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Koalitionskompromiss

Kabinett beschließt umstrittenes Agrarumweltpaket

Die Bundesministerinnen Klöckner Schulze Karliczek
am Mittwoch, 04.09.2019 - 11:10 (5 Kommentare)

Das Bundeskabinett hat heute ein Paket umstrittener Gesetzentwürfe für Tier- und Umweltschutz in der Landwirtschaft beschlossen. (Aktualisiert und ergänzt: 14:00 Uhr)

Teil des Agrarumweltpaketes ist, dass im kommenden Jahr  6 % der Direktzahlungen in die zweite Säule fließen. Bisher beträgt die Umschichtung 4,5 %. Das entspricht – wie vorab berichtet – in der Summe einem Transfer von 75 Mio Euro. Dazu soll das Direktzahlungen-Durchführungsgesetz noch in diesem Jahr angepasst werden. Der Satz von 6 % gilt nur für 2020, dem letzten Jahr der aktuellen Förderperiode.

Im Gegenzug stimmte die SPD im Kabinett dem von CDU-Agrarministerin Julia Klöckner gewünschten Tierwohllabelgesetz zu, das die Sozialdemokraten ursprünglich abgelehnt hatten. Das freiwillige staatliche Tierwohllabel soll zunächst für die Schweinehaltung gelten. Die Kriterien sollen in einer Verordnung mit Zustimmung des Umweltministeriums festgelegt werden. Der Entwurf lag zur heutigen Kabinettsitzung noch nicht zur Entscheidung vor.

Ebenfalls Teil des Agrarumweltpaketes ist ein Insektenschutz-Programm von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Dieses sieht unter anderem den Ausstieg aus der Anwendung von Glyphosat innerhalb von vier Jahren vor.

"Umschichtung ist Win-win-Situation"

Schulze-Karliczek-Klöckner

Die Details des Koalitionskompromisses stellten Klöckner und Schulze heute mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in einer Pressekonferenz vor.

Dabei sagte Klöckner zur Kürzung der Direktzahlungen: "4,50 Euro werden pro Hektar verschoben. 90 Prozent dieser Gelder, die den Landwirten weggenommen werden, fließen an die Landwirte über die Agrarumweltmaßnahmen wieder zurück. Das ist eine Win-win-Situation." 

Im Gegensatz dazu bewertete der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, die Umverteilung als zusätzliche schmerzhafte Einschnitte in das Einkommen der Bauern. Er habe große Sorge, dass durch das Gesetzespaket der Strukturwandel deutlich verschärft werde, sagte Rukwied.

„Wir wissen, dass es Veränderungen hin zu mehr Tierwohl und Insektenschutz geben muss, aber dieses Paket ist für die Landwirte toxisch", sagte Rukwied. Es sei "eine agrarpolitische Fehlentscheidung" der Bundesregierung, wenn über das gültige Fachrecht hinaus zusätzliche Auflagen die Landwirtschaft belasteten und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit deutlich schwächten.

SPD will freiwilliges Label im Bundestag ablehnen

Reichstag Berlin

Mit der Einigung im Kabinett nimmt das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nun allerdings erst seinen Anfang. Und es zeichnet sich schon jetzt ab, dass das Agrarpaket kein Selbstläufer wird. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch kündigte direkt nach dem Kabinettsbeschluss an, dass die Sozialdemokraten im Bundestag nur einem verpflichtenden Tierwohllabel zustimmen würden.

In diesem Zusammenhang sagte Klöckner: "Verpflichtend hört sich gut an. Man kann aber niemanden zu mehr verpflichten, als die rechtlichen Regelungen vorschreiben.“ 

Dennoch betonte Miersch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: "Ohne eine Nutztierstrategie und eine Verpflichtung wird es kein Label geben. Die SPD werde die ausschließlich auf Freiwilligkeit basierende "Hochglanzpolitik" von Klöckner nicht mitmachen. Miersch kritisierte zudem, dass im Kabinett die Verordnung zur Festlegung der Kriterien für die Haltungsstufen nicht vorgelegen hätten.

