von Herbiziden sowie bestäuberschädlichen Insektiziden verboten werden. Für FFH-Gebiete gilt das Verbot vorerst nur für Grünland und im Wald. Für Ackerflächen in FFH-Gebieten gilt eine Übergangszeit bis 2024. Sonderkulturen in FFH-Gebieten sind von den Auflagen ausgenommen. Für Vogelschutzgebiete gelten keine Verbote.
- "Artenreiches Grünland", "Streuobstwiesen", "Steinriegel" und "Trockenmauern" werden gesetzlich unter Biotopschutz gestellt.
- Kein Pflanzenschutz innerhalb von 10 Metern zur Böschungsoberkante von Gewässern. Der Abstand verringert sich auf 5 Meter, wenn der Randstreifen dauerhaft begrünt wird. Eine Länderöffnungsklausel ist vorgesehen.
- Der Glyphosat-Einsatz wird erheblich eingeschränkt und ab 2024 verboten, falls zu diesem Termin die EU-Zulassung nicht verlängert wird.
Klöckner benennt in Protokollerkärung weiteren Klärungsbedarf
Bundesumweltministerin Svenja Schulze sprach anlässlich des Kabinettsbeschlusses von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Der Insektenschutz gehe nicht nur die Landwirtschaft an.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner brachte im Kabinett eine Protokollerklärung ein. Nach ihrer Auffassung müssen im parlamentarischen Verfahren folgende Punkte noch gesichert werden:
- Eine gesetzliche Absicherung und dauerhafte Ermöglichung bzw. Priorisierung von kooperativen Lösungen, beispielsweise im Wege des Vertragsnaturschutzes.
- Eine gesetzliche Absicherung der Abweichungsmöglichkeiten für die Länder durch Öffnungsklauseln.
- Die Sicherstellung eines finanziellen Ausgleichs beziehungsweise der Förderfähigkeit für Land- und Forstwirte.
- Regelungen, die es erlauben, dass auch in Naturschutzgebieten Landwirtschaft betrieben werden kann.
Merkel will nächste Woche die Bauernverbände und Länderminister anhören
Die Protokollerklärung benennt damit genau die Punkte, die aus Sicht der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Gitta Conneman und von CDU-Agrarsrpecher Albert Stegemann "unerlässlich" angepackt werden müssen. Der jetzige Entwurf könne von ihnen so nicht mitgetragen werden, schreiben Connemann und Stegemann heute in einem gemeinsamen Brief an die Mitglieder der Unionsfraktion.
Nach Angaben der beiden CDU-Politiker wird Kanzlerin Angela Merkel kommende Woche alle Bauernverbände und Agrarminister zu einer Videokonferenz einladen. Connemann und Stegemann versichern, sie hätten als Fraktion im Gesetzgebungsverfahren "die Rückendeckung des Bundeskanzleramtes" für diese Punkte. Der Entwurf des Umweltministeriums müsse "zwingend geändert" werden.
Der agrarpolitische CSU-Sprecher im Bundestag, Artur Auernhammer, betonte in diesem Zusammenhang: "Wir werden im anstehenden parlamentarischen Verfahren den Gesetzentwurf genau prüfen. Für uns ist wichtig, dass unser kooperativer Ansatz zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, den wir in Bayern haben, nicht ausgehebelt wird.“
Bauernverband fordert substanzielle Änderungen

Der Deutsche Bauernverband (DBV) organisierte anlässlich der Kabinettsentscheidung eine Protestaktion. Vor dem Bundeskanzleramt schob DBV-Präsident Joachim Rukwied von Hand einen Pflug an als Symbol für eine Politik, die die Landwirtschaft zurückkatapultiere in die Vergangenheit. „Die Strategie der Bundesumweltministerin, den Insektenschutz mit Verboten durchzusetzen, halten wir für grottenfalsch und sogar für gefährlich“, sagte Rukwied.
Er forderte substanzielle Veränderungen an dem Gesetzespaket, weil es die Existenzgrundlage vieler Bauernfamilien gefährde. „Es ist vor allem nicht geeignet, den kooperativen Naturschutz gemeinsam mit den Bauern voranzubringen“, so Bauernpräsident Rukwied.
