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Befangenheitsdebatte

Kein Stimmrecht für Landwirte? Nachgefragt bei Maria Noichl

Maria Noichl
am Mittwoch, 29.09.2021 - 15:07 (3 Kommentare)

Mitte September entfachte die EU-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) eine Diskussion um das Befangensein von Landwirten im EU-Parlament bei Abstimmungen zur Agrarförderung. Die zahlreichen Rückmeldungen unserer Leser haben wir in einigen Fragen zusammengefasst und bei Frau Noichl nachgehakt.

Dass Landwirte im Europaparlament sich vor Abstimmungen zur Agrarförderung für befangen erklären und somit nicht von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen sollen, forderte Noichl vor knapp drei Wochen. Am 9. September stand die Abstimmung über die EU-Agrarreform auf der Tagesordnung des Agrarausschusses.

Wo in der breiten Bevölkerung Zustimmung zu erwarten ist, sehen die Betroffenen oft problematische Konsequenzen. Entsprechend fiel das Echo unter unseren Lesern aus – besonders in den sozialen Medien. Die Kritik und Bedenken haben wir gebündelt und bei Maria Noichl um ein Gespräch über ihre Forderung gebeten. Die Fragen und Frau Noichls Antworten finden Sie hier.

EU-Parlament als Querschnitt der Gesellschaft

agrarheute: Im EU-Parlament soll ein Querschnitt der Gesellschaft abgebildet werden. Ist es dann nicht vertretbar und letztlich demokratisch, dass bei vielen Abstimmungen immer ein kleiner Teil dieses Querschnitts persönlich betroffen ist (und der andere große Teil nicht)?

Maria Noichl: Selbstverständlich sind bei einigen Entscheidungen Europaabgeordnete indirekt, als EU-Bürger oder EU-Bürgerin, betroffen. Darum geht es aber doch bei meinem Anliegen überhaupt nicht. Mir geht es um die Europaabgeordneten, die direkt von der Ausschüttung europäischer Fördermittel profitieren. Ich finde, dass Europaabgeordnete, die Direktzahlungen der EU erhalten und über die Höhe dieses Budgetpostens entscheiden, befangen sind, da ihr Votum im Zweifelsfall ausschlaggebend für eine höhere Nebeneinkunft in ihren Taschen ist. Hier geht es also um eine Situation, in der Europaabgeordnete über die Höhe der eigenen Nebeneinkünfte mitentscheiden können. Für mich sind diese Abgeordneten bei dieser konkreten Frage befangen.

Fachliche Arbeit im Agrarausschuss

agrarheute: Der Agrarausschuss gibt richtungsweisende Empfehlungen für das Plenum ab. Sind die Landwirte des Ausschusses nicht auch in dieser beratenden Funktion befangen? Sollten sie mit ihrer Arbeit im Ausschuss aussetzen, wenn es um Fragen der Gemeinsamen Agrarpolitik geht? Sollte das Parlament einerseits von der fachlichen Kompetenz der Landwirte profitieren und ihnen andererseits das Stimmrecht entziehen?

Maria Noichl: Die fachlichen Kompetenzen sind in allen Ausschüssen die Basis erfolgreicher Arbeit. Von Kulturschaffenden im Kulturausschuss bis LandwirtInnen im Agrarausschuss. Ich habe niemals gefordert, aktiven Landwirten grundsätzlich das Stimmrecht zu entziehen oder gar die Mitarbeit zu verweigern, sondern dargelegt, dass diese sich bei den konkreten Abstimmungen zur Budgetverteilung, die eine direkte Auswirkung auf das jeweilige Portemonnaie hat, befangen erklären sollten. Es geht konkret darum, dass manche Mitglieder mit der eigenen Stimme direkt zu höheren Zahlungen für sich oder ihre Familien beitragen. Da liegt für mich ein Interessenkonflikt vor, der nur durch eine offen gelebte Befangenheitskultur aufgehoben werden kann.

Politisches Engagement von Landwirten

agrarheute: Würden Landwirte nicht das Interesse an einem Mandat verlieren, wenn sie bei den für sie entscheidenden Fragen nicht über ein Stimmrecht verfügen? Würde die Streichung des Stimmrechts die Politikverdrossenheit erhöhen?

Maria Noichl: In meinen Augen haben aktive Landwirte ein persönliches Interesse an der Verteilung der GAP-Gelder, da diese ja persönlich von diesen profitieren. Ich denke nicht, dass Landwirte ihr Interesse an dem Mandat verlieren, wenn sie sich bei diesen konkreten Haushaltfragen für befangen erklären und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Streichung des Stimmrechts zu einer höheren Politikverdrossenheit führen würde. Vielmehr denke ich, dass es auch die Öffentlichkeit kritisch sieht, dass Europapolitiker oder andere Abgeordnete selbst über die Höhe eines Nebeneinkommens entscheiden können.

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