Glyphosat-Verbot ab 2024

Bienen

Das "Aktionsprogramm Insektenschutz" umfasst ein Insektenschutz-Gesetz und parallele Rechtsverordnungen mit Änderungen im Naturschutz-, Pflanzenschutz-, Dünge- und Wasserrecht. Sie sollen noch in der laufenden Legislaturperiode kommen.

Geplant ist, die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel zum 31. Dezember 2023 zu verbieten. Dann endet allerdings ohnehin die EU-Wirkstoffzulassung für Glyphosat – mit wenig Aussicht auf eine erneute Verlängerung. Klöckner meinte: "Politisch gesehen ist das ein totes Pferd."

Bereits ab 2020 soll in Deutschland eine systematische Minderungsstrategie greifen, mit der der Einsatz glyphosathaltiger und wirkungsgleicher Pflanzenschutzmittel deutlich eingeschränkt werden soll. "Wir werden jetzt Teilverbote über die Novelle der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung erwirken", kündigte Schulze an. Eine Mengenreduktion von 75 Prozent soll darüber erreicht werden. Genannt werden unter anderem ein Verbot der Anwendung vor der Ernte sowie eine deutliche Beschränkung des Einsatzes vor der Aussaat und nach der Ernte.

Vorgesehen ist auch ein Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden mit besonderer Relevanz für Insekten in ökologisch besonders schutzbedürftigen Gebieten. Genannt werden unter anderem Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Gebiete, Naturschutzgebiete und Nationalparks sowie Vogelschutzgebiete mit Bedeutung für den Insektenschutz, die von den Ländern bestimmt werden sollen.

Schulze: Wir verringern den Pflanzenschutzeinsatz deutlich

Pflanzenschutzspritze im Frühjahr

Nach Darstellung des Umweltministeriums wird der Schutz auf die Biotope „Artenreiches Grünland“ und „Streuobstwiesen“ erweitert. In einem Großteil der Schutzgebiete soll es ein vollständiges Verbot geben für den Einsatz von Herbiziden und "biodiversitätsschädigenden" Insektiziden. Auch wird bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln der Mindestabstand zu Gewässern auf 10 m festgelegt, beziehungsweise auf 5 m dort, wo die Abstandsfläche dauerhaft begrünt ist.

Umweltministerin Schulze erklärte: "Ich bin besonders froh, dass es uns gelungen ist, Insekten künftig auch in der Agrarlandschaft besser zu schützen." Die Bundesregierung verbiete den Glyphosateinsatz zum europarechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt und werde den Einsatz schon vorher deutlich einschränken.

Als mindestens genauso wichtig für die Insekten bezeichnete Schulze, dass auch der Einsatz von allen anderen Pflanzenschutzmitteln deutlich verringert werde.

GAK-Sonderrahmenplan für den Insektenschutz

Im Rahmen des Aktionsprogramms sollen jährlich mindestens 100 Mio Euro für den Insektenschutz, den Ausbau der Insektenforschung sowie den Schutz und die Wiederherstellung von Insektenlebensräumen bereitgestellt werden.

Dazu gehören 50 Mio Euro pro Jahr für einen Sonderrahmenplan in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK).

Hinzu kommen 25 Mio Euro Bundesmittel für konkrete Projekte auch außerhalb der Agrarlandschaft sowie weitere 25 Mio Euro pro Jahr für die Forschung und den Aufbau eines bundesweiten Monitorings zum Schutz der Insekten.

IVA warnt vor Wettbewerbsnachteil für deutsche Landwirte

Der Industrieverband Agrar (IVA) kritisierte das angekündigte Glyphosat-Verbot. Hauptgeschäftsführer Dr. Dietrich Pradt sprach von „reiner Symbolpolitik“. Die Bundesregierung nehme Entscheidungen vorweg, die in den kommenden Jahren auf europäischer Ebene auf fundierter wissenschaftlicher Basis getroffen werden müssten.

Für die deutsche Landwirtschaft bedeute ein Glyphosat-Ausstieg einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Für die Hersteller geht dem IVA-Hauptgeschäftsführer zufolge Planungssicherheit verloren, wenn auf das EU-Recht kein Verlass mehr sei.

Mit Material von dpa, AgE

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