Die Proteste in der Hauptstadt laufen bereits seit Ende Januar. Täglich gibt es Traktorenkorsos in Berlin-Mitte und Mahnwachen, unter anderem vor Ministerien.
Massive Bedenken in den Ländern
Auch aus agrarstarken Bundesländern gibt es parteiübergreifend Kritik an neuen Verboten für die ohnehin unter Druck stehenden Landwirte. In Niedersachsen und Baden-Württemberg sieht man auf Landesebene getroffene Vereinbarungen in Gefahr. Massive Bedenken äußerte die Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen in einem Brief an die Bundeskanzlerin.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sparte ebenfalls nicht mit Kritik: „Um hier deutlich zu machen, natürlich wollen wir Artenvielfalt garantieren, aber das darf nicht so sein, dass vielen landwirtschaftlichen Betrieben die Existenz entzogen wird.“
Auch SPD-Politiker kritisieren die Umweltministerin
So gibt es in Baden-Württemberg bereits ein neues Biodiversitätsstärkungsgesetz als Folge eines langen Streits zwischen Bauern, Imkern und Umweltschützern. Das Insektenschutzpaket des Bundes würde diesen Kompromiss hinfällig machen, fürchtet Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU).
In Niedersachsen sieht die Landesregierung ihren „niedersächsischen Weg“ als gefährdet an. „Wir brauchen in Sachen Insektenschutz kluge und faire Lösungen, die alle Beteiligten einbinden“, sagte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Er übte damit indirekt Kritik an seiner Parteikollegin und Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Die Pläne der Bundesregierung würden diese klugen und fairen Lösungen nicht ermöglichen. Sollten Bundesregierung und Bundestag nach der Verabschiedung im Kabinett nicht nachbessern, müssten notwendige Änderungen im Bundesrat ohnehin noch eine Mehrheit finden, sagte Lies.
Ohne den Bundesrat keine Verordnung
Tatsächlich ist der Bund vor allem bei der Pflanzenschutzmittel-Anwendungsverordnung auf den Bundesrat angewiesen. Die Länder können Änderungen des Entwurfs verlangen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner müsste die Verordnung dann nach Maßgabe dieser Änderungen in Kraft setzen oder einen neuen Entwurf einbringen.
Anders sieht das Verfahren beim Gesetzesteil des Pakets aus: Die geplante Änderung des Naturschutzgesetzes ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Die Länder könnten allenfalls den Vermittlungsausschuss anrufen. Ein Einspruch des Bundesrates kann vom Bundestag aber zurückgewiesen werden.
Bauernproteste für mehr Kooperation beim Insektenschutzgesetz
Hennies: Klage gegen faktische Enteignung denkbar
Aus Sicht des Präsidenten des niedersächsischen Bauernverbandes, Holger Hennies, könnten die Insektenschutzregelungen für einige Landwirte auf eine faktische Enteignung hinauslaufen.
Hoffnungen setzen Hennies und seine Kollegen aus den anderen Landesbauernverbänden darum auf den Bundesrat. Es sei noch nicht klar, ob der Weg des Bundes etwa mit dem «niedersächsischen Weg» oder Vereinbarungen in Baden-Württemberg oder Bayern vereinbar sei, so Hennies. Die Juristen der Länder prüften das. Das Paket sieht mittlerweile zwar eine Öffnungsklausel für die Länder vor. Unklar ist aber, wie weit und in welche Richtung die Länder von den Vorgaben des Bundes abweichen können sollen. „Der Bundesrat ist der erste Prüfstein. Aber wenn es in Richtung Enteignung geht, dann ist auch eine Klage denkbar“, sagte Hennies.
Mix aus Ordnungsrecht und Vertragsnaturschutz anstreben
Die Bundestagsabgeordnete Marja-Liisa Völlers (SPD) aus Niedersachsen sagte: „Der Konsens zwischen Landesregierung, Landwirtschaft und Umweltverbänden ist von hoher Bedeutung“. Für den Insektenschutz sei ein Mix aus Ordnungsrecht, freiwilligen Vereinbarungen und Vertragsnaturschutz nötig.
Die SPD-Südhessen drückte am Montag in einem Schreiben an ihre „liebe Genossin Svenja Schulze“ große Sorge darüber aus, dass Schulzes Konfrontationskurs dem Insektenschutz nicht dient, aber bäuerliche Existenzen gefährdet.
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